: Erstes Säbelrasseln
■ Zur Überwachung des UNO-Embargos gegen Serbien beordern WEU und Nato Kampfschiffe in die Adria, eine Entsendung von Bodentruppen kommt für sie jedoch nicht in Frage. Kohl und Kinkel sinnieren über deutsche Beteiligung
Erstes Säbelrasseln Zur Überwachung des UNO-Embargos gegen Serbien beordern WEU und Nato Kampfschiffe in die Adria, eine Entsendung von Bodentruppen kommt für sie jedoch nicht in Frage. Kohl und Kinkel sinnieren über deutsche Beteiligung.
Von Christian Semler
Das Helsinki-Dokument wiegt ein halbes Kilo, aber über Bosnien-Herzegowina ist kein Wort enthalten“. Barbara McDoegall, Kanadische Außenministerin, macht aus ihrer Unzufriedenheit mit der bisherigen KSZE- Politik gegenüber dem Aggressions- und Bürgerkrieg in Bosnien keinen Hehl. Ein Bataillon kanadischer Bodentruppen ist bereits in Sarajevo gelandet, um — im Rahmen der UNO- Sicherheitsratsbeschlüsse — den Flughafen offen zu halten. Ginge es nach der streitbaren kanadischen Politikerin, so hätte der Sicherheitsrat schon im Sommer letzten Jahres tätig werden müssen — als das Morden noch nicht begonnen hatte. Aber damals scheiterte die Behandlung der bosnischen Frage in der UNO an der Rücksichtnahme gegenüber Serbien beziehungsweise Jugoslawien.
Die jetzigen UNO-Resolutionen 713 und 757 verhängen über Rumpfjugoslawien eine Wirtschaftsblockade und beauftragen UNO-Truppen, den Flughafen Sarajevo zu öffnen.
Der Einsatz von Waffen ist nur zulässig, wenn die „Blauhelme“ angegriffen werden. Am Donnerstag gab die französische Regierung die Entsendung von gepanzerten Kampfhubschraubern bekannt — als Teil eines mit dem UNO-Kommando UNPROFOR vorher abgesprochenen Landungsplanes, wie der Sprecher des Elysee versicherte. Wie die Regierung der USA machte auch die französische klar, daß die Entsendung von Bodentruppen „angesichts der Lage vor Ort“ nicht in Frage komme. Die tatenhungrigen Staatsmänner und Militärs des Westens haben deshalb jetzt ein neues Betätigungsfeld erschlossen, wo der Erfolg zwar zweifelhaft ist, dafür aber kein so kostbares westliches Blut vergossen zu werden braucht: die Seeblockade.
Gestern traf sich in Helsinki zu früher Stunde die Runde der WEU, der bislang fiktive Arm der EG für militärische Zwecke, um die Details zu verabschieden. Zur „Überwachung“ des Embargos wird eine kleine Flotte von fünf bis sechs Schiffen, vier Luftaufklärern, einem Versorgungsschiff und einer Anzahl Hubschraubern in Bewegung gesetzt werden. Der Verband soll in internationalen Gewässern, in der Straße von Otranto und gegenüber anderen Punkten der jugoslawischen Küste in Stellung gebracht werden. Die Details der Operation sollen „von kompetenten Stellen der Marine“ ausgearbeitet werden.
Welcher Marine? Kaum hatte die WEU ihr Projekt lanciert, zog die Nato nach. In nur 15 Minuten war sich gestern der Nato-Rat einig, mit der WEU zusammenzuarbeiten. Man wolle aber, so Nato-Generalsekretär Wörner, keinesfalls an die Stelle der UNO treten. Die WEU- Resolution spricht von „Koordinierung“. Konkret heißt dies, daß Nato- Einheiten im Mittelmeer — wahrscheinlich einschließlich amerikanischer Verbände — unter italienischer Führung den Job übernehmen werden. Die Ad-hoc-Gruppe, die mit der WEU-Erklärung beauftragt war, ist angewiesen worden, Optionen auszuarbeiten, falls für die Kontrollaufgaben des Flottenverbandes ein neuer Beschluß des Sicherheitsrates notwendig werden sollte — sprich, falls das Feuer auf Schiffe eröffnet würde, die sich der Kontrolle entziehen wollen.
Der praktische Effekt der WEU- Aktion tendiert gegen null. Bekanntlich wird Rumpfjugoslawien via Mazedonien und über die Donau aus Rumänien mit dem strategisch ausschlaggebenden Rohstoff Erdöl versorgt. Die Regierungen dieser beiden Staaten haben den Blockadebeschluß bislang ignoriert, sei es wegen der Devisen, sei es, im Falle Mazedoniens, um die serbische Minderheit im Land davon abzuhalten, loszuschlagen.
Befragt, wie die beiden Staaten dazu gebracht werden könnten, das Embargo einzuhalten, fiel dem deutschen Außenminister nur schwammig Formuliertes ein: öffentlicher Druck und Überwachungsmaßnahmen. Die Bundesregierung will sich finanziell an der Operation beteiligen. Was darüber hinaus gehe, bedürfe, so Kinkel, der juristischen Überprüfung, der Konsultationen und eines Beschlusses — möglichst im innenpolitischen Konsens. Kinkel vertrat allerdings von vorneherein die Auffassung, die Seeblockade sei kein out of area-Einsatz, sondern „eine Aktion in internationalen Gewässern“.
Bundeskanzler Kohl selbst war es schließlich, der die eigentliche Nutzanwendung der Operation herausstrich. Bislang habe es Unklarheiten und Unstimmigkeiten über das Verhältnis von Nato und WEU bei Einsätzen im Rahmen der KSZE respektive der UNO gegeben. Die abstrakte Diskussion in der BRD und anderswo könne jetzt an Hand eines Beispiels geführt werden, gewissermaßen als Probe aufs Exempel. Auch die Diskussion um Art und Umfang deutscher Beteiligung an Blauhelmeinsätzen werden jetzt „mobilisiert“ werden. Er, Kohl, freue sich bereits auf die Auseinandersetzung. Damit ist die innenpolitische Offensive gegen Positionen eingeleitet, die für eine auf friedliche peace-keeping- missions begrenzte Rolle zukünftiger deutscher Blauhelme plädieren.
Die Auseinandersetzung zwischen der Nato-Linie und der WEU- Linie, sprich zwischen den USA und Frankreich, ist mit dem Koordinierungsvorhaben bei der Seeblockade freilich nicht ausgestanden. Aus Kreisen der französischen Delegation war zu hören, man sei des Streits überdrüssig und strebe eine Aufgabenteilung an. Andererseits wird weiter betont, das französisch-deutsche Korps sei der Nukleus der WEU-Streitmacht, die Nato habe sich nur angehängt. Falls die Seeblockade wirklich zum Testfall werden sollte, ist das Ergebnis klar: Das Kommando wird bei der Nato liegen.
Nach reichlich zähen Verhandlungen verabschiedete die KSZE — auf Vorschlag Bosnien-Herzegowinas — doch noch eine Erklärung zu Jugoslawien. Sie enthält eine eindeutige Schuldzuweisung an die Adresse Belgrads. „Die hauptsächliche Veranwortung dafür, daß in Bosnien- Herzegowina Gewalt und Aggression anhalten, liegt bei den Belgrader Behörden.“ Anders als die Schlußdokumente enthält die Erklärung zur Krise in Jugoslawien einen ausführlichen Passus, der sich mit den Leiden der Bevölkerung beschäftigt. Die diversen EG- und KSZE-Anstrengungen zur Lösung der Krise werden gutgeheißen, doch findet sich kein Hinweis auf eine mögliche Erweiterung des UNO-Mandats für die Blauhelme, geschweige denn die Eröffnung der Möglichkeiten einer militärische Operation gegen Rumpfjugoslawien. Der ausdrückliche Verzicht auf diese „Option“ ist nicht nur der Rücksichtnahme auf die russische Regierung geschuldet. Auch in der Rede von US-Präsident Bush ist nur von der Sicherung der Hilfslieferungen und der Durchführung der Sanktionen die Rede — no matter, what it takes. Diese Formulierung verweist wiederum auf einen möglichen Schutz der Transporte.
Für Alia Izetbegovic, Präsident von Bosnien-Herzegowina und einer der wenigen vertrauenswürdigen Staatsmänner der Region, muß das Ergebnis der KSZE-Konferenz bitter gewesen sein. Er hatte beschwörend von der Fortdauer der Massaker, vom weitergehenden Wüten der jugoslawischen Truppen unter anderem Namen gesprochen und gefordert, UNO-Truppen sollten die Streitparteien entwaffnen und sich an der Grenze zu Serbien zwischen die Fronten stellen. Aber Izetbegovic gibt nicht auf: „In einer Art von verrückter Hoffnung halten wir an unserer Vision eines zivilen und kosmopolitischen Bosnien fest.“
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