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Die Ferngesehenen: Jeder darf mal ins TV

■ Die „Piazza Virtuale“ auf der Kasseler „documenta“ hat jetzt einen Bremer Ableger: Samstag nacht ging er auf Sendung

Das Schlüsselwort war erstaunlich simpel: „Hallooo, wer spricht den da?“ — „Hallo, hört mich jemand?“ — „Hallo, hier ist Bremen!“ — „Das Bild oben kommt aus Riga“ — „Ich dachte das wäre Bremen.“ — „Nein, die machen den psychedelischen

„Hallooo, wer spricht?“ — „Hallo, hört mich jemand?“ — „Hallo, hier ist Bremen!“ — „Das Bild oben kommt aus Riga“ — „Ich dachte das wäre Bremen.“ — „Nein, die machen den psychedelischen Scheiß da unten rechts.“

Scheiß da unten rechts.“ — Hallooo, wer erklärt einem das hier alles mal?“ — „Haallo, kann sich mal einer mit mir unterhalten?“

Das Chaos ist vorprogrammiert auf dem „Piazza virtuale“. In diesem Fernsehen für jedermann, das im Rahmen der „documenta“ von Kassel aus live von 3-Sat gesendet wird, weiß keiner genau, was und wen man auf dem Bildschirm sieht, hört oder liest. Per Telefon, Computer-Modem oder Fax kann sich jeder ins Programm einmischen — nicht gerade um nach Warhols Maxime „für eine Minute ein Star zu sein“, aber ein schüchternes „Halloo, ich rufe aus Düsseldorf an“ ist immerhin ein Anfang.

Die „Piazzetta Telematica Bremen“, einer von bundesweit vier Ablegern der „Piazza Virtuale“, war nachts um 1.50 Uhr für etwa 40 Minuten auf Sendung. Leider nicht, wie es geplant war, aus dem Cafe Kairo, denn die Telekom hatte die Kneipe nicht fristgerecht via Kassel mit dem globalen Dorf verkabelt. Deshalb wurde aus einem Studio in der Kunsthochschule gesendet, und die armen Waller wurden mit einer Trockenübung, einem „Public Training“ abgespeist.

Im „Kairo“ durfte, ja sollte sich dabei jeder Gast vor laufender Kamera produzieren. Bild und Ton wurden in einen zehn Meter entfernten Raum gesendet, und auch dort stand ein Mensch mit einem Mikrophon vor der Kamera, der versuchte, irgendwie auf das Gesendete zu reagieren. Die Organisatoren waren komisch verkleidet und agierten so merkwürdig wie möglich. Sie produzierten sogar Popkorn und Bratkartoffeln, aber das Publikum weigerte sich weitgehend, mitzuspielen. Die Organisatoren machten jagt auf willige „User“, aber der normale Kneipenbetrieb behielt die Oberhand bei diesem Versuch, die Rollen des Fernsehers und des Ferngesehenen aufzuheben. Es fehlte einfach der Kick: das Durcheinander wurde schnell langweilig, und wen interessiert schon ein Fernsehprogramm, das nur vom Kairo in die GaDeWe gesendet wird.

Als aber die Show live über 3-Sat ging und Leute aus Riga oder Kassel ihren Senf dazugaben, war das natürlich ein ganz anderer Schnack. Das Chaos war nachts im Studio der Kunsthochschule das gleiche wie in Walle, aber hier konnte man sich dem Sog des virtuellen Raumes nicht entziehen. Vor der Kamera tanzten die Akteure in möglichst schrillen Verkleidungen und Masken herum, sie schwengten eine Plastiksonne oder einen Gummihai und sprachen dies und das in die Mikros.

Im Studio wurde dieser „psychedelische Scheiß“ verfremdet sowie mit anderen Bildern, Musik und Textzeilen wie „Help“ oder „Fragen sie Dr. Alzheimer“ gemischt. Die bemühte Originalität störte dabei überhaupt nicht, denn auf das „Was“ kam es gar nicht an. Das Medium war hier tatsächlich die Botschaft, und die Faxe aus Italien und die Bilder, Stimmen oder Texte der Anrufer aus München, der Piazzetta aus Riga hoben eh jede Intention auf.

Wenn in diesem Mischmasch, von dem der größte Teil immerhin noch in Bremen produziert wurde, tatsächlich einmal Kommunikationen klappten, waren das die spannenden und witzigen Höhepunkte der Sendung. Für einige Momente konnten Bremer plötzlich mit Riga sprechen, und nach der Aufforderung „Ey du in Kassel, kuck mal in die Kamera“ blickte die Frau links unten auf dem Bildschirm dem Zuschauer direkt in die Augen.

Ob dies tatsächlich die ersten Schritte zum Fernsehen des nächsten Jahrtausends sind, ist noch sehr die Frage. Samstag nacht hatten auf jeden Fall zwanzig bis dreißig Bremer viel Spaß mit diesem sündhaft teuren elektronischen Spielkasten. Bis zum September hat die „Piazzetta telematica Bremen“ noch einige Sendetermine, und die Leitungen ins Kairo sollen auch bald stehen. Dann können auch die Waller Kneipengäste mal über Satellit winken und aller Welt „Hallo“ sagen. Wilfried Hippen

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