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DEBATTEDer sogenannte Hotelvollzug Tegel

■ Die Situation kann nur geändert werden, wenn die gesamte Führung abgelöst wird

Wegen eines Ausbruchs aus der Justizvollzugsanstalt Tegel hat die CDU für morgen eine Sondersitzung des Rechtsausschusses im Abgeordnetenhaus einberufen. Der Autor war fast sieben Jahre in Berliner Knästen in Haft, die meiste Zeit in der JVA Tegel. Er ist heute bei der Aids-Hilfe für den Bereich Strafvollzug zuständig.

Immer wenn aus Tegel ein Häftling ausgebrochen ist, benutzt die Boulevardpresse diesen Vorfall, um über den sogenannten Hotelvollzug zu berichten. Wer den Vollzug in Berlins größter Haftanstalt als Hotelvollzug bezeichnet, hat in seinem Leben noch in keinem Hotel gewohnt. Die Problematik, der die Gefangenen durch das ständige Eingesperrtsein ausgesetzt sind, ist für einen Außenstehenden unvorstellbar. Häufig wird der Justizsenatorin vorgeworfen, daß sie viel zu lasch mit Ausgängen und Urlauben umgehe, und die CDU benutzt die jüngste Flucht eines Gefangenen, um erneut Stimmung gegen den Koalitionspartner zu machen.

Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Rechtsausschuß, Andreas Gram, hat jedoch vom Berliner Strafvollzug wenig Ahnung. Die Misere in der JVA Tegel fängt damit an, daß die Leitung nach meiner Meinung völlig unfähig ist. Sowohl der Anstaltsleiter als auch sein Vertreter, der Vollzugsleiter, sind nicht in der Lage, eine Anstalt dieser Größe zu führen. Der Vertreter fährt einen harten Kurs und versucht, alle Teilanstaltsleiter auf seine Linie zu bringen. Die etwas liberaleren Teilanstaltsleiter sind nicht mehr im Dienst, und die neu hinzugekommenen sind führungsschwach und ängstlich und mit ihrem Job total überfordert. Die Bediensteten der JVA Tegel bemängeln die Führungsschwäche des Leiters gleichfalls. Es gibt einen bekannten Anstaltswitz, wo drei Gefangene den Anstaltsleiter unterwegs ansprechen und er allen dreien recht gibt. Als er in sein Büro zurückkommt, fragt die Sekretärin, was war, und er erzählt es ihr. Daraufhin wirft sie ihm vor, daß er doch nicht allen drei Gefangenen recht geben kann. Jawoll, sagt er, Sie haben recht. Tegel ist nicht drogenfrei zu bekommen. Wer das behauptet, verkennt die Zustände im Strafvollzug. In der BZ vom 7. Juli fordert die CDU, daß bei jedem Haftbesuch der Besucher sich einer scharfen Personenkontrolle, die auch die Körperöffnungen einschließt, unterziehen muß. Wer sich dem verweigert, für den soll der Besuch hinter einer Glasscheibe stattfinden. Das zu fordern fördert nicht den humanen Strafvollzug und unterbindet die sozialen Kontakte der Gefangenen. Zum Glück haben wir ein Grundgesetz, das die Besucher vor solchen diskriminierenden Durchsuchungen schützt.

Besonders amüsiert hat mich bei den Forderungen der CDU, daß der geschlossene Vollzug wieder Regelvollzug sein soll und nicht wie jetzt der offene Vollzug. In Berlin war immer der geschlossene Vollzug Regelvollzug. Der Umstand, daß keinesfalls mehr als 10 Prozent der Tegeler Gefangenen Urlaub erhalten, zeigt deutlich, wie wenig der offene Vollzug Regelvollzug ist und Gefangene in den Augen der Justiz für Urlaub geeignet sind.

Jahrelang ist keinem Gefangenen aus Tegel der Ausbruch geglückt. In diesem Jahr hat es jemand mit einer Leiter geschafft. Das ist sicherlich auch eine Folge der Überarbeitung der Bediensteten. Der Krankenstand der Bediensteten liegt in einigen Bereichen über 20 Prozent. Da bleibt Arbeit beziehungsweise Aufsicht liegen. Die Bediensteten sind in einem zweijährigen Lehrgang ausgebildet und sollen Gefangene betreuen. Ihrer Betreuungsaufgabe können sie nicht nachkommen, weil sie alle zwei Stunden Turmdienst zu versehen haben, um Gefangene an Ausbrüchen zu hindern. Bei dem letzten Ausbruch gab der Beamte an, daß das Gewehr Ladehemmung hatte. Das Gegenteil wird man nicht beweisen können.

Man kann die Situation in der JVA Tegel nur verändern, wenn die Führung vollständig ausgewechselt wird. Ein erfahrener Psychologe sollte die Anstalt leiten, ihm zur Seite ein Jurist, der vom Strafvollzug Ahnung hat und der vor allen Dingen weiß, was humaner Strafvollzug ist. Durch das vermehrte Angebot von Drogen konsumieren inzwischen bestimmt 50 Prozent der Insassen zumindest sporadisch Heroin. Da es im Strafvollzug keine sterilen Spritzbestecke gibt, tauschen die Gefangenen die Spritzen miteinander aus. Klar, daß sich viele dabei mit dem HIV-Virus infizieren. Die Justizsenatorin müßte endlich die Spritzenvergabe genehmigen. Wenn man schon die Drogen nicht aus dem Strafvollzug bekommt, sollte wenigstens den Gefangenen die Möglichkeit gegeben werden, sich nicht zu infizieren. Das allein ist ein volkswirtschaftliches Muß, denn ein einzelner Aidskranker kostet bis zum Tode 400.000 Mark. Michael Gähner

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