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Peptimismus als Strategie

Im Mai dieses Jahres wurde Emil Habibi als erster Araber mit dem israelischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet — Chronik eines Tumultes  ■ Von Frank Griffel

Es begann damit, daß ich während einer der sechs teuflischen Juninächte 1967 vorsichtshalber das arabische Programm von ,Radio Israel‘ hörte...“ So setzt eine Episode in einem jetzt auf deutsch erschienenen Roman ein, dessen Titel an lange Erzählungen aus einer arabischen Märchenwelt erinnert, die im verhangenen Rauch der Wasserpfeifen zu bitterem Kaffee erzählt werden: Der Peptimist oder Von den seltsamen Vorfällen um das Verschwinden Saids des Glücklosen.

Said, der Held des Romans, der während des Sechs-Tage-Krieges dem Radio lauscht, lebt wie sein Schöpfer Emil Habibi als Palästinenser in Haifa. Die Aufforderung, die Besiegten mögen zum Zeichen ihrer Kapitulation ein weißes Laken an ihr Dach hissen, verwirrt ihn. Ist er nicht auch ein Besiegter, wenn auch des Krieges von 1948? In vorauseilendem Gehorsam heftet er sein Bettlaken an einen Besenstiel und wird mit dem Vorwurf verhaftet, den Staat Israel nicht anzuerkennen. „Der Appell des Radiosprechers war an die Araber im Westjordanland gerichtet“, klärt man ihn auf. „Sie sollten weiße Fahnen als Zeichen der Kapitulation vor der israelischen Besatzung hissen. Was geht das dich in Haifa an, das im Herzen des Staates Israel liegt und von niemandem als besetzte Stadt angesehen wird?“

Saids Geschichte avancierte innerhalb kürzester Zeit nach ihrem Erscheinen zum maßgeblichen Ausdruck palästinensischen Lebens innerhalb Israels. Said war der Anti- Held in einer Situation, die von allen, den Israelis und den Arabern, gerne verschwiegen wird: im Leben von über 800.000 Palästinensern in Israel.

Als eine unabhängige Kommission von Literaturwissenschaftlern im April dieses Jahres Emil Habibi den israelischen Staatspreis für Literatur angetragen hat, fand sich der Geehrte im Zielfeuer harter Kritik von beiden Seiten, weil er sich für beides entschieden hatte: Araber und Israeli zu sein.

„Seine Werke sind voll des abgrundtiefen Hasses gegen Israel. Der Staat wird so dargestellt, als wäre es angemessen, ihn völlig zu zerstören“, formulierte der ehemalige israelische Minister und Atomphysiker Juval Neeman seinen Protest. In den Werken Habibis werde Israel schlimmer als Sodom und Gomorra oder gar Nazideutschland dargestellt. Neeman kündigte an, den ihm früher verliehenen naturwissenschaftlichen „Israel-Preis“ zurückzugeben und verließ mit seinen Parteifreunden von der nationalistischen Techija-Partei den Saal der Preisverleihung.

Allein die Vita des Grand Old Man des palästinensischen Romans, der durch diesen Preis zum Zankapfel im israelischen Wahlkampf aufrückte, macht ihn zum Mann zwischen den Fronten. Er wurde 1921 in einem christlichen Dorf nahe Nazareth geboren, damals noch unter britischer Mandatsverwaltung. Im Alter von 19 Jahren schloß er sich der Kommunistischen Partei in Palästina an und gründete 1944 in Haifa deren Organ 'Al-Ittihad‘, 'Die Union‘. Im Jahr der Proklamation des Staates Israel 1948 floh er wie die meisten seiner Landsleute vor den Wirren des Bürgerkrieges und der nachfolgenden Auseinandersetzung mit den arabischen Armeen in den Libanon. Während über drei Viertel seiner Landsleute auf diese Weise ihre Heimat verloren, gelang es Habibi, noch vor der offiziellen Etablierung des jüdischen Staates zurückzukehren und sich damit sein Bleiberecht zu erwirken. Er arbeitete weiter bei der Tageszeitung 'Al-Ittihad‘, die als einziges arabisches Presseorgan die Vertreibung überdauerte. Auch der Kommunistischen Partei blieb er treu. Die israelische Verfassung bietet Parteien, die sich in ihrem Programm gegen den Zionismus wenden, keinen Raum. Eine „arabische Partei“ konnte deshalb nie entstehen, obwohl die Araber, die in Israel leben, stets volles Wahlrecht hatten. Ihre Opposition sammelte sich um die israelische Kommunistische Partei, welche sich als einzige politische Gruppierung nicht der zionistischen Idee verpflichtet fühlt. Emil Habibi war bis in die Mitte der siebziger Jahre Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der israelischen Kommunistischen Partei. In drei Legislaturperioden war er ihr Abgeordneter in der Knesset. Vor zwei Jahren erklärte er seinen Austritt aus der Partei und leitet nun einen eigenen Verlag in Haifa.

Sein literarischer Durchbruch gelingt ihm in den Jahren 1972 bis 1974, als sein Roman Der Peptimist in der Zeitung 'Al-Ittihad‘ erscheint. In diesem Roman versucht sich Said in Briefen an einen unbekannten Kommunisten für seine jahrelange Kollaboration mit der Staatsmacht zu rechtfertigen: „Ich weiß sehr wohl, verehrter Herr, wie hartnäckig Sie sich gegen gewisse Schlußfolgerungen wehren. Trotzdem, ist es nicht wahr? Wann immer ein Volk flüchtet, bleiben die Esel, und wann immer ein Volk bleibt, findet der Metzger nichts mehr, was er verwursten kann, außer dem Fleisch von Eseln.“ Die Zerrissenheit Saids faßt der Autor in das Kunstwort Peptimist: Pessimistisch sieht er, wie er immer tiefer in die Abhängigkeit seiner Arbeitgeber gleitet und weiß doch optimistisch, daß es ihm — wie vielen Landsleuten — weitaus tragischer ergehen könnte.

Dieser gelungene politische Roman ist darüber hinaus eines der sprachlich komplexesten Werke der zeitgenössischen arabischen Literatur. Ironie mischt sich mit den nackten Fakten der Vertreibung, der Unterdrückung und der Kriege. Pausenlos knüpft der Autor an die reiche Tradition arabischer Literatur an, von Tausendundeiner Nacht bis zu den Dichtern des 20. Jahrhunderts. Arabische Geschichte wie auch Weltgeschichte treten als Anekdoten auf. Das ursprüngliche Manuskript der deutschen Übersetzung sah allein 120 erklärende Anmerkungen vor. Habibi hinterläßt mit dieser Beschlagenheit in arabischen Traditionen den Eindruck, als wolle er sich über jeden Zweifel erheben, kein „reiner“ Araber mehr zu sein.

Sind die Araber in Israel „weniger Araber“?

In der Tat wurde diese Frage durch die anhaltende Kontroverse um die Preisverleihung neu aufgegriffen. Die Union der palästinensischen Schriftsteller und Journalisten forderte Habibi im April auf, den Preis, der ihm angetragen wurde, nicht anzunehmen. Mehr als jeder andere Literaturpreis sei dieser mit dem Ereignis verknüpft, das von den Arabern nur „An-Nakba“ genannt wird, die Katastrophe: Der Preis wird aus Anlaß des Jahrestages der israelischen Staatsgründung am 15.Mai 1948 vom Staatspräsidenten vergeben und sei damit keine Belohnung für literarisches Schaffen, sondern stehe im Dienste seines Stifters, der israelischen Regierung und der Erreichung ihrer politischen Ziele. Während sich die konservative Likud-Regierung auf der diplomatischen Bühne der in Madrid eingeleiteten Nahost- Gespräche mehr und mehr isoliere, lobe sie scheinheilig einen Vertreter der arabischen Literatur zum Zeichen innerer Toleranz, hieß es im April. Derweil nahm die Repression gegen die Intifada in den besetzten Gebieten und die Ausgrenzung der dort lebenden Palästinenser von ihren Arbeitsplätzen in Israel zu. Demonstrativ weihte der damalige Wohnungsbauminister Ariel Scharon im Westjordanland eine Siedlung nach der anderen ein.

Eine namhafte Reihe arabischer Intellektueller hat sich diesem Protest angeschlossen. Bei ihnen mischt sich die Kritik an staatlichen Literaturpreisen überhaupt — wie von seiten des in Paris lebenden Syrers Adonis — mit der Forderung nach einer Trennung zwischen Paß und Loyalität. Habibi trägt keine Schuld an seiner Staatsangehörigkeit, wohl aber sollte er es vermeiden, ihr zu große Anerkennung zu zollen.

Man muß sich dabei vor Augen führen, daß die Tage, in denen sich die PLO zu einer Anerkennung des Existenzrechtes Israels durchgerungen hatte, nicht allzu lange her sind. Auf dem palästinensischen Nationalrat 1988 in Algier setzte die Führung um Jassir Arafat eine solche Anerkennung durch. Sie leitete damit eine neue Politik ein, die auf das Zusammenbrechen des sozialistischen Blocks reagierte. In Zukunft konnte es nicht mehr genügen, als Befreiungsbewegung nur von einer Hälfte der Welt — den sozialistischen Staaten — anerkennt zu werden. Für den Auftritt auf dem diplomatischen Parkett mußte die Anerkennung Israels ebenso erbracht werden wie der Verzicht auf terroristische Aktionen. Israel verfemt die PLO aber weiterhin, selbst unter der neuen Regierung ist in diesem Punkt keine Änderung zu erwarten. Nach dem Abbruch der bilateralen Gespräche mit den USA im Mai 1990, dem diplomatischen Desaster während des Golfkrieges und den — bis zu den israelischen Wahlen — stockenden Nahost-Friedensgesprächen fühlen sich die Skeptiker bestätigt, die stets davor warnten, auf diesem Parkett ins Leere zu laufen.

Bis heute ist eine Diskussion über die Konsequenzen der Anerkennung Israels ausgeblieben. Zu sehr lastet die Macht des Faktischen— der militärischen Überlegenheit Israels und der andauernden Besatzung — auf dem Bewußtsein der arabischen Intellektuellen, so daß der syrische Kurde Salim Barakat über Habibi äußerte: „Er glaubt fälschlicherweise, daß die Annahme des Preises ein Schritt zum Frieden zwischen den beiden Völkern im ,Lande‘ sei, ohne sich festlegen zu müssen, welches Land gemeint ist. Aber es meint Israel und nicht Palästina.“

Für die liberale arabische Tageszeitung 'Al-Haiyat‘ ist der Fall Habibi auf dem Weg, die bislang noch verschlossene Akte einer Auseinandersetzung mit den Arabern israelischer Staatsangehörigkeit zu öffnen. Sie erklärt sich den Aufruhr mit der unklaren Haltung, die die Intellektuellen gegen jene „48er Araber“ in Israel haben. „Haben sie sich ihrem schwierigen Los für die Eigenschaft, weniger Araber — mit israelischem Paß — zu sein, ergeben?“

Während Habibis literarisches Werk nach wie vor über jede Kritik erhaben ist und in ihm „der Puls des Palästinensers“ schlägt, wird die Frage nach Habibi, dem Politiker, aufgegriffen. Kann ein Araber Abgeordneter der Knesset sein, wo er sich wie alle zur israelischen Nationalhymne erheben muß?

Verbittert über die Kritik und ihren Ton reagiert Habibi hochmütig: „Den Tumult, den einige meiner Schüler draußen gegen meine Kandidatur für den israelischen Kunstpreis in Literatur angezettelt haben“, so beginnt er seine Verteidigung in der in Jerusalem erscheinenden arabischen Zeitung 'Al-Quds‘, „diesen Tumult erachte ich als höchst voreilig und verworren, es mangelt ihm an jeglicher Verantwortung und auch Höflichkeit. Gerade das erweckt Zweifel über die wirklich damit angestrebten Ziele.“

Er habe nichts anderes getan, als in seiner Heimt zu verbleiben, einer Heimat, zu der es keine Alternative gebe, fährt Habibi fort. Dieses „Wunder des Verbleibens“ sei kein Geschenk, für das jemand den Preis der „Zionisierung“ zahlen müsse, sondern es sei das Recht des dort Geborenen. Er habe und er werde stets — auch durch die Annahme dieses Preises — ausdrücken, daß die Palästinenser nach wie vor in ihrer Heimat sind und dort bleiben werden.

Bewußt hat sich Habibi auch politisch für diesen Preis entschieden. Er sieht ihn als Schritt auf dem „gemeinsam gewählten Weg“, der jetzt mit den Friedensgesprächen begonnen wurde. Wenn seine Person nun für unglaubwürdig und treulos erklärt werde, so versteckten sich dahinter Angriffe auf diesen gemeinsamen Weg.

In der Tat mehren sich die arabischen Stimmen, die einen Abbruch der Gespräche fordern, solange keine konkreten Ergebnisse — wie etwa ein Autonomiestatus in den besetzten Gebieten — zu erwarten sind. Israel aber lehnte unter der Likud- Regierung jedes Zugeständnis ab. Zwar versprach der Wahlsieger Jitzhak Rabin, er wolle nach seiner Regierungsübernahme „ununterbrochen“ um ein Autonomiestatut für die besetzten Gebiete verhandeln, doch herrscht in arabischen Kreisen noch wohlwollendes Mißtrauen. Rabin wird eine solche Änderung zugetraut, aber gelingt es ihm damit, eine regierungsfähige Mehrheit zu erreichen, wo er auf Stimmen aus dem rechten Lager angewiesen ist? Ein erster Versuch mit der konservativen Tzomet-Partei scheiterte Anfang Juli, jene Partei war im Wahlkampf für eine kollektive Deportation „palästinensischer Agitatoren und ihrer Familien“ angetreten. Trotz aller Hoffnungsschimmer warnte auch die „Vereinigte Nationale Führung“ der Intifada vor zu großen Hoffnungen. In einem Flugblatt sah sie keine wesentliche Änderung der Besatzungspolitik in Sichtweite.

Doch Habibi steht nach wie vor zu den Verhandlungen. Nun reumütig zurückzuweichen nutze nur der anderen Seite. Denn das würde sie vom Druck befreien, wirklich etwas verändern zu müssen. „Jetzt, wo die palästinensische Führung den Rubikon überschritten hat, bietet der Schritt zurück keine Alternative mehr, sondern führt ins Verderben. Diejenigen, die draußen sitzen, würden sich natürlich freuen, falls sich die Verhandler am Ende reumütig auf die Finger beißen. Aber laßt sie nach Israel kommen oder dessen Verlautbarungen genau anhören, dann werden sie sich vergewissern, daß sich die israelischen Verantwortlichen nicht nur reuevoll auf die Finger beißen, sondern diese Finger ganz verschlingen.“

Habibi sieht sich nicht als einen Jean-Paul Sartre, der den Nobelpreis abgelehnt hat. Er meint, er lebe in einer anderen, einer neuen Zeit. „Ich bin ein palästinensischer Araber, der in Haifa geblieben ist. Ich konnte die Würde von beiden Seite ergreifen: an meinem Standpunkt festhalten, ohne meinen Wohnort preisgeben zu müssen.“

Doch die Fronten in diesem Streit verlaufen nicht entlang der Linie zwischen „draußen“ und „drinnen“, wie Habibi glaubt. Selbst Mitstreiter in der israelischen Kommunistischen Partei, wie Samih Al-Qasim, üben Kritik an ihm. Wie er sehen viele, die zu den Gesprächen stehen, hinter diesem Preis eine politische Strategie von der anderen Seite des Verhandlungstisches. Es wird sich zeigen, ob Habibi, der den Preis einen Monat vor den israelischen Wahlen annahm, damit ein Wegbereiter oder ein zu hoffnungsfroher Waghals ist. Derzeit steht er in der arabischen Welt isoliert. Einzig die neue Generation palästinensischer Politiker wie Hanan Aschrawi, Literaturwissenschaftlerin und Delegationsmitglied bei den Friedensgesprächen, und auch Faisal Husaini, haben die Verleihung des Israel-Preises an ihn begrüßt.

Emil Habibi: Der Peptimist oder Von den seltsamen Vorfällen um das Verschwinden Saids des Glücklosen. Deutsch von I. Abu Hashhash, H. Fähndrich u.a., Lenos Verlag, Zürich, 1992, 36DM.

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