piwik no script img

DEBATTEVerein der Wiedergänger

■ Kleiner Leitfaden durch das „Komitee für Gerechtigkeit“

Wieder einmal geht ein Gespenst um in Deutschland. Auffällig zahlreich sind diesmal die mitgeführten Gitarren. Das Motto lautet: Unsere Leichen leben länger. Wie Zombies aus langer tiefer Nacht tauchen die wandernden Seelen zum rechten Zeitpunkt wieder auf, um den Geknechteten und Geknebelten im Osten zu Hilfe zu eilen. Die Macht der Toten über die Lebenden — das Heiner Müllersche Grundmotiv hat nicht nur ihn selbst, sondern berufsmäßig Betroffene aller Zünfte dazu bewogen, gemeinsam mit dem geistigen Leichtathleten Diestel und dem rhetorischen Seiltänzer Gysi den betroffenen Ostdeutschen zuzurufen: Sprecht endlich eure Interessen selber aus!

Auferstanden aus dem Reich der Untoten

Schon ein flüchtiger Blick auf die Erstunterzeichnerliste zeigt: Hier sind Experten für Betroffenheit am Werke, hier wächst zusammen, was zusammen gehört, hier trifft Dummheit auf Chuzpe, Verdrängung auf Selbstoffenbarung, Schamlosigkeit auf Naivität, Seelenwanderung auf Kalkül, in einem Wort: Hier entsteht ein deutscher Verein.

Natürlich haben weder Gysi noch Diestel irgend etwas anzubieten, was praktikable Alternativen zum gegenwärtigen Schlamassel erkennen ließe. Demagogisch brillant der eine, halbseidenhemdsärmelig der andere, verkörpern sie das gerade Gegenteil einer Idee: die Mobilisierung des verbreiteten Gefühls, wieder einmal von der Obrigkeit, nun also dem Westen, eingemacht, im Stich gelassen, enteignet zu werden. Eigene Unfähigkeit wird dabei ebenso zurückgedrängt wie die kritische Reflexion 40jähriger SED- Herrschaft. Auch der Gedanke, daß Selbstbewußtsein nur durch offene, schmerzhafte Auseinandersetzung, nicht aber durch die Wiedereinrichtung eines Opferkollektivs entsteht, daß zum Protest der harte Streit um Argumente und nicht die autoritäre Delegation von Schuld und Verantwortung gehört, liegt den Matadoren des Ost-Populismus fern, die die Zügel in der Hand behalten wollen. Bewußt verzichten sie auf jede Programmatik, um möglichst viele Ressentiments zu vereinen, das nur noch Täter (im Westen) und Opfer (im Osten) kennt.

Es ist kein Zufall, daß die „Komitees für Gerechtigkeit“ sich nicht wie Bürgerinitiativen spontan und autonom von unten entwickeln, sondern von oben mit Hilfe des SED/PDS- Apparates und eines riesigen PR- Auftriebs implantiert werden sollen. Nur folgerichtig, daß die meisten westdeutschen Gründungsmitglieder dieser Talk-Show-Volksfront gerade nicht aus den Protestbewegungen von BRD und DDR kommen, sondern aus dem Reich der Untoten von Stamokap und Friedenskampf, zwischen Schickimicki und scheintot.

Franz-Josef Degenhardt und Hannes Wader, Dietrich Kittner und Max von der Grün wiedervereint im Kampf für Gerechtigkeit in der Ex- DDR — da schnalzt die Zunge des Kenners, da gerät der automatische Fahrtenschreiber der Zeitgeschichte mit 20jähriger Löschfrist ins Schlingern, da rastet selbst Schreinemakers Lügendetektor aus, weil die Skalengrenze zur absoluten Verlogenheit gewaltsam überschritten wird. Die Obszönität dieses recycelten DKP- Altherrenklubs realsozialistischer Hofschranzen übertrifft noch die raffinierte Plumpheit der Pampers- Werbung: Auch wenn sie wie begossene Pudel dastehen, sind sie schon wieder ganz trocken. Auch wenn sie vor Scham im Erdboden versinken müßten, bilden sie über den offenen Gräbern ihrer abgründigen Ignoranz noch schnell ein Komitee der Selbstgerechten.

Nach mehrjähriger Latenzphase wegen ideologischer Unpäßlichkeit betreten die Wiedergänger der sozialistischen Gitarrenherrlichkeit so noch einmal die politische Bühne und schmettern das unzerstörbare Lied vom bösen Kapitalismus, der das Unglück in die Welt und nun auch die FNL-„Kolonie“ (Grün) gebracht hat. West-Anwalt Heinrich Hannover fühlt sich — denkt er an die Ostdeutschen — fast an die Behandlung der „Neger in Afrika“ erinnert, ebenso, wie ihn die rechtsstaatliche Justiz an die stalinistische gemahnt, welche „nur mit umgekehrten Vorzeichen, genauso einseitig judiziert“ (taz 15.1.92). Das wiederum gefällt Stefan Heym und Stephan Hermlin („Schande über die taz!“ rief er, als sie Stasi-Listen druckte), die unermüdlich die westliche „Hetzjagd“ auf die DDR-Identität anprangern und sich auf ihre alten Tage rächen, indem sie die Gauck-Behörde oder die Treuhand zu Nachfolgerinnen des „allesbeherrschenden SED-Politbüros“ erklären. Darüber freut sich Gerhard Zwerenz, dem jede Verunglimpfung Spaß macht, die nicht ihn selber trifft.

Recycelter DKP-Altherrenklub

Die begabten Stimmenimitatoren und Kabarett-Millionäre Thomas Freitag und Stephan Wald („Hungergala“) dagegen motiviert — wie auch Bettina Wegener und Ina Deter („Neue Männer braucht das Land“) — gerade die Kolonial-Metapher: Für die „Dritte Welt“ haben sie immer ein offenes Herz. Nicht anders geht es der Toskana-Expertin und Schnattertante Elke Heidenreich (ZDF live), die Ungerechtigkeiten einfach nicht ertragen kann. Den werttheoretischen und warenästhetischen Begründungszusammenhang liefert Wolfgang Fritz Haug („Die Ware ist eine Banane“). Im Kampf gegen Rüstungswahn und Männerherrschaft hat die Theologin Dorothee Sölle ihr halbes Leben zugebracht. Wo immer ein Platz auf dem Podium frei, ein Friedenstuch ungeschürzt oder die Spalte einer Unterschriftenliste ungenutzt war, da setzte sie sich hin, band sich das Protestsymbol um und unterschrieb. Und stets kam der Westen schlecht weg, die Verhältnisse östlich der Elbe, im sozialistischen Friedenslager, aber gar nicht vor. So kann Dorothee Sölle ihren Lebenskampf für soziale Gerechtigkeit heute gemeinsam mit IM „Heiner“ Fink, ehemals führendes Mitglied der sozialistischen Friedenskonferenz der DDR, konsequent fortsetzen. Auch Günther Maleuda, letzter Vorsitzender der DDR-Bauernpartei, und Marxismus-Professor Jürgen Kuczynski, wollen sich dem grundguten Anliegen des Vereins nicht verschließen. Rio Reiser („König von Deutschland“) und Eugen Drewermann (Antipapst) haben dagegen noch weitreichende Ambitionen: Urbi et Ossi, ein Programm, das Heinrich Albertz und Gottfried Forck aus der tiefchristlichen Seele gesprochen ist.

Was aber habt ihr dabei zu suchen!?

Bei aller Eintracht auf dem west-östlichen Diwan fallen einige Ausreißer ins Auge. Was etwa haben der Anarcho-Kabarettist Heinrich Pachl und der Wortakrobat Dieter Hildebrandt in diesem Verein zu suchen — was der 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossene Klaus Schlesinger und was, bitteschön, taz- Chefredakteur Michael Sontheimer? Wie weit darf die pure Menschenfreundlichkeit, das an sich Gutgemeinte gehen, bevor es zur gemeinen Dummheit wird? Was treibt den Mitbegründer der undogmatisch linken taz an die Seite derer, die sich in ihrer blöden, spätstalinistischen Blindheit über die „bürgerlichen Greuelmärchen“ vom sowjetischen Gulag, über Charta 77 und Solidarnosc erregten und jetzt einfach dort weitermachen, wo sie schon damals aufgehört haben zu denken.

Oder ist am Ende die Frage wichtiger, wer nicht dabei ist in dem Verein? Wo bleibt Horst-Eberhard Richter („Flüchten oder Standhalten“), wo Egon Krenz („Für unser Land“), Günter Gaus, Christa Wolf, Johannes Mario Simmel („Es muß nicht immer Kaviar sein“)? Sind etwa Eduard von Schnitzler, Gunter Emmerlich, Katrin Krabbe, Bernt Engelmann, Walter Jens, Jörg Wontorra, Alice Schwarzer, Rudi Völler und Fritz Egner („Dingsda“) gegen Gerechtigkeit für den Osten?

Wie stets bringt es Heiner Müller auf den Punkt: „Die Wirklichkeit ist vielfältiger, als das aufgeklärte Denken ertragen kann.“ Eben. Aber den gespenstischen Rückzug in eine Nostalgie von Notgemeinschaft, Klassenkampf und Erlösungsglaube hat weder der Osten noch der Westen Deutschlands verdient. Reinhard Mohr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen