: "Ein letztes Aufbäumen"
■ 120 Gummibäume fasten für die Rettung des Regenwaldes: Der Hamburger Künstler Ernst Kahl und sein Beitrag zur Kasseler Ausstellung Caricatura/Ein Gespräch
INTERVIEW
„Rauhhaardackel waren auch im Gespräch“ 120 Gummibäume fasten für die Rettung des Regenwaldes: Der Hamburger Künstler
Ernst Kahl und sein Beitrag zur Kasseler Ausstellung Caricatura
Wie geht es deinen Gummibäumen?
Wie ich höre, gibt es so ein letztes Aufbäumen. Das sieht man auch bei Tieren im Todeskampf, da gibt es noch so etwas wie Erektionen zum Beispiel. Die Pflanzen versuchen oben noch einmal mit der letzten Energieleistung ins Kraut zu schießen, und unten fangen sie doch schon an, braun zu werden.
Hast du kein schlechtes Gewissen?
Es verfolgt mich schon. Ich hatte neulich einen ganz schrecklichen Traum. In meinem Zimmer wuchsen aus den Wänden Gummibaumblätter, ich versuchte zu fliehen und kam nicht mehr raus, die Lianen versuchten meinen Hals zu würgen und es kamen immer mehr Gummibäume und von der Decke schossen sie herunter und aus dem Fußboden wuchsen Gummibäume und ich wachte dann schweißgebadet auf. Aber im Traum habe ich soviel schwitzen müssen, daß die Gummibäume von meinem Schweiß Feuchtigkeit zogen.
Aber abbrechen willst du die Fastenaktion nicht?
Ich würde sofort abbrechen, wenn zum Beispiel in Malaysia oder in Amazonien darüber nachgedacht würde und wenn es einen vorläufigen Abholzstopp gäbe. Dann würden die Gummibäume sofort Wasser bekommen, und sie würden dann auch im städtischen Gewächshaus ein Ehrenterrain haben, als Heroes, als Pflanzenheroes.
Werden die Pflanzen vielleicht künstlich am Leben erhalten?
Nein, das mache ich nicht. Man darf natürlich auch nicht vergessen, es handelt sich um Pflanzen. Es war auch mal im Gespräch, junge Rauhhaardackel da fasten zu lassen. Und da habe ich gesagt, da mache ich nicht mit, das geht mir eine Stufe zu weit.
Wie geht es denn den Kakteen?
Die blühen und gedeihen, das sind ja die reinsten Hungerkünstler, und ich meine, die wollten mitmachen, und da habe ich gesagt okay. Es haben sich sehr viele Kakteen beworben und sechs sind dabei.
Gibt es da jetzt eine Art Konkurrenz?
Ich verstehe es, den Pflanzen zuzuhören und kann das auch deuten, was sie wispern und raunen. Und bei den Kakteen ist ein leises Kichern zu vernehmen. Ich finde das auch ein bißchen unangebracht, aber na ja, ich habe ihnen versprochen, daß sie dabei sind. Die wollten halt auch mal auf eine große Kunstausstellung.
Machen sich die Kakteen etwa über die Gummibäume lustig?
Nein, die freuen sich ihres Lebens. Aber wenn man bei den Gummibäumen ein bißchen genauer hinhört, die singen Klagelieder.
Was meinst du, wie lange die noch durchhalten?
Ich kenne mich da nicht so aus, aber es ist ja für alles gesorgt. Das Licht und die Temperatur stimmen, alles optimal. Es ist exakt die Temperatur, die in malaysischen subtropischen Gegenden herrscht, da stammt der Gummibaum ja auch her. Also unter den Bedingungen hier, zum Beispiel in einer Kneipe, würden die wohl längst schon krepiert sein.
Aber die wußten, was ihnen blüht?
Ja natürlich. Das war eine Aktion von Gummibaumfreunden, die sich auch auf deren Sprache verstehen, und da gab es eine Umfrage, und da haben sich sehr viele gemeldet, von denen wir eine Auswahl getroffen haben. Schulterhöhe 30 Zentimeter. Also Gummibaumschulterhöhe.
Was gab es für Reaktionen auf die Fastenden Pflanzen?
Es soll ja schon Briefaktionen gegeben haben, daß Leute an die Botschaften der Regenwaldländer geschrieben haben, aber es hat sich bisher nichts gerührt. Der Botschafter von Brasilien war ja wohl auch auf der documenta, und der ist verschämt an diesem Schaufenster vorbeigeschlichen.
Was passiert denn mit den Pflanzen nach den hundert Tagen Fasten?
Wenn sie totgegangen sein sollten, dann wird das, was von ihnen übrigbleibt, in einem Ehrenhain aufgestellt werden, und die von ihnen abgefallenen Blätter werden von mir signiert und eingeschweißt und versteigert. Und der Erlös kommt dann der Aktion Ein Pate für den Regenwald zugute.
Was ist das für eine Aktion?
Das ist eine persönliche Aktion von mir. Ein Pate für den Regenwald, das bin ich. Dafür habe ich ein Privatkonto, und da mache ich dann Urlaub von.
Im Regenwald?
Ja, ich gucke mich da mal ein bißchen um.
Steht deine Aktion Fastende Pflanzen in der Tradition der Sozialen Plastik?
Also die signierten Blätter kann man sich ja an die Wand hängen, und das sind Sachen, die werden ja als Kunstwerke wohl Menschenleben überdauern, und die gemahnen an eine bestimmte Aktion, und irgendwann werden Menschen im Museum verschämt davor stehen und werden sich daran erinnern, daß mal eine ganz große Chance vertan worden ist.
Fragen: Mechthild Bausch
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