: Mangel an Arbeit
Als neues und äußerst besorgniserregendes Phänomen wertet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), daß die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern auch bei anhaltendem Wirtschaftswachstum extrem hoch geblieben ist. Dadurch sind die Arbeitsuchenden heute in einer so schwachen Position, daß sie von den Arbeitgebern immer leichter ausgebeutet und ausgenützt werden können. Ein paar Zahlen: Als traurige Spitzenreiter in Sachen Arbeitslosigkeit nennt die OECD Irland (16,5 Prozent), Spanien (15,2 Prozent), Italien, Dänemark, Frankreich, Finnland, Großbritannien, Belgien und Griechenland (alle rund 10 Prozent). Fast keine Erwerbslosen gibt es in Luxemburg, der Schweiz und Island (2Prozent oder weniger). Die übrigen Länder liegen dazwischen, in Westdeutschland sind demnach 5Prozent arbeitslos gemeldet. Diese Zahlen sind natürlich nur grobe Indikatoren. So differenzieren sie nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeit. Extrem hoch ist in vielen Ländern die Zahl der Frauen mit Teilzeitjobs (Niederlande 61,7; Norwegen 48; Großbritannien 44; Bundesrepublik 30 Prozent). Dadurch sind Frauen oft benachteiligt, denn sie verlieren den Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und haben kaum Aufstiegschancen. Die weibliche Arbeitslosenrate in Italien, Belgien, Spanien und den Niederlanden liegt mehr als doppelt so hoch wie die männliche. In allen Industrieländern gibt es eine Tendenz zu unsicheren Arbeitsverhältnissen. In Großbritannien waren 1980 ein Drittel aller Stellen keine regelmäßig bezahlten Vollzeitjobs, 1990 betraf dies bereits 40 Prozent aller Arbeitsverhältnisse. Neben der ungewollten Teilzeitarbeit müssen die Arbeitnehmer immer häufiger mit folgenden Situationen rechnen:
— Zeitverträge: Mindestens die Hälfte aller Jobs, die in den achtziger Jahren in Deutschland, Spanien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden geschaffen wurden, waren zeitlich befristet.
— Zeitvermittlung: Die Zahl der Agenturen, die Zeitverträge vermitteln, hat sich in der Bundesrepublik von 1982 bis 1987 verdoppelt. In Spanien, Griechenland und Italien sind solche Agenturen verboten.
— Selbständige Arbeit: In Portugal sind zwar nur 4,5 Prozent arbeitslos gemeldet, 17 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten jedoch auf eigenes Risiko.
— Heimarbeit: In Italien müssen 40 Prozent der Arbeitskräfte zu Hause arbeiten. In Osteuropa haben die wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen bereits Millionen Arbeitsplätze gekostet, doch die Zahlen über die Arbeitslosigkeit steigen erstaunlich langsam. Polen vermeldet 10 Prozent Arbeitslosigkeit, Ungarn und die Tschechoslowakei nannten vor einem Jahr Raten von 4,7 Prozent. Die ILO befürchtet, daß sich die Arbeitslosigkeit in Osteuropa auf lange Sicht auf Raten zwischen 15 und 20 Prozent einpendeln wird. Bettina Kaps
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