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Brennende Häuser, Ruinen, Geröll

■ Gorazde mit Panzern angegriffen/ Weltsicherheitsrat beschließt Entsendung 500 zusätzlicher Blauhelme nach Sarajevo/ Österreich schlägt dreitägiges Ultimatum zur Beendigung der Kämpfe vor

Sarajevo (dpa/AP/taz) — „Es erwartet uns nur noch der Tod“, schreit der Reporter von Radio Sarajevo ins Mikrophon. Sein Augenzeugenbericht beschreibt das „höllische Kriegsdrama“ in der ostbosnischen Stadt Gorazde. Noch einmal hatte sich gestern die Lage zugespitzt, als serbische Truppen nach tagelangem Beschuß mit 100 Panzern und Flugzeugen offenbar zum entscheidenden Sturm angesetzten. „Wir werden von allen Seiten mit allen Waffen angegriffen, und die Stadt wird systematisch zerstört“, hieß es in dem Bericht. Brennende Häuser, verkohlte Ruinen und Geröll auf fast allen Straßen, so sähe es inzwischen in dieser mehrheitlich von Moslems bewohnten Industriestadt aus.

Für die Bevölkerung ist die Lage unerträglich geworden: Die 70.000 Einwohner und 30.000 Flüchtlinge in der Stadt leben ohne Strom, Wasser, Arzneimittel und Nahrung. Seit Tagen müssen sie immer wieder aus Notunterkünften in die wenigen nicht zerstörten Keller flüchten. Neben Privathäusern und Schulen hatten gestern aber auch drei wichtige Industriebetriebe Feuer gefangen — darunter die örtliche Stickstoff-Fabrik. Die Warnungen der Moslems, durch die Zerstörung dieser Fabrik könnte eine ökologische Katastrophe verursacht werden, schien niemand ernst zu nehmen. Am allerwenigsten die serbischen Angreifer. Sie behaupteten zynisch, es bestünde in dieser Beziehung überhaupt keine Gefahr, da die Tanks des Unternehmens weitgehend leer seien.

In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo werden derweil immer mehr UNO-Soldaten stationiert. So beschloß der Weltsicherheitsrat in New York die Endsendung von 500 zusätzlichen Blauhelmen nachdem vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen am Montag abend 16 Granaten explodierten. Nach Berichten von Fernsehjournalisten sollen dabei mindestens drei Menschen getötet und 25 verletzt worden seien. Mit der Entsendung weiterer Soldaten folgte das 15köpfige Gremium einem Antrag von UNO-Generalsekretär Butros Ghali. Er hatte die Aufstockung der mit humanitären Aufgaben beauftragten Blauhelme auf 1.600 Mann verlangt.

In Kroatien stehen inzwischen 14.000 UNO-Soldaten, die die Konfliktparteien trennen sollen. Im Anschluß an die öffentliche Sitzung trat der Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen zusammen. Hier sollte über die Forderung Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas nach einem militärischen Eingreifen und einen Bericht Ghalis über die Lage auf dem Balkan diskutiert werden. Wie UNO-Diplomaten mitteilten, ist die Entscheidung für ein militärisches Eingreifen unwahrscheinlich, da mit diesem Schritt auch die leicht bewaffneten Blauhelme in Bosnien der Gefahr von Angriffen ausgesetzt würden.

Bei der nichtöffentlichen Sitzung am Dienstag morgen beriet der Sicherheitsrat auch über einen Resolutionsentwurf, in dem Serbien bis Donnerstag ein Ultimatum zur Beendigung der Kämpfe und Menschenrechtsverletzungen in Bosnien eingeräumt werden soll. Der Resolutionsentwurf, den Österreich vorgelegt hatte, sieht vor, daß Generalsekretär Ghali bis zum 16. Juli einen Bericht mit einer Beurteilung des serbischen Verhaltens einreichen soll. In der Resolution wird die Offensive serbischer Truppen in Bosnien verurteilt und mit „weiteren Schritten“ der UNO gedroht. bz

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