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„Wir wollen unsere Brücke wiederhaben!“

In keiner anderen bundesdeutschen Stadt regt sich ein so breites Bündnis gegen die Verkehrspolitik wie in Berlin/ Für Autonome und linke SPDler wird eine Brücke zum Dreh- und Angelpunkt der Stadtplanung/ Polizei räumte Hüttendorf  ■ Aus Berlin Dirk Wildt

In der Hauptstadt erreicht die Auseinandersetzung um die Verkehrspolitik eine neue Qualität. In der vergangenen Woche ließ Berlins Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) von 2.500 Polizisten eine Brücke räumen, die vier Tage von etwa 50 Autonomen besetzt worden war. Das Polizeiaufgebot schien übertrieben. Doch an der massiven Zurschaustellung der Staatsmacht wird deutlich, welche Bedeutung der Senat der Oberbaumbrücke zumißt, der Brücke, die die Bezirke Kreuzberg (West) und Friedrichshain (Ost) über die Spree hinweg verbindet und über die ab 1994 die Autolawine rollen soll.

Die Angst der Landesregierung, die Proteste gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr nicht in Grenzen halten zu können, kommt nicht von ungefähr. Durch die Wiedervereinigung, das Zusammenwachsen der beiden Stadthälften, Regierungssitz und Olympiabewerbung hat die Verkehrsplanung in Berlin eine Bedeutung wie in keiner anderen Stadt der Republik. Die Oberbaumbrücke, seit dem Mauerbau nur für Fußgänger passierbar, spielt eine Schlüsselrolle. Sie bildet eine von zwei Lücken eines „inneren Stadtrings“. Ein immer breiter werdendes, bunt zusammengewürfeltes Bündnis von AnwohnerInnen, Stadtteilinitiativen, BezirkspolitikerInnen und Autonomen wehrt sich gegen die Pläne der CDU/SPD-Koalition, diesen Stadtring für den Autoverkehr zu vervollständigen. Auch wenn sich die Motive der einzelnen Gruppen unterscheiden, scheint man sich über die strategische Bedeutung der Oberbaumbrücke einig zu sein.

Insofern verwundert es auch nicht, wenn sich Kreuzbergs autonome Szene seit neustem für Verkehrspolitik interessiert und eine „Brücken-Ini“ die über 100 Jahre alte Brücke besetzte und dort ein Hüttendorf zimmerte. Mit ihrer Aktion wollten sie erreichen, daß der Senat, statt Asphalt auszurollen, Schienen legt. Neben der geplanten U-Bahn sollte auch die Straßenbahn über die Spree fahren. Zwar beendete der Bausenator mit tatkräftiger Unterstützung der Polizei die Besetzung — nicht aber den Konflikt um die Brücke. Am vergangenen Freitag solidarisierten sich etwa 1.000 Menschen mit den Autonomen, die in zwei Demonstrationszügen aus dem Ost- und dem Westteil der Stadt zur Brücke marschierten. Nicht die Anzahl beeindruckte, sondern das Spektrum der Teilnehmer. An der Spitze des Kreuzberger Zuges trugen VertreterInnen des „Bündnis Innenstadtring“ — ein Zusammenschluß von 50 Stadtteilinitiativen — eine selbstgebastelte Holzstraßenbahn. Darunter auch linke SPDler. Der Straßenbahn der „Linie 3“ folgten Leute in Black jeans und Palästinensertüchern, die eine schwarze Totenkopffahne trugen. „Olympiamacher und Stadtplanerstrategen, wir werden Euch das Handwerk legen“, kündigten die Radikalen auf einem Transparent an.

Daß an der Oberbaumbrücke breiter Protest laut wird, hat verschiedene Gründe. AnwohnerInnen aus dem eher bürgerlichen Milieu haben ein unwohles Gefühl, weil sie mit der für 1994 geplanten Öffnung der Brücke eine massive zusätzliche Verkehrsbelastung befürchten. Bürgerinitiativen rechnen damit, daß in Kreuzberg und Friedrichshain auf dem Stadtring die Zahl der täglich etwa 20.000 Autos auf bis zu 60.000 zunehmen wird. Eine weitere Zunahme des PKW- und Lastwagenverkehrs wäre aber aus gesundheitlichen Gründen nicht zu verantworten. Schon jetzt stinkt die Luft in den Straßen der Innenstadtbezirke stärker, als die EG erlaubt, meldete Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) in diesem Jahr. Auch die empfohlenen Höchstwerte für Lärm werden jetzt schon überschritten.

Der Senat hat zwar eine verwaltungsübergreifende Arbeitsgruppe gebildet — doch zur Verbesserung der Situation hat die Landesregierung bisher nichts beigetragen. Statt dessen wird in einer Rohfassung des Hauptstadtvertrags zwischen Berlin und der Bundesregierung geplant, die Innenstadtbezirke weiter zu entmachten. In der Bau- und der Verkehrspolitik soll im Zweifelsfall der Senat das letzte Wort haben.

Für den Senat wäre das eine äußerst vorteilhafte Hauptstadtklausel. Denn zunehmend kippen die Politiker in den Bezirksparlamenten um. Ihnen wird immer deutlicher, worauf eine Vervollständigung des inneren Stadtrings, eines mittleren Stadtrings und die Verlängerung mehrerer City-Autobahnen hinausläuft: auf mehr Verkehr. Inzwischen hat die SPD den radikalsten Gegner der Senatspläne in ihren eigenen Reihen. Der Friedrichshainer Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu wendet sich gemeinsam mit seinem Bezirk gegen eine Öffnung der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr. Mediburu begrüßte die Besetzung der Brücke von Autonomen als „politischen Druck“.

Daß in den Bezirken zunehmend nicht mehr der Verkehrspolitik des Senats das Wort geredet wird, ist kein Zufall. Stadträte und Bezirksverordnete sind näher am Bürger als Senatoren oder Abgeordnete. Sie waren im Gegensatz zu den Landespolitikern dann auch zu Hauf zu sehen, als kurz vor den Bezirksverordnetenwahlen im Mai dieses Jahres 20.000 Menschen auf dem geplanten Innenstadtring gegen seine Vervollständigung demonstrierten. Schon damals deutete sich an, auf welche breite Basis der Protest gegen den Verkehrskollaps stößt.

Die Autonomen wiederum mischen mit, weil der geplante Innenstadtring gewachsene Kieze rund um die City zerschneiden werde, hieß es in einer Demo-Rede. Dienstleistungszentren würden entstehen, Mieten steigen und Yuppie-Kultur würde sich breit machen, „um uns zu vertreiben“. Am Freitag gaben die Autonomen eine Parole aus, die auf breite Zustimmung stieß und deshalb dem Senat schwer zu schaffen machen könnte: „Erobern wir uns die Brücke zurück.“

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