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Einig, bunt und demokratisch für die Mittelklasse

Auf dem Parteitag der Demokraten in New York wurde auf einer Riesen-Party Präsidentschaftskandidat Clinton hofiert/ Sein Ziel: Die Partei soll von dem Ruf befreit werden, sich allein für die Interessen von Minderheiten zu engagieren  ■ Aus New York M. Sprengel

Wer zum ersten Mal dem Convention-Spektakel einer amerikanischen Partei beiwohnte, mußte sich ernsthaft fragen, ob er auf der richtigen Veranstaltung gelandet war. Der Broadway ist zwar einige Blocks vom Madison Square Garden entfernt. Der Unterhaltungswert des demokratischen Parteitags stand aber in nichts hinter dem zurück, was den Zuschauern für gewöhnlich auf der legendären Showmeile der USA geboten wird. Dafür sorgten unter anderem „Will Rogers und die Follies“, was auf gut deutsch so viel wie Dummheiten bedeutet. In diesem Fall bezog sich diese Bezeichnung auf rund ein Dutzend in knappe Ensembles — natürlich in den Landesfarben blau, weiß, rot — gezwängte Tanzmariechen, die zur allgemeinen Freude der Parteitagsdelegierten ihre Beine kräftig in die Luft warfen.

Showeinlagen dieser Art gehörten am ersten Abend des 41. Demokratischen Parteitags ebenso zum sorgfältig geplanten und inszenierten Programm wie die damit abwechselnden Reden von verdienten Parteisoldaten und -soldatinnen. In einer Art Beschwörungsformel versicherte einer nach dem anderen: Die Demokraten hätten nach Jahren innerer Zerrissenheit unter dem neuen Führer Bill Clinton ihre Einigkeit wiedergefunden, sich sogar politisch gemäßigt und seien deshalb jetzt regierungsfähig.

Perfekt produzierte Kurzvideos über einzelne Parteigrößen flimmerten über drei Riesenleinwände. So wußten auch die Delegierten aus Wisconsin und Guam in der hintersten Ecke die dann folgenden Redner zu schätzen. Mit großem Tusch des Parteitagsorchesters wurden Beginn und Ende jeder Worteinlage bedacht und den Delegierten außerdem mit einer entsprechenden Light-Show signalisiert, an welcher Stelle sie in donnernden Schlußapplaus zu verfallen hatten.

„Wir sind nur hier, um zu feiern und mal richtig Spaß zu haben“

Wie sehr sich der Charakter der amerikanischen Parteitage von einer Versammlung, die über Parteiprogramm und Präsidentschaftskandidaten entscheidet, hin zu einer großen mehrtägigen Party verwandelt hat, die allein die Krönung des zuvor ausgewählten Kandidaten feiert, läßt sich allein an der Kleidung der Delegierten ablesen. Noch in den sechziger Jahren bestimmten geschäftsmäßige Anzüge und Kostüme das Bild. Heute dagegen hat man Mühe, unter all den bunten T-Shirts, Baseball-Kappen und den mit Buttons überladenen Strohhüten ein eher formelles Outfit auszumachen.

„Die ganze Arbeit ist doch getan, wir sind nur hier, um zu feiern und Spaß zu haben“, brachte denn auch eine Delegierte die Stimmung auf den Punkt. In der Tat. Die Arbeit — sprich die Auswahl des Präsidentschaftskandidaten — ist bereits von den amerikanischen Wählern seit Februar in den sogenannten Vorwahlen geleistet worden. Die Medien haben dabei mit ihrer Berichterstattung kräftig mitgeholfen, um nicht zu sagen manipuliert. Verärgert über das angeblich undemokratischen Auswahlverfahren, bei dem sich die Parteielite in den immer wieder gerne zitierten „verrauchten Hinterzimmern“ auf einen Kandidaten verständigte, war Mitte der fünfziger Jahre das Primary-System in immer mehr Staaten installiert worden. So sollte dem einfachen Wähler mehr Mitbestimmung eingeräumt werden. Der Erfolg: Die „Conventions“ beider Parteien sind seitdem zu reinen Ratifikationsveranstaltungen degeneriert. Selbst das Parteiprogramm der Demokraten ist in diesem Jahr im Vorfeld des Parteitags zusammengezimmert worden — es ist allerdings sowieso nur als Wahlkampfplattform im November relevant, ansonsten für kein Parteimitglied bindend.

Wozu also der ganze Zinnober? Wozu 5.000 Delegierte aus allen Himmelsrichtungen an einen Ort transportieren und vier Tage lang ab 17 Uhr bis kurz vor Mitternacht im „Garden“ zusammentreiben? „Der Parteitag erneuert die Tradition, die Partei bestimmt ihre Richtung neu und festigt ihre Identität.“ So lautete am vergangenen Sonntag die Erläuterung des Historikers Arthur Schlesinger, Berater mehrerer demokratischer Präsidenten im Magazin der New York Times. Vor allem aber, so Schlesinger, vereine die „Convention“ die Partei für den vor ihr liegenden Wahlkampf.

Nachdem die Demokraten jetzt zwölf Jahre lang aus dem Weißen Haus verbannt sind, ist Einigkeit (um jeden Preis) für viele das Zauberwort. Der Preis, den der Kandidat Bill Clinton der Partei abverlangt, ist allerdings hoch. Als Mitbegründer des konservativen „Democratic Leadership Council“ hat der Gouverneur aus Arkansas schon seit Jahren versucht, die Demokraten in die Mitte des politischen Spektrums bzw. nach rechts zu bewegen.

Nach zwölf Jahren Abstinenz gilt jetzt Einigkeit um jeden Preis

Mit der Verabschiedung seiner Plattform am Dienstag abend ist ihm das endgültig gelungen. Clinton will seine Partei von dem Ruf befreien, allein für die Interessen von Minderheiten einzutreten und darüber Teile der weißen Mittelklasse vergessen zu haben. Mit einem Skript, das Regierungsprogramme klein, persönliche Verantwortung aber groß schreibt und das Reizwort Sozialfürsorge in diesen Kontext stellt, hofft Clinton, die an die Republikaner verlorenen Wähler zurückzugewinnen.

Der einzig schiefe Ton in all dem Gleichklang wurde in New York von Jerry Brown angeschlagen, dem ehemaligen Gouverneur aus Kalifornien. Er war bei den Vorwahlen bis zuletzt gegen Clinton angetreten. Etwas mehr als 600 Delegierte haben ihm sein Beharrungsvermögen und sein Versprechen von radikalen Reformen eingebracht. Clintons Nominierung konnte er zwar nicht gefährden, aber zumindest — wie es sein Stil ist — für ein bißchen Aufruhr und Unruhe sorgen.

Mit Trillerpfeifen und lauten „Laßt Jerry reden“-Rufen störten Browns Anhänger den ansonsten so harmonisch erscheinenden Parteitag solange, bis Parteiführung und vor allem das Clinton-Lager dem selbsternannten Sprecher der Armen und Entrechteten nach langem Zögern Redezeit zugestanden. „Ich will das, was von mir in dem Prozeß übrig bleibt“, beharrte der Egomane Brown in einem Fernsehinterview. Seine Weigerung, Clinton öffentlich zu unterstützen, und das damit verbundene Gerangel um Redezeit wurde in der Berichterstattung der US-Presse nur von den Notizen über die unzähligen Cocktailpartys und Empfänge (an die 100 pro Tag) übertrumpft, die den Fetencharakter des Parteitags unterstreichen.

Überhaupt hatten die großen Fernsehsender ABC, NBC und CBS in diesem Jahr entschieden, ihre Berichterstattung über das New Yorker Spektakel auf magere 60 bis 90 Minuten zu beschränken. Mangelndes Zuschauerinteresse könnte die Parteistrategen sogar dazu bringen, die „Conventions“ nach der Jahrhundertwende von jetzt vier (der längste Parteitag — 1924 ebenfalls in New York — zog sich über endlose 17 Tage hin) in drei oder sogar zwei Tagen über die Bühne zu bringen. Das Unterhaltungsprogramm wird einer solchen Straffung aber sicher nicht zum Opfer fallen.

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