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Neonazi gerät unter Verdacht

Rechtsradikalenprozeß in Eberswalde: Wie viele Zeugen gehören eigentlich auf die Anklagebank?  ■ Aus Eberswalde Bascha Mika

„Daß wir keine Linken aus Kreuzberg sind“, sagte der Typ mit dem kurzgeschorenen Nacken lakonisch, „versteht sich von selbst.“ Zumindest im Gerichtssaal von Eberswalde wurde Mathias M. durchaus verstanden. Schließlich hatte der 21jährige Dachdecker kurz vorher seine „Freunde“ aufgezählt: Rechtsradikale aus Eberswalde und Umgebung.

Vor dem 5. Strafsenat des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder mußte Mathias M. gestern als Zeuge aussagen. Verhandelt wird gegen fünf junge Männer aus der Skin- und Heavy-Metal-Szene. Im November 1990 wollen sie auf den Angolaner Amadeu Antonio so lange eingeschlagen und -getreten haben, bis sie ihm das Leben ausgeprügelt hatten. Doch nicht wegen Totschlags sind die fünf angeklagt; zur Last gelegt wird ihnen nur schwere Körperverletzung mit Todesfolge. „Ach, es sterben so viele Menschen“, bemerkte der bullige Dachdecker gelangweilt. „Ich hab' andere Probleme.“ Auch das Gericht hatte am 6. Verhandlungstag andere Probleme als den Zynismus des Zeugen. Je mehr Leute gehört werden, desto stärker wird ein Verdacht: Viele von denen, die auf dem Zeugenstuhl sitzen, gehören eigentlich auf die Anklagebank. Kaum einer, der hier über das Verbrechen aussagen soll, war nicht in irgendeiner Form daran beteiligt. Denn fast alle gehören sie zu den 30 bis 40 Heavys und Skins, die auszogen, „Neger aufzuklatschen“, die sich an der Schlägerei direkt beteiligten oder zumindest billigend zusahen.

„Mitgeloofen bin ich, ja klar“, erzählte Guido S. dem Gericht im runengeschmückten T-Shirt. In der Mitte des Zuges, der auf dem Weg zur „Negerdisko“ war, wäre er gegangen. Glaubt man ihm und anderen Zeugen, waren sie eigentlich alle immer irgendwo in der Mitte oder am Ende der randalierenden Gruppe, niemand an der Spitze. Und irgendwie lag Amadeu Antonio schon immer blutend am Boden, wenn sie sich dem Tatort näherten. Selbst in der Szene weiß man nicht so recht, wem man die Schuld in die Schuhe schieben soll. „Wer wurde denn durch die Gerüchte, die sie gehört haben, belastet?“ fragte Richter Kamp einen Zeugen, der den reizenden Spitznamen „Nazi“ trägt. „So ziemlich alle“, antwortete der. „Jeder hat gesagt, ich hab' den anderen gesehen.“

Doch eins scheint nach diversen Aussagen immer sicherer: Der stadtbekannte Neonazi Tristan Dewitz hat mehr Dreck am Stecken, als bisher angenommen. Als Zeuge hatte er behauptet, schon am Anfang der Randale durch CS-Gas „kampfunfähig“ gemacht worden zu sein. Seinen Baseballschläger hatte er angeblich verliehen. Aber einige seiner „Kameraden“ erinnerten sich vor Gericht: Er war mitsamt seiner Baseballkeule in der Nähe des Verletzten.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

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