: NEU IM KINO Schließe meine Augen
Im Kino lassen sich Tabus am schönsten brechen. Nur schade, daß kaum noch welche übrig sind. Hitchcock konnte James Stewarts nekrophile Leidenschaft in „Vertigo“ noch mit etwas grün-gelbem Licht spürbar machen, Greenaway mußte in seinem vorletzten Film schon einen gebratenen Gentleman servieren lassen. Inzest ist dagegen ein eher harmloses Tabu, aber Regisseur Stephen Poliakoff bricht es in Close my Eyes so lustlos und konventionell, daß man sich fragt, warum er es überhaupt zum Hauptthema seines Filmes gemacht hat.
Den reißerischen deutschen Nebentitel „Begehre oder töte mich“ kann man ihm nicht vorwerfen, aber daß er eine ganz normale Dreiecksgeschichte inszenierte, in der lediglich zwei Teilnehmer immer wieder beim Teetrinken behaupten, sie wären Geschwister und deshalb besonders arm dran, ist doch ein bißchen dünn. Wirklich spüren tut man nichts von ihrem Dilemma: Es wird nur endlos darüber geredet, und dann kommt überraschend die Putzfrau ins Schlafzimmer, oder der Ehemann ruft im Hotel an und findet heraus, daß die Gemahlin dort gar nicht wohnt — eben all die ausgeleierten Tricks, die man nun wirklich nicht nochmal sehen muß.
Die drei Filmfiguren sind gut gezeichnet und gespielt: Alan Rickman ist ein smarter und exzentrischer Upperclass-Englishman, Clive Owen ein attraktiver Yuppie, der auf der Höhe seiner jungen Karriere die Seiten wechselt und in einer Bürgerinitiative gegen die Bauherren von London arbeitet, und Saskia Reeves ist als seine Schwester ständig hin- und hergerissen. Jeder von ihnen ist für sich stimmig und interessant, aber wenn sie zusammenkommen, passiert gar nichts.
Die Liebesgeschichte ist offensichtlich für Poliakoff nur der Faden, an dem er seine Betrachtungen und Details vom alltäglichen London aufreihen kann. Leider verzettelt er sich dabei. So muß auch noch ein Aidskranker in den Film, und eine Szene vor dem Kondomautomaten und die kleinen Kameraschwenks auf Straßenprostituierte oder reiche Ladies in feinen Cafes, die auch gleich allzu typische Sätze wie „Es kostet 50 Pfund“ oder „Mein Sohn hat gesagt, ich soll verkaufen“ von sich geben.
Die idyllischen Landhäuser und modernen Hochhäuser, die Büroräume, Gärten und Möbel scheinen Poliakoff wichtiger zu sein als die Personen, die er dort plaziert. Das perfekt fotographierte und ausgeleuchtete Ambiente drückt zu oft Schauspieler und Story in den Hintergrund. Einmal sagt Clive Owens „Ich liebe diese alten Gebäude“ und ist damit glaubwürdiger als in der gesamten leidenschaftlichen Szene danach. Wilfried Hippen
Cinema 20.45 Uhr
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