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NEU IM KINO Betty

Ist Betty unglücklich oder ist ihr alles wurscht? Ist sie ein Monster an Egoismus oder nur eine unerwachsene Unschuld? Ist sie eine Nymphomanin oder tut sie nur so? Hat sie ihre Kinder ohne Bedauern „verkauft“, oder leidet sie unter der brutalen Entscheidung ihres Mannes? Liebt sie den Mann, den sie ihrer Freundin abspenstig macht oder will sie nur zerstören? Schön ist sie jedenfalls. Und süchtig. Nach Zigaretten, Alkohol und Männern.

Eine betrunken wankende Gestalt, die mit dem Erstbesten aus der Bar ins Auto steigt: So erscheint sie im allerersten Bild und bleibt den ganzen Film hindurch präsent — als ein Geheimnis, das nicht entschlüsselt wird.

Im oberfeinen Milieu, dort, wo der narkotisierte Charme der Bourgeoisie das Leben zudeckt, spielt der neue Film von Claude Chabrol: Im Gruselkabinett der Familie ihres Mannes ist Bettys Ehe vor sich hin gescheitert und schließlich — durch einen skandalösen Akt von Betty — beendet worden. Betty wird aus dem Gruselkabinett verstoßen — damit beginnt die Gegenwart des Films. Das Torkeln, der leere Blick, der Schmutz unter den Fingernägeln — und immer noch um Contenance bemüht: Betty als Inbegriff einer Frau, die den Boden, der auch zuvor nicht sicher war, unter den Füßen verloren hat. Und wenn sie ihn am Ende wiederfindet, hat nicht nur ein anderer Mensch dran glauben müssen — es ist auch nicht gewiß, ob Betty auf ihrem Boden stehen wird.

Claude Chabrol erzählt — nach dem gleichnamigen Roman von Georges Simenon — die Geschichte dieser Betty in lockerer Aneinanderreihung von Rückblenden und Episoden aus Bettys Ehe, aus ihrer Kindheit - Andeutungen, die sich wie Puzzle-Teilchen zusammenzufügen scheinen und trotzdem kein vollständiges Bild ergeben. Gar nicht ergeben sollen, denn Claude Chabrol stellt Betty in ihrer Unergründlichkeit ins Zentrum seines Films. Er forscht die Frau nicht aus — er schaut ihr vielmehr dabei zu, wie sie, die sich ihrer Motive nicht bewußt ist, zwischen Selbstzerstörungstrieb und Überlebenswillen schwankt. Er schaut ihr zu mit einem ästhetisch diskreten Blick, der mehr als die Oberfläche sieht und doch weder deuten, wissen noch erklären will.

Aber die Diskretion des Blicks von Claude Chabrol, die noble Eleganz der Menschen, die selbst im Schmutz noch schön sind, gibt auch dem Film einen narkotisierten, wattierten Charme: Bettys Geschichte weht wie ein linder, kostbarer Duft durchs Kino. Man setzt sich kuschelig zurecht, um mit Genuß dem Drama zuzusehen. Der narkotisierte Charme der Bourgeoisie — er anästhesiert die Seele des Publikums gleich mit. Sybille Simon-Zülch

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