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Eine Berlinerin und ihr Kindertraum von Europa

■ Drei Abgeordnete hat Berlin im Europaparlament/ Dagmar Roth-Behrendt (SPD) kam aus Spandau und jettet nun zwischen Brüssel und Straßburg hin und her/ Für sie und ihre Kollegen von CDU und AL gibt es keine Alternative zur EG

Berlin. Europa, das sind Butterberge und Milchseen, viereckige Gen-Tomaten und namenlose Beamtenheere in Brüssel, Europa ist das Ende von deutschem Reinheitsgebot und Deutscher Mark. Außerdem haben die Dänen bewiesen, daß man gegen Europa stimmen und trotzdem Europameister im Fußball werden kann.

»Europa, das ist so ein Kindertraum von mir«, hält Dagmar Roth- Behrendt tapfer dagegen. Sie ist, als Vertreterin der SPD, eine von drei Berliner Abgeordneten im Europaparlament — und wie fast alle ihrer 517 Kollegen aus den zwölf EG- Staaten ist sie ganz entschieden für Europa und diese ominösen Maastrichter Verträge, die die Dänen so unbekümmert ins vorläufige Aus kickten.

Eigene Erfolge gegen Europaverdrossenheit

Den meisten Berlinern ist die SPD- Politikerin ebenso unbekannt wie der CDU-Abgeordnete Rudolf Luster und die von der AL entsandte Birgit Cramon-Daiber. Doch Roth-Behrendt hält der wachsenden Europaverdrossenheit ihre eigenen Erfolge entgegen. Kürzlich hat sie durchgesetzt, daß die EG-Kommission in einer Richtlinie für Kosmetika den Passus aufnahm, ab 1998 alle Tierversuche zu verbieten.

Ob der Ministerrat — in dem die jeweiligen Fachminister aller Mitgliedsstaaten vertreten sind — zustimmt, ist freilich noch offen. Die EG ist eben »weiterhin undemokratisch und wird par ordre de mufti des Ministerrats geleitet«, wie der alte Parlamentshase Luster ständig wortreich beklagt.

Roth-Behrendt läßt sich davon nicht verdrießen. Immerhin kann sie auf eine phänomenale Karriere zurückblicken. Bevor sie 1989 in das EG-Parlament einrückte, war sie nur einigen Spandauern als arbeitswütige und etwas vorlaute Bezirksverordnete bekannt. Im Europaparlament avancierte sie binnen kurzer Zeit zur umweltpolitischen Sprecherin der sozialistischen Fraktion und erhielt so Gelegenheit, unermüdlich gegen die wirtschaftsfreundliche Schlagseite der europäischen Einigung anzukämpfen. Auch Roth-Behrendt weiß, daß die EG für die Bürger mehr denn je eine entfernte und abstrakte Angelegenheit ist. »Das Hauptproblem, unter dem wir leiden, ist unsere Unfähigkeit, Europa transparent zu machen«, sagt sie.

Wo geht's zum Europaparlament?

Wo das Europaparlament seinen Sitz hat, weiß zum Beispiel kein Mensch — nicht einmal die Europaabgeordneten selbst. Weil sich die Mitgliedsstaaten bislang nicht auf einen Ort einigen konnten, tingelt das Parlament samt Mitarbeiterstab ständig zwischen Straßburg und Brüssel hin und her. Die Parlamentsverwaltung sitzt überdies in Luxemburg. Irrt der Besucher durch eines der riesigen Parlamentsgebäude, weiß er manchmal selbst nicht mehr, in welcher Stadt er jetzt eigentlich ist — und stolpert im nächsten Moment über eine der großen Blechkisten — Cantinen genannt — mit denen die Abgeordneten ihre Akten zwischen den Tagungsstädten hin und her transportieren lassen.

Ein deutsches Wort für die Cantinen gibt es nicht. Es ist ein Beispiel für das »Eurowelsch«, das sich in dem multinationalen Parlamentsbetrieb trotz aller Simultandolmetscher herausbildet. Die ständige Betriebsamkeit sei »eine wirkliche Gefahr«, weiß Roth-Behrendt. Daß es Europaabgeordnete unter diesen Umständen nicht leichter haben, den Kontakt mit der Basis zu behalten, ist kein Wunder. »Ich bin doch kein Zauberer«, sagt der CDU-Abgeordnete Luster auf die Frage, warum man in Berlin nie etwas von ihm hört.

Die AL-Politikerin Cramon- Daiber macht in ihrer Heimatstadt noch manchmal von sich reden: Wenn sie dem Berliner Senat mal wieder nachweist, daß er es versäumte, Zuschüsse aus Brüssel abzurufen. Aber auch für sie gilt der Monatsablauf von Roth-Behrendt: Zwei Wochen Ausschußsitzung in Brüssel, eine Woche Plenarsitzung in Straßburg, eine Woche Fraktionssitzung an manchmal ganz entfernten Orten wie Lissabon — und die Wochenenden in Berlin. Dort muß sich Roth-Behrendt dann den Vorwurf anhören, sie sei nicht hinreichend »präsent«.

Maastrichter Verträge neu verhandeln

Auch in Berlin wird die Bedeutung der EG immer noch unterschätzt, glaubt Cramon-Daiber. Heute schon seien 40 Prozent der nationalen Gesetze die bloße Umsetzung von EG- Beschlüssen. Wenn die EG-Kommission beschließe, Ost-Berlin in eine bessere Förderkategorie aufzunehmen, dann werde das dort von der Öffentlichkeit zwar kaum wahrgenommen, bringe aber trotzdem wichtige Verbesserungen. Viele Kritiker der europäischen Einigung wüßten überhaupt nicht, von was sie eigentlich reden, ärgert sich Roth- Behrendt. Die vielbeschworene Brüsseler Bürokratie beispielsweise sei mit 20.000 Beschäftigten »kleiner als die Stadtverwaltung von München«.

Auch CDU-Mann Luster ist sich mit der AL-Frau Cramon-Daiber völlig einig: Die Maastrichter Verträge dürfen nicht abgelehnt werden, aber sie sollten nach dem Nein der Dänen neu verhandelt werden. Würde sie in einem Referendum gefragt, würde auch Cramon-Daiber entgegen der Parteimeinung für die Maastrichter Verträge stimmen. Eine Alternative gibt es nicht, glaubt sie: weder für das exportorientierte Deutschland noch für die Nachbarstaaten, die nur so den Koloß in der Mitte des Kontinents einbinden können.

Roth-Behrendt, Luster und Cramon-Daiber sind bereits Europäer aus Gewohnheit. Aber es gibt noch einen vierten Berliner in Europa, ohne eigene Wohnung in Brüssel und mit einem ganz anderen Blick auf den Parlamentsbetrieb. Der SPD-Politiker Walter Romberg, der bis Mitte 1990 Finanzminister der DDR war, sitzt als einer der 18 sogenannten »Beobachter« aus Ostdeutschland im Parlament.

»Ich lebe subjektiv und objektiv in einer anderen Welt«, glaubt Romberg. Ostdeutschland sei inzwischen die wirtschaftlich schwächste Region EG-Europas, mit einem niedrigeren Bruttoinlandsprodukt als in Portugal, Griechenland oder Irland. Doch die Probleme des deutschen Ostens würden von den Vertretern der anderen Staaten kaum ernst genommen. Geht es um die Werften an der Ostseeküste, hat Romberg beobachtet, dann denken Dänen und andere gleich an die Arbeitsplätze im eigenen Land und »vergleichen die Situation in Ostdeutschland zu schnell mit entsprechenden Strukturen in Westeuropa«.

Weil er nicht vom Volk gewählt, sondern vom Bundestag entsandt wurde, hat Romberg kein Stimmrecht und keine eigenen Mitarbeiter. Er spricht nur Englisch und, anders als die meisten westdeutschen Kollegen, kein Französisch. Mit seinen Arbeitsbedingungen ist er »absolut unzufrieden«. Nur mit einem Problem seiner Westberliner Kollegen hat er nicht zu kämpfen: Europaverdrossenheit gibt es unter den Ostdeutschen noch nicht. Romberg: »Für die ist das doch so weit weg.« Hans-Martin Tillack

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