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INTERVIEWDie Betriebsräte wissen, daß eine Spaltung ihren Gegnern dient

■ Christiane Bretz, Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Berlin-Brandenburg, zum Aufkommen von gewerkschaftsunabhängigen Betriebsräteinitiativen im Osten/ DGB in Berlin ist in einer besonderen Situation/ Über strukturpolitische Konzepte für die Stadt wird diskutiert

taz: Parallel zu den Diskussionen über eine ostdeutsche Partei werden auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft im Osten Stimmen laut, die eigene Vertretungen fordern. Am 20. Juni trafen sich in Berlin ostdeutsche Betriebsräte zu ihrer ersten, eigenständigen Konferenz. Ein Vertreter der IG-Metall wurde ausgebuht. Wie will der DGB dem Vertrauensverlust in der ostdeutschen Arbeitnehmerschaft begegnen?

Christiane Bretz: Die Betriebsräte, die sich am 20. Juni getroffen haben, sind Vertreter ihrer gewählten Kollegen und Kolleginnen aus den Betrieben. Die Arbeit der Betriebsräte ist in erster Linie — ich will das damit keineswegs abschieben — Sache der einzelnen Gewerkschaften, nicht in erster Linie des DGB. Aber auf eines möchte ich doch hinweisen: Der DGB hat der Berliner Betriebsräteinitiative den Raum für ihre wöchentlichen Treffen zur Verfügung gestellt.

Sie sagen, das sei Sache der Einzelgewerkschaften. Könnte nicht der DGB, der im Osten bekannter ist als die Einzelgewerkschaften, über eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit dem Vetrauensverlust begegnen? Oder haben die ostdeutschen Arbeitnehmer ein falsches Verständnis von der Rolle des DGB?

Ich würde das Wort falsch in diesem Zusammenhang nicht benutzen. Ich bin nicht dazu da, Äußerungen oder Meinungen von Kollegen aus Ost-Berlin zu benoten. Ich kann nur versuchen, über eine Öffentlichkeitsarbeit unsere Möglichkeiten und unsere Grenzen darzustellen.

Sehen Sie in der ostdeutschen Betriebsräteinitiative die Gefahr einer Spaltung der gesamtdeutschen Arbeitnehmerschaft?

Ich weigere mich, das so zu sehen. Das hieße doch, die Aktivitäten von vornherein zu verurteilen. Es sind ja auch Mitglieder von Einzelgewerkschaften darunter, die die Aktivität der Betriebsräteinitiative nicht als Spaltungsversuch verstehen und das auch nie geäußert haben — bis auf ein paar Demagogen, die es immer geben wird. Ich glaube, daß die Kollegen und Kolleginnen, die sich dort treffen, wissen, daß eine Spaltung nur denen helfen würde, die Gegner der Gewerkschaft sind. Ich traue meinen Betriebsratskollegen in der Initiative die Einsicht zu, daß das nicht der Weg ist.

Viele ostdeutsche Arbeitnehmer fühlen sich von den Einzelgewerkschaften alleingelassen. Sie betrachten die Funktionäre als Vertreter der westdeutschen Führungsschicht, die im Grunde genommen an dem Erhalt ihrer Betriebe kein Interesse haben und vielmehr Besitzstandswahrer westdeutscher Arbeitnehmerinteressen sind. Müßten nicht mehr ostdeutsche Vertreter in führende Positionen gewählt werden, etwa durch Quotierung?

Zunächst einmal: Ich halte Ihre Formulierung, die Gewerkschaftsfunktionäre seien Vertreter der westdeutschen Führungsschicht, für eine Diffamierung. Es ist eine Unterstellung, daß die Gewerkschaftsfunktionäre kein Interesse an der Erhaltung ostdeutscher Betriebe haben. Die Realität spricht dagegen. Schauen Sie sich die vielen haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsmitglieder an, die seit zwei Jahren in den neuen Bundesländern unterwegs sind und sich für den Erhalt von Betrieben einsetzen — etwa für das Stahlwerk Brandenburg oder Hennigsdorf.

Müßten dennoch nicht mehr ostdeutsche Funktionäre in führenden Positionen sitzen?

Auch ein führender Gewerkschaftsvertreter — ob West oder Ost — kann einen Betrieb nicht retten. Die ersten unserer Gewerkschaften — etwa die ÖTV — haben längst in ihren Vorständen Vertreter aus Ostdeutschland.

Im Gespräch mit ostdeutschen Betriebsräten ist jedoch häufig der Vorwurf zu hören, die Bekenntnisse zum Erhalt von Standorten seien reine Rhetorik.

Das trifft so nicht zu. Die Umbruchsituation ist doch ein ganz schwieriges Feld: Kann und wird ein Betrieb zu erhalten sein, wenn er Produkte hat, die er verkaufen kann, wenn er Marktverbindungen hat? Das sind alles ökonomische Gesichtspunkte, die nicht übersehen werden können und die ein Gewerkschaftsfunktionär den Kollegen im Betrieb nicht verschweigen darf. Man kann ihnen doch nicht einreden: Für euren Betrieb, der Produkte herstellt, die keiner kauft, wird es ein Unternehmen geben, das ihn so weitererhält.

Muß der DGB — gerade was den Industriestandort Ost-Berlin angeht — nicht viel stärker strukturpolitische Konzepte entwickeln und von seinem früheren Engagement zur Erhaltung einzelner Betriebe wegkommen?

Der DGB ist für beide Teile Berlins zuständig, und das ist eine Schwierigkeit, die ansonsten kein DGB-Bezirk in der Bundesrepublik hat. Sie wissen selber, daß im Moment die Arbeitslosenzahlen im Westen höher sind als im Osten — ich darf meine Westberliner Kollegen nicht vor den Kopf stoßen und sagen: Jetzt machen wir nur was für Ost-Berlin. Das kann nicht sein. Wir müssen das hier zusammenführen. Wir sind mitten im Diskussionsprozeß. Nebenbei: Wenn Sie sich anschauen, was der Senat mit seinen riesigen Verwaltungen bisher vorgelegt hat — das ist auch nicht so toll. Uns geht es wirklich darum, den Erhalt von Betrieben auch politisch zu vertreten und durchzusetzen. Aber wir haben auch keine Rechte, die verhindern, daß zum Beispiel wie im Falle Narva der Betrieb als Immobilie verkauft wird. Der Betriebsrat und die Gewerkschaft können doch nur sozial verträgliche Möglichkeiten ausschöpfen, damit die Arbeitnehmer nicht sofort arbeitslos werden.

Auf der letzten 1.-Mai-Kundgebung gab es eine starke Gruppierung oppositioneller Gewerkschafter (u.a. von der PDS unterstützt), die mit einem eigenen Demonstrationszug zum Lustgarten gezogen ist. Muß der DGB Berlin-Brandenburg nicht befürchten — gerade angesichts des jüngsten Wahlerfolges der PDS in Berlin —, daß das bisherige Monopol der SPD innerhalb der Gewerkschaften ins Wanken gerät?

Der DGB hat sich nach dem Kriege entschlossen, eine Einheitsorganisation zu sein, und das heißt: parteiunabhängig. Darauf beharren wir heute stärker denn je.

Im Zuge der Debatte um eine ostdeutsche Partei, auch auf dem Hintergrund der Wahlerfolge der PDS in Berlin, könnten sich doch viele PDS-Mitglieder ermutigt fühlen, verstärkt in die Gewerkschaften hineinzugehen.

Nach dem Grundgesetz besteht Vereinigungsfreiheit, und jeder kann Mitglied einer Gewerkschaft werden, wenn er den Arbeitnehmerstatus besitzt. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften haben Ausschlußbeschlüsse nur für Mitglieder von rechts- und linksradikalen Organisationen. Andere Einschränkungen gibt es nicht.

Sie befürchten nicht, daß das doch vorhandene Monopol der SPD gefährdet werden könnte...

Es gibt kein Monopol der SPD. Das wäre doch ein Aufgeben dieses Einheitsgedankens. Interview: Severin Weiland

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