: Vom Auf- und Abstieg der FIS
■ Chronologie der Ereignisse in Algerien seit dem Sieg der FIS in den Kommunalwahlen
Noch vor einem Jahr dachten die AlgerierInnen, daß sie nun endlich dreißig Jahre FLN-Mißwirtschaft würden beenden können. Für den 27. Juni 1991 hatte die Regierung die ersten freien Parlamentswahlen Algeriens angekündigt. Die Revolte vom Oktober 1988 war noch blutig niedergeschlagen worden. Doch im Juli 1990 trug die Islamische Heilsfront (FIS) in den Kommunalwahlen einen haushohen Sieg davon. Sie versprach den AlgerierInnen eine soziale Revolution und eine Abrechnung mit der Nomenklatura in der Armee und der allgewaltigen Regierungspartei FLN. Die sorgte jedoch diesmal vor: Premier Hamroushe erließ ein Wahlgesetz, das weder der FIS noch den anderen Oppositionsparteien eine Chance ließ. Er wußte, daß die Islamisten gegen das Gesetz kämpfen würden — und das war auch sein Kalkül. Das Regime wollte keine Wahlen.
Bereits Mitte Mai bezog die Armee in allen Städten drohend Position. FIS-Führer Madani erkannte die Gefahr und suchte das Zusammengehen mit den Demokraten, mit der „Front der Sozialistischen Kräfte“ von Ait- Ahmed, mit Ben Bella und mit den Kabylenparteien. Doch die reagierten nicht. Unter den Islamisten wollten viele den Wahlboykott. Doch Madani setzte auf den demokratischen Prozess, ließ in allen Wahlkreisen FIS- Leute einschreiben und rief am 25. Mai zum Generalstreik auf. Große Demonstrationen in den meisten Städten folgten und wenige Tage später die ersten Zusammenstöße mit der Armee. Hamrouche verhandelte, versprach eine Duldung der Demonstrationen — und dementierte. Anfang Juni setzten die Generäle ihn ab und machten Sid Ahmed Ghosali zum neuen Premier. Dann schickten sie die Armee vor und verhängten am 5. Juni den Ausnahmezustand. 80 Islamisten kamen zu Tode. Der neue Premier galt als Mann des Dialogs. Er beriet in geheimen Sitzungen mit der FIS, sagte ein neues Wahlgesetz und baldige Präsidentschaftswahlen zu — dies alles offenbar mit Billigung von Staatspräsident Chadli Bendjadid. In der Annahme, sie hätten die Kraftprobe gewonnen, blasen die Islamisten am 7. Juni ihren Generalstreik ab. Die Falle ist zugeschnappt.
General Nezzar, heute Juntachef, läßt die ersten Massenverhaftungen durchführen. Zwischen dem 9. und dem 18. Juni verschwinden etwa 8.000 Islamisten in den Verhörkellern von Armee und Polizei. Die FIS- Führung, vor allem Abbassi Madani und Ali Benhadj, suchen ihre Basis ruhig zu halten und weiterzuverhandeln. 300 Menschen werden in dieser Zeit erschossen oder totgeschlagen. In der Rue Charrass, vor dem Hauptquartier der FIS in Algier, fahren Sondereinheiten der Armee über FIS-Sympathisanten, die dort zum Gebet niedergekniet waren. Die FIS-Chefs erkannten zu spät, daß Nezzar allein ihre Vernichtung im Auge hatte. Am 30. Juni werden auch Madani und Benhadj und mit ihnen die gesamte Führung der FIS verhaftet.
Seither schien die FIS enthauptet. Ghosali setzte für den 27. Dezember Wahlen an und versprach den Generälen ein schlechtes Wahlergebnis für die FIS. Die FIS konnte keinen Wahlkampf führen und gewann gleichwohl den ersten Wahlgang. Bendjadid erklärte damals seine Bereitschaft zum Zusammengehen mit der FIS — und das war auch sein letztes Wort. Am 11. Januar putschte General Nezzar. Bendjadid wurde zum Rücktritt gezwungen, die Wahlen abgebrochen. Das Urteil gegen Madani und Benhadj fiel auf den Tag genau zwei Jahre nach dem ersten großen Wahlsieg der FIS. O.F.
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