Das andere Gesicht der Frauenbewegung

Konkurrenz statt Solidarität, Alltäglichkeit statt spektakulärer Aktionen:  ■ Hamburgs Frauenszene

hat sich im vergangenen Jahrzehnt gewandelt.

Dümpelt die Frauenbewegung erschlafft vor sich hin? Oder wird wegen mangelnder feministischer Gegenwehr die Uhr gar zurückgedreht? In Zeiten, wo Männer (wie der Hamburger Paartherapeut Peter Haas in seinem „Bericht aus dem Land der Morgenlatten“) ungeniert über machtbesessene, verklemmte Emanzen herziehen dürfen, FrauensenatorInnen wie Traute Müller (SPD) ihr Amt nur im Nebenjob betreiben, die Gleichstellungserfolge auf Sparflamme kochen und die Hamburger Frauenwoche nach jahrelangem Erfolg nun zu Grabe getragen wurde, macht sich bei vielen Frauen ein Gefühl der Resignation breit. Doch für allzu düstere Schwarzmalereien gibt

1es in der Elbmetropole keinen Grund, meinen Meike Plesch, Christine Weber und Margret Wens, Frauenforscherinnen an der Fachhochschule. Ihre Positiv-Bilanz: Im zurückliegenden Jahrzehnt ist in der Hansestadt eine vielfältige und bunte Frauenprojekte-Landschaft entstanden, eine alternative Infrastruktur, die in ihrer Wirkung nicht mehr zu übersehen ist.

Die Power der ersten Stunde ist verloren

Tatsächlich entfaltet sich bei genauerem Hinsehen eine breit gefächerte Palette an feministischen Beratungs- und Dienstleistungsangeboten: Von Kneipen, Cafeś, Zeitungen, Mitfahrzentralen, Frauenhäusern, Hilfen für sexuell mißbrauchte Mädchen, Handwerksbetrieben, Weiterbildung bis hin zum Tanzklub. Annähernd 200 solcher Einrichtungen tummeln sich auf dem Markt der Möglichkeiten. Eine Größenordnung, die den Namen „Gegenkultur“ wahrhaft verdient. Doch der Stolz auf das Erreichte will sich nicht recht einstellen. Irgend etwas fehlt. Bloß was?

Es ist „die Power der ersten Stunde“, haben die Wissenschaftlerinnen Plesch, Weber und Wens erfahren, als sie für eine Studie über Hamburger Frauenprojekte und Frauensozialarbeit in rund 20 Einrichtungen vorsprachen. Damals, in den 70er und frühen 80er Jahren, als so viele Frauen zu gleichen Themen das gleiche dachten und sich öffentlich äußerten, entstand das Gefühl, gemeinsam etwas zu bewegen.

Ein Virus namens Konkurrenzdenken

Heute hingegen machen Worte wie „Durststrecke“ und „Stagnation“ die Runde. Vieles, was durch die Frauenbewegung erstritten worden sei, habe sich inzwischen etabliert, so eine Projekt-Mitarbeiterin. Von politischer Aufmüpfigkeit könne kaum noch die Rede sein. Trauer über den Verlust glühender Utopien? Vielleicht. Denn seit die Feministinnen ihre Diskussionszirkel verließen und sich der Basisarbeit

1zuwandten, ist ihr Tun alltäglicher und unspektakulärer geworden. Debatten über die Finanznot im Projekt, Professionalisierung, aktuelle soziale Probleme sowie den Sinn und und Unsinn von Selbstverwaltung und Einheitslohn sind an die Stelle politischer Grundsatzdebatten getreten.

Hinzu komme die „neue Unübersichtlichkeit“, so Fachhochschul-Professorin Margret Wens. Daß die Hamburger Frauenszene sich enorm ausdifferenziert habe, sei durchaus positiv. Doch der Blick dafür, in der Vielfalt das Verbindende zu erkennen, sei durch das unüberschaubare Gewirr verstellt. Im gleichen Maße, wie die Erkenntnis wächst, daß Frauenarbeit viele Spielarten und Ansätze hervorbringt, gerät auch der Anspruch ins Wanken, alle Frauen seien gleich, das heißt auch gleich befähigt, jede Art von Arbeit auszuführen.

Waren Frauenprojekte zu Anfang noch reine Engagierten-Zirkel, die neben der eigentlichen Erwerbstätigkeit als Ehrenamt durchgeführt wurden, liegen sie, wie fast alle in die Jahre gekommenen Alternativ-Betriebe, in den 90er Jahren voll im Professionalisierungstrend. Auf Weiterbildung und Qualifizierung legen die Mitarbeiterinnen großen Wert. Erfolg und Können werden dadurch meßbar und versinken nicht mehr in dem übermächtigen Gefühl, daß allein die richtige Einstellung zählt. Auch die Mitarbeiterinnen selber sind sich ihrer unterschiedlichen Kompetenzen und Leistungen bewußt. Der Virus namens „Konkurrenzdenken“ hat sich unversehens in die angeblich doch so solidarischen Frauenprojekte eingeschlichen.

Schon gibt es Seminare zu diesem Thema. „Der Kampf um Macht und Einfluß in Frauenprojekten“ heißt zum Beispiel eines von der Hamburger Frauenanstiftung. „Das ideologische Postulat, daß frau sich durch anderes, besseres Handeln auszuweisen habe, verdeckt die Realität: Zwar sollen Frauen nach außen machtvoll und einflußreich agieren, aber der Innenraum der Frauengruppe oder des Projekts soll von Macht und Einfluß freigehalten werden“, schreibt die Kursleiterin Helga Braun in ihrer Info- Broschüre. Die Balance auf dem schmalen Grat zu halten gelingt offensichtlich mehr schlecht als recht. Inzwischen gebe es sogar autonome Frauenprojekte, die sich für die offene Hierarchisierung entschieden haben, berichtet eine Insiderin. Natürlich beschränkt sich dieser entscheidende Einschnitt nicht darauf, die Unterschiedlichkeit zu proklamieren, sondern findet, wie überall im Berufsleben, seinen Ausdruck in der Bezahlung. Die alternative Erfahrung, daß, wenn alle alles in einen Topf geben, alle gleich unterbezahlt sind, ist offenbar genügend ausgekostet worden.

Geändert hat sich nach Meinung der Forscherinnen Pesch, Weber und Wens aber nicht nur die Einstellung zu Professionalisierung und Hierarchisierung, sondern auch das feministische Selbstverständnis. Früher verbanden Frauen damit langfristig angelegte, gesellschaftliche Veränderungen (z.B. Abschaffung des Patriarchats), Abgrenzung (vor allem von Männern) sowie Arbeitsprinzipien wie Autonomie, Parteilichkeit und Selbsthilfe. Heute assoziieren die von den Wissenschaftlerinnen befragten Frauen mit der Frauenbewegung Schlagwörter wie individuelle Emanzipation, gemischtgeschlechtliche, kollegiale Arbeitszusammenhänge und Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensformen.

Projekte-Szene ist ein attraktiver Arbeitsmarkt

Gleichzeitig tritt in der Studie ein doppelter Generationenkonflikt zutage. Einerseits sind da die jungen Frauen aus dem Spektrum Hafenstraße, Rote Flora oder Bauwagenszene, die mit den in ihren Augen etablierten und angepaßten Projekt-Tanten nicht viel am Hut haben. Andererseits gibt es die Nachrückerinnen, die sich in den Frauen-Einrichtungen ins gemachte Nest setzen. Während die alten Häsinnen in linker Vorzeit noch um alles gerungen haben, finden die Neuen vorgefertigte Strukturen und Inhalte vor. Sie erhalten einen „Arbeitsauftrag, feministische Arbeit zu machen“, formulierte es eine der befragten Frauen. Hinzu kommt, daß die jüngere Generation die Projekte als Möglichkeit sieht, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Einen Job zu finden ist nicht leicht, und die Hamburger Projektelandschaft hat sich inzwischen zu einem beachtlichen alternativen Arbeitsmarkt gemausert. Der Drang nach eigener Existenzsicherung kann da schon mal das feministische Engagement übertreffen. In der Fachhochschul- Untersuchung ist folgendes Vorstellungsgespräch überliefert: A: „Ich möchte gern hier arbeiten.“ B: „Du weißt, das ist hier Projektarbeit.“ A: „Das ist in Ordnung.“

1B: „Ich meine, feministische Projektarbeit.“ A: „Das macht nichts.“

Auch wenn die Frauenszene etlichen Menschen Lohn und Brot bietet, so ist die allgemein bekannte Finanzmisere täglich spürbar. Die ewig leeren Kassen sind Thema Nummer eins. Ein Großteil der Arbeitskraft fließt in die Beschaffung von Geld. Mit immensem Verwaltungsaufwand werden diverse Quellen, wie zum Beispiel Mitgliedsbeiträge, Bußgelder oder Stiftungen angezapft. Am üppigsten fließt allerdings immer noch die vormals heiß umstrittene, jetzt aber akzeptierte „Staatsknete“ aus dem Säckel des Landes Hamburg. Der Kuchen insgesamt ist allerdings zu klein, um alle Bedürftigen zu bedienen. Die Folge sind harte Verteilungskämpfe.

15,8 Millionen Mark stellten die hanseatischen Behörden (in der Hauptsache Sozial- und Jugendbehörde) nach Auskunft des Senatsamts für Gleichstellung 1992 für Frauenprojekte und frauenspezifische Maßnahmen zur Verfügung. Das sind etwa 0,1 Prozent des 16 Milliarden Mark schweren Gesamt-

1haushalts. Darin enthalten sind nicht die Mittel, die Hamburg zusammen mit dem Bund für die ABM-Stellen aufbringt. Zusätzlich richtete die Traute-Müller-Behörde einen Innovationsfonds in Höhe von 500000 Mark ein, der zu gleichen Teilen auf die Projekte „Frauenförderung in der Wirtschaft“ und „Frauen am Rande der Gesellschaft“ aufgesplittet wurde. 1993 enthält der Topf, um den sich alle Interessierten bewerben können, 750000 Mark.

Die Frauenbewegung ist konsumierbar geworden

Wer den Zuschlag für eine Förderung erhält, entscheiden die Behörden. Die Idee, einen großen Frauen-Topf einzurichten und dadurch die Geldvergabe in die Hand der betroffenen Einrichtungen zu legen, stößt auf Skepsis. Als „Augenwischerei“ bezeichnet beispielsweise eine Projekt-Mitarbeiterin der Studie von Plesch, Weber und Wens den gemeinsamen Kohle-Pott, da dieser „nie reichen würde“. „Das

Gehackstücke ginge dann erst rich-

1tig los“, befürchtet eine andere. Insgeheim träumen natürlich die meisten von der großen Erlöserin, die mit einem Sack voller Geld im Handumdrehen dem Herumkrebsen ein Ende bereitet. Pragmatisch Veranlagte setzen dagegen auf mehr Kompetenz in Finanzfragen und belegen Kurse mit Titeln wie „Feministisches Management“ oder „Frauen als Unternehmerin“.

Ob die Zukunft der Hamburger Frauenszene und -projektelandschaft in einem rosigen oder grauen Licht erstrahlt, ist heute schwer zu sagen. Aber eines steht fest: Die oftmals totgesagte Frauenbewegung lebt, sie hat nur ein anderes Gesicht bekommen und ist leiser geworden. Im großen und ganzen wird die Frauenbewegung immer konsumierbarer, so Forscherin Margret Wens. Spaß, Kreativität, Kultur stehen auf der Wunschliste ganz oben. Sigrun Nickel

Die Studie von Meike Plesch, Christina Weber und Margret Wens kostet sieben Mark. Zu beziehen bei: Margret Wens, Fachhochschule, Saarlandstraße 30, Hamburg 60.