Unterhaltungsschleim fürs Auge

Warum es schlechterdings unmöglich ist, im Fernsehen eine Wahrheit zu sagen  ■ Von Bernd Rauschenbach

Abend für Abend kreuze ich über die ca. 30 Kanäle meiner ein wunderbares Nirvana erzeugenden „Buddhamaschine“ (H.M. Enzensberger) und sehe fasziniert Bruchstücke von Sendungen, die ich schon vor der Schüsselmontage nicht sehen wollte. Wenn das bereits mir so geht, der ich eigentlich ja immer lese und schon immer gelesen habe — (und dem, als er noch nicht lesen konnte, vorgelesen wurde) —, wie mag die Bildlawine erst auf die bundesrepublikanische Mehrheit wirken, die sich im Jahr durch 0,8 Bücher quält? Lesen? Och nöh — „es ist zeitlich immer etwas ungünstig“ (Loriot).

[...] Dabei bin ich überhaupt nicht gegen das Fernsehn. Zum einen ist es immer wieder mal Anlaß zu so schöner Literatur wie etwa Eckhard Henscheids Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul (Haffmanns 1988). Zum anderen bietet es mir glänzende Unterhaltung — wenn ich will, neuerdings sogar auf japanisch. Und das ist nun wirklich toll: In einem Dorf am Südrand der Südheide zu sitzen und zuzusehen, wie grellst gekleidete Japaner sich unter Körperverschrauben und Gliederzucken lauthals brüllend ausschütten vor Lachen über japanische Schriftzeichen, die sich mittels Computeranimation in immer wieder neue Zeichen verwandeln. „Geheimnisvolle Weisheit des Fernen Ostens“ — Hoffentlich erwisch' ich irgendwann mal eine dieser japanischen Fernsehshows, in denen Männer mit vollem Karbid gegen eine Mauer rennen und kleine Araberjungs ihnen taschenspiegelnd die Brustwarzen ankokeln: Das scheint für den Japaner die Spitze der Komik zu sein.

Glänzende Unterhaltung also — aber auch nie mehr als diese. Ich finde im Fernsehn weder Information (einmal abgesehen von Basisdaten wie Uhrzeit, Temperatur und wo grad der Krieg ist), noch finde ich in ihm Kunst. Daß diese mit und auf dem Bildschirm möglich ist, zeigen die gar nicht mal so wenigen Video- Künstler, die ihr Medium als eigenständiges begriffen haben. Sie machen (wie etwa Nam June Paik oder— ganz anders — die Residents) Kunst, die weder auf Kino- oder Mal- Leinwand noch auf der Bühne, noch mit rein akustischen Instrumenten, geschweige denn im Buch möglich wäre, sondern eine Kunst, die ausschließlich mit und auf dem Bildschirm funktioniert. Im Fernsehn sieht man dergleichen nicht. Vor ein paar Jahren habe ich noch gedacht, der Videoclip wäre ein erster Schritt in Richtung Fernsehkunst. Heute dient er, ohne Ambition auf eigene Ästhetik, nur noch der Musikindustrie als Verkaufshilfe. Der Rocksänger, Lyriker und Romancier Nick Cave neulich fast wörtlich im Klippsender MTV: „Wir machen die Clips nur der Plattenfirma zuliebe. Wenn wir eine Botschaft haben, dann die: Leute, macht den Apparat aus und nehmt ein Buch zur Hand.“ Wenn der Mann im verlogenen Fernsehn schon so ehrlich ist, was muß der erst für eine ehrliche Musik machen? Also nichts wie in den Plattenladen und seine Platte gekauft... — Es ist schlechterdings unmöglich, im Fernsehn eine Wahrheit zu sagen.

Aber es gibt doch Sendungen über Kunst, Musik, Literatur im Fernsehn? Nein, nein, nein. Es gibt Unterhaltung im Fernsehn, die sich der Kultur wie jedes beliebigen anderen Gegenstands bedient. Das Fernsehn, egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat, stülpt sich als schmarotzender Polyp über sein ja immer schon vorhandenes, nie von ihm selbst geschaffenes Objekt, saugt es mit tödlicher Gier aus und spuckt es mir als Unterhaltungsschleim in die Augen. Ich mache mich anheischig, in jeder „Kultursendung“ letztlich das Muster jenes leviathanischen Prunkbeispiels aufzudecken: die öffentlich- rechtliche Silvestersendung 1991/92. Der Kulturgangster Justus Frantz hatte für diese Sendung einen Konzertflügel zerlegen und im Inneren eines Passagierflugzeugs wieder zusammenbauen lassen. Zur Mitternacht kreiste er, begleitet von Fernsehkameras und (wenn ich's recht erinnere) irgendwelchen Streichern, über einem Fernsehsender und spielte wat Flottet — Mozart oder so. Die Akustik sei zwar alles andere als optimal, gab er selbst zu — aber scheiß was drauf: Gib Gas, ich will Spaß. [...]

Gekürzt aus „Konkret“ 7/92