: Als der Schotte den Waliser ablöste
Der Rechtsanwalt John Smith, seit Samstag neuer Labour-Vorsitzender, soll die Partei aus der Krise führen/ Stellvertretende Vorsitzende wurde zum ersten Mal eine Frau: Margaret Beckett ■ Von Ralf Sotscheck
Der Schotte hat den Waliser abgelöst: Die britische Labour Party wählte am Samstag den 53jährigen Rechtsanwalt aus Edinburgh, John Smith, mit überwältigender Mehrheit zum Nachfolger Neil Kinnocks. Letzterer hatte bereits nach der deutlichen Labour-Niederlage bei den Parlamentswahlen im April seinen Rücktritt angekündigt. Smith erhielt 91 Prozent der Stimmen, sein Konkurrent Bryan Gould brachte es dagegen nur auf neun Prozent. Zur stellvertretenden Vorsitzenden wurde erstmals in der Geschichte der Partei eine Frau gewählt — Margaret Beckett. 57 Prozent der Stimmen des Wahl-Kollegiums bekam die 49jährige, die wie Smith dem rechten Labour-Flügel angehört.
Smith, Sohn eines Schuldirektors, ist ein Labour-Politiker der alten Schule. Bereits als 14jähriger trat er in die Partei ein. 1961, als Student an der Universität Glasgow, kandidierte er — vergeblich — im schottischen Wahlkreis East Fyfe. Neun Jahre später war er allerdings erfolgreicher und zog als Abgeordneter für North Lanark ins Westminster-Parlament ein. Im Alter von 39 Jahren war er als Handelsminister jüngstes Mitglied im Kabinett von Callaghan.
Smith bezeichnet sich selbst als „überzeugten Europäer“. 1972 gehörte er in seiner Partei zu der verschwindenden Minderheit, die für den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft stimmte. Zuletzt war Smith Finanz- und Wirtschaftsexperte im Labour-Schattenkabinett. Obwohl er mit Kinnock persönlich verfeindet war, verweigerte er den Labour-Rebellen die Unterstützung. Diese wollten ihn schon im vergangenen Herbst zum Vorsitzenden machen, weil sie Kinnock für ein Wahlrisiko hielten.
Seine Wahl zum Parteivorsitzenden stand trotz seines bedenklichen Gesundheitszustands — er erlitt vor vier Jahren einen Herzinfarkt — nie in Frage. „Es wird weniger eine Wahl als vielmehr eine Krönung sein“, prophezeite die Financial Times am vergangenen Mittwoch. So war auch der innerparteiliche Wahlkampf, der nach Kinnocks Rücktrittsankündigung im April begann, lediglich eine Pflichtübung. Die Kampagne um die Stimmen des Wahlgremiums wurde sowohl von Smith als auch von seinem Kontrahenten Bryan Gould eher lustlos geführt, die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz davon. Überraschungen hatte ohnehin niemand erwartet.
Smith rühmt sich, daß er in seiner 22jährigen Parlamentskarriere noch nie seinen Standpunkt geändert habe. Sein Wahlmanifest — „Neue Wege zum Sieg“ — enthielt als Kernaussage die These, daß in einer modernen Gesellschaft wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit nicht getrennt werden können. So vage dieser Satz ist, so wenig legt sich Smith auch in anderen Fragen fest. Immer wieder heißt es in seinem Manifest: „Dieser Punkt muß noch entwickelt werden.“
Auch von Margaret Beckett, Smiths Wunschkandidatin für die Nachfolge des bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Roy Hattersley, sind keine neuen Impulse zu erwarten. Sie will, wie sie selbst betont, die Labour wieder zu einer „Volkspartei“ machen. Beckett, seit drei Jahren haushaltspolitische Sprecherin der Partei, gehörte früher zum linken Flügel und engagierte sich in der Gewerkschaftsbewegung und bei amnesty international. 1979 verlor sie ihren Unterhaussitz, zog jedoch vier Jahre später wieder ins Parlament ein. Hier näherte sie sich allmählich dem rechten Parteiflügel an.
Smith und Beckett gelten bei ihren ParteikollegInnen als Hoffnungsträger. Doch kann das Gespann die Labour Party aus der Krise führen? Wohl kaum. Die Schuld für die Wahlniederlage im April liegt keineswegs allein bei Kinnock. Die gesamte Labour-Führung war übereingekommen, die „thatcheristische Revolution“ der achtziger Jahre als unumstößlich zu akzeptieren, und konzentrierte sich im Wahlkampf auf Verbalattacken gegen die Tory-Parteispitze. Aber auch John Smith wird für die Niederlage mitverantwortlich gemacht. Sein Vorschlag, die mittleren Einkommensschichten mit höheren Steuern zu belegen, hat vermutlich die Facharbeiter scharenweise in die Arme der Torys getrieben.
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