: „Hast Du schon das neue ,Mad‘?“
Teenagerbriefe aus den siebziger Jahren, auf einem Hinterhof gefunden und gelesen ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Dreck zieht Reste an. Seit Monaten werkeln Handwerker im Hinterhof herum. Auf die Berge von Sperrmüll und Bauschutt werfen die Bewohner des Hauses die Reste ihrer Vergangenheit, die sie zu lang schon in Kisten, Abseiten oder hinten im Schrank schweigend begleitet hatten. Zerfledderte Reste eines in China hergestellten kleinen Tagebuchs mit den verzweifelten Rufen eines verlassenen Mannes, die sich abwechseln mit Terminen beim Sozialarbeiter, ein erotisches Kartenspiel, ein „New-Age-Gesellschaftsspiel“ aus dem Time-Life- Verlag und vielleicht dreißig Briefe. Geschrieben wurden sie zwischen Sommer 1975 und Januar 1977. Die Absenderin ist ein junges Mädchen zwischen 14 und 16 aus Norderstedt, einer Vorstadt von Hamburg, Empfänger ein Teenager aus Eutin, einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt. Um Porto zu sparen, enthalten die Umschläge — in orange oder himmelblau, seltener weiß — meist mehrere Briefe. Hier eine kleine Auswahl:
Erster Brief, 20.August 1975:
„High B. Wie geht's? ... Hoffentlich kannst Du meinen Brief besser lesen als ich Deinen. Du hast vielleicht eine Klaue! Wie ist das Wetter in Eutin? Hier ist es unheimlich heiß, ich glaube, ich habe schon einen kleinen Stich. Wenn K. das lesen würde, würde er sagen, daß ich den doch immer habe... P. habe ich schon dreimal getroffen. Aber Deinen Satz konnte ich ihm wirklich nicht zumuten, er hätte womöglich einen Schock fürs Leben bekommen. Aber P. ist doch das Allerletzte. Im Gegensatz zu meinem kleinen N. Ich bin immer noch ganz vernarrt in ihn. (Der Arme!) Wenn er mich sieht, ist er immer ganz sprachlos. (Er spricht nämlich nicht mehr mit mir.) Aber ich liebe ihn auch ohne Worte. Aber Du mußt deswegen nicht eifersüchtig werden... Wer liebt, muß leiden. Sei bitte nicht eifersüchtig oder deprimiert, ich habe dich auch unheimlich gerne. Und jetzt habe ich noch eine Frage: Wie seid Ihr eigentlich darauf gekommen, daß K. mit mir gehen wollte? Jetzt muß ich Schluß machen, weil es schon ziemlich spät ist. — Deine T.
(zweiter Zettel)
Hallo Du! Hier bin ich nochmal. Ich wollte Dich noch mal fragen, ob Du mich noch gerne hast? Hoffentlich!!! Ich glaube, das mit Schnully war wohl nichts. Er hatte noch zweimal geschrieben, und dann war Schluß. Ich glaube, er hat wohl wieder eine andere Doofe gefunden. Hoffentlich hast Du nicht auch schon wieder eine andere. Da wäre ich echt traurig. Nun muß ich Schluß machen. — T.
(dritter Zettel)
High Du! — Ich wollte Dir nur kurz mitteilen, warum ich den Brief so lange nicht abschicken konnte. Ich bin nämlich wie immer pleite. Höre gerade im Radio „Tränen lügen nicht“. Unheimlich deprimierend. Hoffentlich muß ich nicht heulen. Ich muß immer daran denken, daß wir uns vielleicht nie wieder sehen. — In Love! — T.
Zweiter Brief, 3.Mai 1976
High B.! Na, wie war das Rockfestival? Ich wäre unheimlich gerne gekommen, aber in unserer Familie gibt es leider keine Rockbesessenen. Meine Mutter bekommt schon Anfälle, wenn Sie Suzie Quatro hört... Übrigens ist Ochsenzoll nicht weit von Norderstedt weg, und Rocker gibt es hier nun echt nicht. Die Leute sehen hier bloß alle ein bißchen merkwürdig aus. Meistens versammeln sie sich im Herold Center, und dann ist immer was los. Vorhin haben L. und ich Schnully getroffen. Er wollte seine Gruselromane verkaufen. Ich glaube nicht, daß er welche losgeworden ist. (...) Wie ist das nun eigentlich mit Deiner Fete? Meine Eltern haben uns bis jetzt noch nicht erlaubt zu kommen, weil sie glauben, daß Deine Eltern noch gar nicht erlaubt haben, daß wir kommen. Könnten Deine Eltern vielleicht einen kleinen Zettel schreiben, auf dem sie meinen Eltern schreiben, daß wir bei Euch übernachten dürfen? Ich finde das unheimlich umständlich. Ich muß jetzt leider Schluß machen, weil noch eine Menge Schularbeiten auf mich warten. — In Love! T.
(zweiter Zettel)
Hallo B.! Ich habe gerade Deine Briefe gelesen. Ein komisches Gefühl, zu lesen, was Du so denkst. Du schreibst so richtig verrückte Sachen. Ich habe gerade mit meinem Freund Schluß gemacht. Einfach so. Der ist mir irgendwie zu normal. Ich geh erst mal mit keinem mehr. Hast Du jetzt ne Freundin, oder warum schreibst Du nicht mehr? L. hat jetzt auch wieder eine Freundin, die mag ich aber nicht, sie ist irgendwie zu albern (eben zu normal). S. war echt besser. Sie geht jetzt mit N. Ich muß jetzt stoppen, ich will irgendwie allein sein. — T.
(dritter Zettel)
Hallo B.! ... Hast Du jetzt schon wieder eine Freundin? Ich habe wieder einen neuen Freund, aber ich hab ziemlich viel Ärger mit ihm. Ich hab das Gefühl, er ist mit sich und seiner Umwelt nicht zufrieden. Er möchte am liebsten alles zusammenschlagen, was er auch ziemlich oft macht. Ich hab mir oft überlegt, mit ihm Schluß zu machen, aber ich mag ihn doch zu gerne. Bis bald! — T.
(vierter Zettel)
Hallo Du! Das Fest war echt dufte. ich hab unheimlich viel Würstchen gegessen. Ein Kilo zugenommen. Schlimm ist das!
(fünfter Zettel)
Hallo!!! Ich merke gerade, daß ich die anderen Briefe an Dich verbummelt habe. Das sieht mir wieder ähnlich. Es waren bestimmt schon zwei oder drei Seiten. Vielleicht tauchen sie ja irgendwo wieder auf. Zumindest stand ziemlich oft „Scheiße“ drin. Morgen geh ich zu einer Fete. Die haben bloß so Scheiß-Jungs eingeladen. ich hatte ihnen schon vorgeschlagen, daß ich noch ein paar Jungs mitbringe, aber sie wollten nichts davon wissen. Sie werden schon sehen, was sie davon haben... Übrigens, das Besondere an meinen Briefen ist, daß ich sie alle in der Mathestunde geschrieben habe. Deshalb hab ich auch eine Strafarbeit aufbekommen. In Love! — T.
(gleicher Zettel)
High Du! Erstmal vielen Dank für Deinen Brief. Ich war schon richtig deprimiert, weil ich dachte, Du schreibst nicht mehr. Aber ich bin ja sowieso nicht die Beste im Denken. Vor ein paar Tagen hab ich D. getroffen. Wir wußten gar nicht, was wir sagen sollten. Ich habe nur schnell gesagt, daß sie B. von mir grüßen soll, dann bin ich wieder abgehauen. Hinterher tat mir das wieder leid. Gestern hat mein dooooofer Mathelehrer mir ne Rüge gegeben, weil ich ihm meine Bonitos nicht geben wollte. Dieser blöde Ochse! Tschüß! — T.
PS: Jetzt hab ich mir doch noch Papier geholt. Ich weiß zwar nicht, was ich schreiben soll, aber ich hab irgendwie Lust zum Schreiben gehabt. Hast Du schon das neue Mad? Das mit dem Schulmädchenreport ist echt stark. Ich mach jetzt Schluß, weil mir nichts mehr einfällt. In Love! — T.
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