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Beschreibbar weiblich

Drittes Musikerinnen-Symposium in Lietzen — ein undogmatischer Ost-West-Dialog  ■ Von Gabriele Mittag

Wenn Maria Callas singt, was hören wir dann? Einen männlichen Text, der sich Gehör verschafft, indem er sich der weiblichen Stimme bedient? Oder verschwindet jener Text hinter der ergreifenden Vokalität? Die in Berlin lebende Musikerin und Komponistin Iris ter Schiphorst, zur Zeit mit einer Auftragskomposition für das Berliner Herbstfestival „Wie es Ihr gefällt“ beschäftigt, scheut sich nicht vor Theorie. In Anlehnung an Lacans Subjektbegriff, Kittlers „Aufschreibsysteme“ und Helene Cixous „Weiblichkeit der Schrift“ untersuchte sie das das Verhältnis von „Frau und Stimme“.

Aber es wurde auch praktischer nachgefaßt: In welchem Verhältnis stehen musikalische Produktivität von Frauen und Privatleben? Gibt es ein DDR-Pendant zur musikalischen Aufbruchstimmung in den 70er Jahren im Zuge der Frauenbewegung? — Einige wenige von ungefähr 1.000 Fragen, die im Laufe eines Musikerinnen-Symposiums auf dem Kunsthof „Lietzen“ bei Berlin gestellt wurden. Vom 24. bis 28.Juni hatten sich dort Musikerinnen, Musikwissenschaftlerinnen, Musikpädagoginnen und Musikjournalistinnen aus den alten und neuen Bundesländern, der Schweiz und Österreich getroffen, um über die eigene musikalische Praxis zu reflektieren. Finanziert wurde das Symposium von der Hamburger Frauenanstiftung, veranstaltet und konzipiert vom (West-)Berliner Frauenmusikzentrum „Lärm und Lust“ und dem (Ost-)Berliner Verein „Lietzen e.V“.

Endlich einmal eine undogmatische und konstruktive Kooperation von Ost- und Westkünstlerinnen, deren Arbeiten auf unterschiedlichste Weise von der Frauenbewegung und feministischer Gesellschaftskritik inspiriert sind. Die ersten Arbeitskontakte entstanden 1991 im Rahmen der in Berlin durchgeführten Kulturwoche „Außerhalb von Mittendrin“, die sich vorgenommen hatte, Arbeiten von DDR-Künstlerinnen in West-Berlin vorzustellen. Das ursprüngliche, ab 1986 entwickelte Konzept dieser Kulturwoche „BRD-Frauenbewegte stellen DDR- Künstlerinnen vor“ wurde durch die Zeitgeschichte überholt. „Außerhalb von Mittendrin“ fiel in ein „Geschichtsloch“, so eine der Veranstalterinnen, das große, an DDR-Kunst interessierte Publikum war nach dem Mauerfall ausgeblieben.

Dennoch hatte diese Veranstaltung Folgen. Erstmalig hatten sich Ost-West-Künstlerinnen in einem nicht staatlich organisierten Zusammenhang getroffen, der zum Sprungbrett für weitere theoretische Diskussionen und zur Aufarbeitung von Kunst von Frauen in den beiden Gesellschaftssystemen wurde. Im Gegensatz zu zwei Musikerinnen-Symposien 1990 in Berlin und 1991 in Hamburg, die Elemente einer feministischen Kulturkritik zu entwickeln suchten und stark von theoretischen Ansätzen aus der Literaturwissenschaft geprägt waren, stand nun das diesjährige Treffen vor allem unter dem Zeichen Ost-West.

Die Vorträge stammten ausschließlich von praktizierenden U- und E-Musikerinnen und von Musikpädagoginnen. Die beiden Eröffnungsreferate beschäftigten sich mit der Geschichte von Frauen-(Rock)bands in der BRD und mit dem Selbstverständnis von Sängerinnen und Liedermacherinnen in der DDR. Inge Morgenroth, Berliner Literaturwissenschaftlerin und Saxophonistin der Frauenband „Lachende Not“ (spezialisiert auf Vertonungen der Anagramme Unica Zürns), stellte Auszüge aus ihrer bisher unveröffentlichten Studie über „Die Entstehung und Entwicklung der Frauenmusikszene in der BRD und der Schweiz“ vor. Musik war für die Neue Frauenbewegung eher einer der Mikrokosmen, die es zu verändern galt. Aber auch Musik war Teil des Versuchs, eine Gegenkultur zu entwerfen: Gesungen wurden eigene, deutschsprachige Texte, gespielt wurden eigene Stücke für ein Frauenpublikum. Das politische Wollen war wichtiger als das technische Können, geträumt wurde von einem solidarisierenden Sprachrohr einer politischen Bewegung.

Der Blick auf die letzten 20 Jahre ist zugleich ein Blick auf die veränderte Frauenbewegung. „Als 1976 erstmals drei Musikerinnen — Irene Schweizer, Lindsay Cooper und Maggie Nicols — die heiligen Hallen des Jazz im Berliner Quartier Latin betraten, reagierten die Männer wütend. Es hieß, die Frauen sollten aufhören, die könnten ja gar nicht spielen. Das Publikum hingegen war begeistert“, so Inge Morgenroth. Was in den 70er Jahren begann und für Frauenbewegte die Vertonung eines Lebensgefühls und einer politischen Utopie bedeutete, wirkt heute zuweilen so aufregend wie handgestrickte lila Pullunder, zuweilen wie ferne politische Heimatklänge: „Lysistra“, „Flying Lesbians“, „Außerhalb“, „EMP“ (End of man made power), „Reichlich Weiblich“ lauten die klingenden Namen der bekanntesten Gruppen. Nicht zu vergessen Festivals wie „Venus Weltklang“ (1981), „Infrarot“ (1987/88), die seit 1986 regelmäßig stattfindende „Canaille“ der „Feminist Improvising Group“.

Frauenbands und Musikerinnen scheitern noch heute in erster Linie an der Schallmauer der maßgeblich männerdominierten Musikindustrie (Vertrieb und Produktion), der Ignoranz und der frauenfeindlichen Musikkritik (Sätze wie „FrauX sieht nicht nur ansehnlich aus, sondern beherrscht sogar ihr Instrument“ gibt es auch in dieser Zeitung) und an den nach Profit strebenden Veranstaltern. Hinzu kommt die musikalische Sozialisation oder Nichtsozialisation, die Frauen bis heute demotiviert, Instrumentalistin, Dirigentin, Komponistin zu werden. Zitate aus Interviews mit Musikerinnen offenbarten hanebüchenen Unsinn („Frauen haben keine große Lungenkapazität, also lassen Sie bitte das Trompetespielen“) und gebrochene Biographien: Wer sich als Rock- oder Jazzmusikerin durchsetzen will (Sängerinnen sind ein anderes Thema), braucht vor allem Ausdauer und ein stabiles Ego.

Wer nach einem ostdeutschen Pendant dieses Themas sucht, findet nicht nichts, sondern entdeckt, daß im Osten alles ganz anders war und Vergleiche nicht möglich sind: andere Lebens- und Arbeitsbedingungen, andere Musikentwicklungen bei gleichzeitigem Hang zur Nachahmung der westlichen „imperialistischen Musikware“, ein anderes Selbstverständnis, ganz andere Ausbildung und Produktionsbedingungen (staatliches Monopol). Bianca Tänzer, Musikwissenschaftlerin, zur Zeit künstlerische Leiterin des musikalischen Programms der Ostberliner „Kulturbrauerei“, konzentrierte sich bei ihrem musikalischen Flug durch die DDR-Musikgeschichte auf die Opern- und Schlagersängerinnen und Liedermacherinnen — sicher nicht zufällig. Denn auch in der DDR waren die Instrumentalistinnen im Rock- und Jazz völlig unterrepräsentiert: „In bezug auf den Jazz sage ich einfach mal ganz kühn: das fängt jetzt erst an.“

Ziel dieses Überblicks war weniger die Beurteilung aus heutiger feministischer Sicht, sondern die Suche nach Antworten auf die Frage im Hinterkopf: Was könnten Musikerinnen heute davon lernen? Beiträge zur Lieder-Collage lieferten prominente Interpretinnen wie Helene Weigel, Irmgard Arnold, die Jüdin Lin Jaldati, für Westohren unbekannte Schlagersängerinnen wie Bärbel Wachholz („unsere Caterina Valente“), die blutjunge Nina Hagen („Hatschi Waldemar“, ein köstlicher Schlager aus dem Jahr 1975); aber auch zeitgenössische Texterinnen wie Gisela Steineckert oder erfolgreiche Musikerinnen wie Uschi Brüning, Barbara Thalheim und Gerlinde Kempendorff.

Bei der Suche nach irgendwie frauenbewegten Texten oder gar Frauenbands zu DDR-Zeiten fallen nur wenige Namen auf, darunter Maike Nowak. Die Frage, wie sich die Situation ehemaliger DDR-Sängerinnen oder Liedermacherinnen seit der Wende verändert hat, wäre ein eigenes Thema gewesen. Maike Nowak hat ihr Publikum behalten, die Arbeitsbedingungen sind jedoch völlig andere geworden. Musikmanager zum Beispiel bestätigen die plattesten Vorurteile. Für die drei Agenten, die Maike Nowak seit der Wende kontaktierte, war es selbstverständlich, die geschäftliche Beziehung mit dem Beischlaf beginnen zu wollen. Geschäft ist Geschäft. Einer meinte, er könnte sie „nehmen“, wenn aus ihr eine „zweite Nena“ würde. „Ich habe doch nicht zehn Jahre daran gearbeitet, etwas Eigenes zu entwickeln, um aus mir eine andere machen zu lassen und ein Nichts zu werden.“

Einer der Abende galt dem Gespräch mit der älteren Generation: Alice Samter, in Berlin lebende und hochbeschäftigte Komponistin von 84 Jahren, wurde vorgestellt, und dieser Kontakt hat vielleicht weiterführende Folgen. Alice Samter, die sich schon immer gerne in Frauenzusammenhängen bewegt hat, soll eine Komposition für eine neue Frauenbigband schreiben. Es wäre ihre erste Komposition für eine Frauenband. Das Alter schützt eben vor neuen Wegen nicht.

Die Gesangslehrerin Leonore Gendries aus Ost-Berlin (Nina Hagen war zeitweilig eine ihrer Schülerinnen) berichtete über ihren beruflichen Werdegang, über „neue Wege frauenspezifischer Art in der Musikerziehung“ referierte Birgit Janz aus Ost-Berlin, über Feministische Musikpädagogik Angela Frost, West- Berlin. Fortsetzung folgt bestimmt, auch ein Thema wurde schon ausgedacht: „Kunstego und Askese“.

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