: Bugno wie Lendl
■ 79. Tour de France: Andrew Hampsten siegte in L'Alpe d'Huez/ Gianni Bugno wieder abgehängt
Berlin (taz) — Am liebsten hätte sich Greg LeMond ganz still und heimlich aus der 79. Tour de France verabschiedet, aber solch ein unauffälliger Abgang ist einem Fahrer seines Kalibers natürlich nicht vergönnt. Vom ersten Kilometer der 14. Etappe, die von Sestrière über Galibier (2.640 Meter), Croix de Fer (2.067) nach L'Alpe d'Huez führte, klebten die Fotografen wie ein Rudel Hyänen am Hinterrad des dreimaligen Toursiegers und warteten darauf, daß der 31jährige endlich schlapp machte. Nach 103 Kilometern war es soweit: Greg LeMond stieg vom Rad. „Ich gab mein Maximum, aber es hat nicht gereicht“, erklärte der Amerikaner, der schon vom Beginn der Tour an über Müdigkeit geklagt hatte. Den Ruhetag vor den harten Alpenetappen habe er praktisch im Bett verbracht, dennoch seien seine Beine „leer“ gewesen. Hinzu kamen Schmerzen im rechten Knie, die LeMond auf seine der Kraftlosigkeit geschuldete schlechte Technik zurückführte: „Ich trete nicht, ich drücke bloß nach unten.“
Dem Scheitern LeMonds folgte der große Triumph eines anderen Amerikaners, der bislang stets im Schatten seines erfolgreicheren Landsmannes gestanden hatte: Andrew Hampsten. Während sich Spitzenreiter Miguel Induráin darauf beschränkte, seinen ärgsten Rivalen Claudio Chiappucci in Schach zu halten und bei dieser Gelegenheit Leuten wie Bugno, Roche, Fignon oder Breukink noch mal einige Minuten abzuknöpfen, setzte sich Hampsten mit einer fünfköpfigen Gruppe ab. Auf den 21 Serpentinen, die 13 Kilometer lang hinauf ins 1.860 Meter hoch gelegene L'Alpe d'Huez führen, fuhr er dann auf und davon.
Das Spalier, das die halbe Million Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Strecke säumten, bildeten, wurde immer dichter. Die Fahrer mußten praktisch ständig gegen eine Mauer von außer Rand und Band befindlichen Menschen anfahren, die sich erst im letzten Augenblick vor ihnen öffnete. „Es ist phantastisch, aber es ist auch furchterregend“, grauste sich Hampsten noch nach der Zielankunft. „Du versuchst ruhig zu bleiben, um nicht zu explodieren, aber alle anderen brüllen, als seien sie bei einem Boxkampf.“
Selbst der sonst so ruhige Hampsten verlor einigemale die Geduld, schlug nach ihm gereichten Wasserflaschen und nach Fans, die laut schreiend dicht neben ihm herliefen. Nah seinem Sieg war er dann jedoch wieder versöhnt: „Es ist ein wahnsinniges Gefühl. Für mich ist es wie eine Weltmeisterschaft, eine Etappe wie diese zu gewinnen.“
Einen erneuten Einbruch erlebte Gianni Bugno, der die letzten beiden Male in L'Alpe d'Huez triumphiert hatte. Je steiler es bergauf ging, desto schneller ging es mit Bugno bergab. Erst wurde der als Topfavorit gestartete Italiener am Galibier von einem übereifrigen Fan umgeschubst, dann auf den letzten Kilometern von Induráin und Chiappucci abgehängt und in der Gesamtwertung von Hampsten und Lino überholt. Bugno wurde bei dieser Tour eindeutig ein Opfer des Lendl-Syndroms. Wie jener vor zwei Jahren in Wimbledon, hatte sich Bugno in dieser Saison ausschließlich auf die Tour konzentriert. Doch die eklatante Überlegenheit Induráins brach seine Moral, und auf Bugnos Psychologen de Michelis, der auch Alberto Tomba über herbe Niederlagen hinwegtröstet, wartet eine Menge Arbeit. Schließlich gilt es zu verhindern, daß der sensible Bugno jetzt denselben Weg wie Lendl geht: zügig nach unten. Matti
Gesamtklassement: 1. Induráin 69:20:07; 2. Chiappucci 1:42 Minuten zurück; 3. Hampsten 8:01, 4. Pascal Lino (Frankreich) 9:16; 5. Bugno 10:09; 6. Pedro Delgado (Spanien) 11:38; 7. Eric Breukink (Niederlande) 15:48; 8. Giancarlo Perini 15:56; 9. Vona 16:41; 10. Heppner 17:51; 11. Stephen Roche (Irland) 18:03; ... 38. Bölts 1:02:38; 59. Krieger 1:32:37; 78. Kummer 1:54:04; 96. Ludwig 2:08:00; 132. Kappes 3:03:52
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