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Die Vision vom Ökomuseum

■ Das Überseemuseum fördert neue Konzepte — in Griechenland

Homer nannte sie die „Meerschauminsel“ —Kassos, ein Inselwinzling im Ägäischen Meer, dessen Überlebensanstrengungen jetzt eine Ausstellung im Überseemuseum dokumentiert.

Wie viele kleine griechische Inseln ist auch Kassos von rasanter Entvölkerung bedroht. Mit der Erfindung der Dampfmaschine nämlich verloren die segelschiffenden Einwohner - Mittelmeerkapitäne, Reeder und Piraten — ihre Erwerbsgrundlage, ohne daß sich Alternativen entwickelt hätten. Von ursprünglich 7.000 Einwohnern verblieben 1.200 auf ihrem von Aigo-Schafen kahlgefressenen Eiland. „No future“ konnte als einer der wenigen Amerikanismen die Inselisolation durchbrechen.

Aber Kassos hatte einen engagierten Bürgermeister, der seine deprimierten Mitbürger aufrütteln wollte, und die Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit einem Projekt des Bremer Überseemuseums nutzte. Die Bremer nämlich, unter der Leitung von Dr. Elisabeth Kuster-Wendenburg und Alexandros Pistofidis, arbeiteten an einem Förderprogamm für die Entwicklung von alternativem Inseltourismus. Auf der Nachbarinsel Karpathos war eine erste Umsetzung 1984 in eine Sackgasse geraten, weil die dortige Bevölkerung wenig Interesse an einem „sanften“ Tourismus zeigte. Die Kassioten dagegen, deren empfindliche Inselökologie eh keinem Massentourismus gewachsen wäre, nahmen den Kampf um ihre Zukunft auf.

In einem neugegründeten Ausbildungs-und Entwicklungszentrum wurden 35 Jugendliche an die handwerklichen Traditionen der Insel herangeführt. Sie bauen Schiffsmodelle, die die alten Segler ihrer Vorfahren zum Vorbild haben, und verkaufen sie zu Preisen von 300 bis 3.000 DM pro Stück. Sie stellen in der Keramikwerkstatt dekoratives Geschirr und Tonschmuck her. Und sie arbeiten an der Restaurierung der ehemals prächtigen Kapitänsherrenhäuser, die zu Touristenpensionen werden sollen.

Bei den Restaurierungsarbeiten sind die alten Männer der Insel gefragt. Sie unterrichten die Jungen in den traditionellen Zimmermannstechniken. Ein Tischler, der in dem ausstellungsbegleitenden Video im Überseemuseum zu sehen ist, sagt: „Ich bin 75 Jahre alt. Ich hatte schon aufgegeben, aber jetzt gehe ich jeden Morgen in's Zentrum, weil die jungen Leute ohne mich nicht weiterkommen. Ich will, daß sie mich fragen, bevor ich tot bin! „

Parallel zu den praktischen Ausbildungen laufen Kurse für Verkaufswesen und Management. Die Frauen der Insel haben inzwischen eine eigene Genossenschaft für ihren Restaurant-

betrieb gegründet, und machen den bisher nur von Männern geführten Betrieben starke Konkurrenz: „Wir kochen nach ökologischen Gesichtspunkten, wir holen unsere Kräuter aus den Bergen. Wir nehmen keine Plastiktischdecken mehr, und achten auf größte Sauberkeit!“ erklärt eine der Genossenschaftlerinnen, „die Männer müssen nachziehen.“

Kassos' Bürgermeister hatte schon vor Jahren für den Ausbau eines kleinen Flugplatzes gesorgt. Der Hafen ist erweitert worden. Kassos kann BesucherInnen empfangen.

Den ProjektleiterInnen im Überseemuseum ist die ideologische Brisanz ihrer Förderprogramme wohl bewußt. „Was würden die Helgoländer sagen, wenn erfahrene Griechen kämen, um sie über den richtigen Tourismus zu belehren...“ sagt Dr. Kuster- Wendenburg. Um einen modernen Missionarismus zu vermeiden, wurde auf engste Zusammenarbeit mit der einheimischen Bevölkerung Wert gelegt. Die Finanzierung erfolgte durch den EG-Sozialfond und die Jugendsozialwerke Athen. Die wissenschaftliche und lebenspraktische Leitung vor Ort übernahm der griechische Politologe und Volkwirt Alexandros Pistofidis.

Hinter dem dreijährigen Projekt, dessen Stationen auf einer ausführlich kommentierten und sehr schön von Kerstin Matijasevic fotografierten Bilderserie zu sehen sind, steht eine Vision. Die Vision von einem Museum, das nicht nur sammelt archiviert und ausstellt, sondern lebendig und offen ist für die Mitarbeit der jeweiligen Bevölkerung an der Wahrung ihres kulturellen und natürlichen Erbes. „Ökomuseum“ — eine Art radikalisiertes Heimatmuseum , ist das entsprechende Schlagwort. Die Zusammenarbeit mit den BürgerInnen von Kassos versteht sich als ein erster Schritt auf solch ein ganzheitliches Museumkonzept hin. Wer weiß, vielleicht gucken sich manche BremerInnen die genaue Lage der „Meerschauminsel“ an. Im Überseemuseum hängt eine große Karte vom Ägäischen Meer. Cornelia Kurth

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