NS-Akten unbearbeitet in niedersächsischen Archiven

■ Landesregierung ohne genaue Erkenntnisse

Fast fünfzig Jahre nach dem Ende der Terrorherschaft durch die Nationalsozialisten lagern die Akten über die zwischen 1933 und 1945 in Niedersachsen beganngenen Justizmorde weitgehend unbearbeitet in den staatlichen Archiven. Das ist für den SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Oppermann das erschütternde Ergebniss der Beantwortung einer Kleinen Anfrage durch das niedersächische Justizministerium. Vor dem Hintergrund der von Angehörigen in Schleswig-Holstein betriebenen NS-Rehabilitationsverfahren und der Stasi-Vergangenheitsbewältigung hatte der SPD-Politiker, Mitglied im Rechtsausschuß des Landtages, Aufschluß über die Tätigkeit von NS-Sondergerichten auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens verlangt.

Das Justizministerium räumte in der Beantwortung ein, daß derzeit noch keine exakten Daten über die Tätigkeit von Sondergerichten in der Zeit vom 30. Januar bis zum 8.Mai 1945 vorliegen. Diese Gerichte hatten in Schnellverfahren von weniger als einer Stunde Dauer Menschen zum Tode verurteilt. Jedoch sei dem Ministerium bekannt, daß es Sondergerichte in Hannover, Braunschweig und Oldenburg gegeben habe. Zudem seien ab 1942 zusätzliche Gerichte tätig gewesen, die nicht als ständige Einrichtungen vorgesehen waren, sondern kurzfristig nach Bombenangriffen als sogenannte Plünderungssondergerichte gebildet wurden. Nach Schätzungen von Fachleuten seien allein durch das Sondergericht Hannover 4.000 „Straftaten“ abgeurteilt und 170 Todesurteile gefällt worden.Genauere Zahlen lägen der Landesregierung nicht vor.

Etwa 50 Richter und Staatsanwälte, die an Sondergerichten tätig waren, sind nach Angaben des Justizministeriums von der niedersächischen Justiz oder von der öffentlichen Verwaltung nach dem Krieg übernommen worden. Bisher sei dem Ministerium kein Antrag von Angehörigen bekannt geworden, nationalsozialistische Unrechtsurteile auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens aufzuheben. Von Amts wegen sei lediglich in einem Fall ein Wiederaufnahmeverfahren beim Landgericht Braunschweig betrieben und ein Todesurteil aufgehoben worden. Das Justizministerium prüft derzeit, ob Todesurteile der Sondergerichte — zumindest die aufgrund sogenannter Plünderungsfälle gefällten — als von vornherein nichtig anzusehen sind.

Der SPD-Abgeordnete Oppermann hält hingegen die schnelle und konsequente Aufarbeitung der Justizmorde für unerläßlich, um dem „groben Unrecht“ ein Ende zu setzen. Oppermann erinnerte die Landesregierung an Koalitionvereinbarungen, in der sie sch auf ein entsprechendes Vorgehen verpflichtet habe. Britta Grashorn/nrp