: Ländlich Sorgenfrei
■ Über das „Oleg Kagan-Musikfest am Tegernsee“
In einem kleinen Tal unweit des Tegernsees, der Länge nach hingestreckt, vor sich eine saftige grüne Wiese, so beschaulich bayerisch liegt es da, das kleine „Wildbad Kreuth“. Gegenüber der schloßähnlichen Anlage, halb in den Berg gehauen, ein architektonisches Kunstwerk: Kirche und Wirtshaus ineinander verkeilt, ein Gebäude von gewaltiger Symbolkraft. Hier, am Fuße des Berges Riederstein, aus dem heilendes Wasser plätschert, sagen sich wahlweise Fuchs und Hase oder Mitglieder der CSU noch gute Nacht. Zu Beginn des 16.Jahrhunderts hatte Abt HeinrichV. Kitzner das Riedensteinwasser als äußerst heilend empfunden und für 58 Pfund Pfennige und zwei Heller ein neues Badhaus für sich und seine Schäflein errichten lassen. Über dreihundert Jahre danach verspürte auch König MaxI. von Bayern die Wirkung des Wassers, ließ sogleich einen repräsentativen Kurort aus dem Talboden stampfen. Und nun gab es kein Halten mehr für Hochadel, niederen und Nichtadel, alles strömte nach Kreuth. So war das kleine Tal zwischen den rauhen Bergen mit einemmal berühmt.
Seit zwei Jahren gibt es nun eine neue Initiative, das bescheidene Kurbad ins Licht der Weltöffentlichkeit zu heben. Es ist ein internationales Musikfestival, das „Oleg Kagan- Musikfest am Tegernsee“, benannt nach dem großen russischen Geiger Oleg Kagan, der es selbst nie geschafft hatte, im Westen Karriere zu machen, denn als Dissident hatte er Reiseverbot. Wo früher deutsche Poeten und russische Zaren abstiegen, da gastieren jetzt russische und deutsche Musiker.
Mit dabei ist auch Zachar Bron, einer der begehrtesten Geigenpädagogen. Es herrscht ja auch auf diesem Gebiet eine Art Mode, welchem Lehrer man sich anvertraut, wer einen nicht nur musikalisch, sondern auch karrieremäßig vorwärtsbringt. So wechselte der Japaner Daishin Kashimoto mit elf Jahren von der renommierten New Yorker Julliard- School zu Zachar Bron nach Lübeck; ebenso verließ die sechzehnjährige Melina Mandozzi die Londoner Menuhin School, um bei Bron zu studieren. Eine Woche vor dem eigentlichen Eröffnungskonzert werden die jungen Talente der Öffentlichkeit präsentiert, in einem vier- bis fünfstündigen Marathonkonzert. Mindestens zwei Stradivaris sind dabei im Gefecht, Kashimoto brachte seine neue Andrea Guarneri mit, die zwar sehr gut klingt, die er aber noch nicht vollkommen im Griff hat. Im letzten Jahr hatte er noch auf einer 3/4-Geige Haydns Violinkonzert gespielt, allerdings ziemlich perfekt. Eine der erwähnten Stradivaris hatte einst der legendäre David Oistrach im Gepäck. Heute steht sein Enkel Valery mit diesem Instrument auf der Bühne — seit Jahren debütiert der nun Dreißigjährige unentwegt.
Glück hatten die angereisten Fans von Svjatoslav Richter. In Beethovens F-Dur-Sonate wurde deutlich, was ihm bei allen technischen Mängeln an Musikalität geblieben ist, wie unprätentiös und maßvoll er der Musik begegnet. Seit längerer Zeit schon sucht er sich kleine Säle in der Provinz, scheut das Licht großer Öffentlichkeit. „Warum ich mit gedämpftem Licht spiele“, so lautet eine Programmheftnotiz des Meisters. Und tatsächlich ist die Bühnenbeleuchtung während der Aufführung auf ein Lämpchen von maximal zehn Watt reduziert.
So ahnt man kaum die Bedeutung des Ortes: In dem berühmten „Bauerntheater Terofal“, wo Richter spielte, saßen zu Beginn des Jahrhunderts Künstler, Intellektuelle und andere Prominenz: Franz v. Lenbach, Franz v. Stuck, Wilhelm v. Kaulbach, Henrik Ibsen, Hermann Bahr und Eugen d'Albert, Bismarck und Kaiser Wilhelm II.
Beim „Oleg Kagan-Musikfest am Tegernsee“ sind es eher die Künstlernamen, die glänzen: Yuri Bashmet, Eduard Brunner, Natalia Gutman, Svatoslav Richter und andere. Aber ganz ohne Adel geht es auch hier nicht ab. Ihre Königliche Hoheit Herzogin Max in Bayern, Schwiegertochter Seiner Königlichen Hoheit Albrecht von Bayern, hat die Schirmherrschaft übernommen. Die bayerischen Hoheiten — potentiell regierend „von“ oder nicht regierend „in“ — hatten ja immer schon starke Gefühle für die Kunst: Das gilt nicht nur für die Herzogin Max, auch Herzog Max bläst abends ganz privat mit dem Eibl-Sepp und seiner Gruppe auf der Klarinette bayerische Volksweisen. Ihm und der ganzen Festgemeinde möchte ich aus den „Erinnerungen an Kreuth“ des Poeten Mauerer zurufen: „Schönster Punkt im schönsten Alpenlande! Bleibe, was dein Genius dich nannte: Heilort und ein ländlich Sorgenfrei!“ — Ja, der Mauerer hat schon 1824 hart hing'langt, wie das in Bayern eben Brauch ist. Helmut Mauró
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