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Einmal Brando singen sehen

■ „Guys und Dolls“ — die Verfilmung des Broadway-Musicals durch Joseph Mankiewicz ist wieder im Kino

New York, Times Square. Ein dekorativer Prospekt, der symbolisch das zitiert, was eine Großstadt, was New York ausmacht. Vorgeblich: Ampeln, überquellende Mülleimer, Reklameschilder, eine Straßenkreuzung. Die Stadt als überdimensioniertes Dorf — hierhin gehören die Zocker, die Heilsarmee, hier stehen Gut und Böse auf nachbarschaftlichem Fuß. Ein Typenkarussell beginnt sich zu drehen, ein Chorus amerikanischer Straßenjungs und -mädchen zieht auf, eine übersichtliche Klassengesellschaft: die Schuhputzer, die Taschendiebe, die Ladendetektive, die Kassierin, die feinen Damen (mit Paketen beladen) und die weniger feinen Herren (mit Zeitungen getarnt); die Musik heizt ihnen ein, sie pfeifen, springen, steppen, und sie tanzen — ein Balanceakt zwische Slapstick und einer Revue großer Machart. Das Opening von „Guys und Dolls“ ist grandios.

Der Mythos Großstadt wird zelebriert und auf charmante (und völlig folgenlos bleibende) Weise widerlegt. Der größte und schönste Zocker vom Times Square heißt Sky Masterson alias Marlon Brando; er geht eine seltsame Wette mit dem die geheimen Spielertreffs organisierenden Nathan Detroit (Frank Sinatra) ein. Die lautet: daß es ihm gelingen werde, eine junge, hübsche Dame von der Heilsarmee namens Schwester Sarah (Jean Simmons) für einen Abend nach Havanna zu entführen. Zwölf schwere Jungs als Büßer im Gottesdienst verspricht Sky Masterson der jungen Frau im Gegenzug für diesen Liebesdienst, der ihre Missionsstation vor einer Schließung bewahren helfen soll. Eine halbwilde Liebesgeschichte entspinnt sich, die ihre mild-verklärte Entsprechung in der Beziehung zwischen Nathan Detroit und seiner Adelaide (Vivian Blaine) findet. Als die ewig verschnupfte Adelaide ihren Freund endlich in den Ehehafen gelotst hat, beginnt er zu niesen. Doppeltes Happy-End: das Gangstermilieu entkriminalisiert, das frömmlerische Milieu profanisiert.

Ein Musical ist dann erfolgreich, wenn es die Welt pfiffig, witzig und nicht zu streng anschaut, wenn es ein gutes Remake des eigenen und fremder Genres ist: der Kriminalliteratur, der Gangsterfilme, ein Kolportagestück aus Selbstzitaten und Persiflage als Show.

Joseph Mankiewicz, der Regisseur („All About Eve“), hat einmal in seinem Leben eine Oper inszeniert („La Bohème“) und neben zig anderen Filmen einen Musicalfilm gedreht: „Guys und Dolls“ aus dem Jahre 1955. Genauer gesagt, er hat ein Musical vom Braodway in Hollywood verfilmt, allerdings überwiegend mit Schauspielern, die spielen und singen können. Der Film, der in Deutschland den fürchterlichen Titel „Schwere Jungs und leichte Mädchen“ erhielt, läuft jetzt im Original mit deutschen (teilweise schlecht übersetzten) Untertiteln, in Cinemascope und in der zweieinhalbstündigen Langfassung.sei

„Guys and Dolls“. Regie: Joseph L. Mankiewicz, mit Marlon Brando, Jean Simmons, Vivian Blaine, Frank Sinatra. USA 1955.

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