: „Ein oder zwei Bomben auf Bagdad“
■ Die UNO-Inspektoren vor dem irakischen Landwirtschaftsministerium ziehen sich ins Hotel zurück/ Militäraktion weiter möglich/ UNO hatte Ausmaß der US-Technologieexporte an den Irak aufgedeckt
New York (AP/AFP) — Die UNO- Inspektoren im Irak haben ihre seit über zwei Wochen andauernde „Belagerung“ des Landwirtschaftsministeriums in Bagdad abgebrochen. Wie ein UNO-Vertreter in New York mitteilte, wurde diese Entscheidung vom Chef des Teams vor Ort getroffen. Die gegenwärtige Krise in Bagdad gilt als schwerster Konflikt zwischen Irak und der UNO seit dem Golfkrieg und löst möglicherweise eine militärische Intervention aus.
Die Inspektoren harrten mit ihren Fahrzeugen vor dem Landwirtschaftsministerium aus, in dem sie Unterlagen über irakische Raketen vermuten. Die Regierung Iraks verweigerte ihnen jedoch den Zutritt. In den letzten Tagen kam es zu Protestdemonstrationen gegen die „Belagerer“, bei denen deren Fahrzeuge mit Gegenständen beworfen wurden. Am Dienstag beschrieb Rolf Ekeus, der Leiter des UNO-Überwachungsprogramms für Irak, die Lage als „bedrohlich“. Gestern begann dann der Abzug.
Die Inspektoren, so die irakische Nachrichtenagentur unter Berufung auf Teamchef Mark Silver, seien ins Sheraton-Hotel in Bagdad zurückgekehrt, weil sich die Regierung außerstande gesehen habe, ihre Sicherheit zu gewährleisten. Ein UNO-Vertreter in Bagdad sagte per Telefon, die Inspektoren würden voraussichtlich zunächst im Hotel bleiben und das Land nicht verlassen. Am Dienstag war ein anderes UNO-Inspektorenteam aus Bagdad abgereist, das die Zerstörung von Anlagen für die Atomwaffenproduktion überwacht.
Wegen der Zuspitzung der Lage hatten die USA, Großbritannien und Frankreich dem Irak am Montag eine ernste Warnung erteilt und einen Militäreinsatz zur Durchsetzung der UN-Resolution 678 nicht ausgeschlossen. Darin hatte der UN-Sicherheitsrat am 3. April 1991 die Vernichtung der irakischen Massenvernichtungswaffen unter UN-Aufsicht gefordert. Der irakische UN- Botschafter, Abdul el Anbari, erklärte dazu am Dienstag in New York: „Eine oder zwei Bomben auf Bagdad werden unsere Haltung nicht ändern.“ Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pete Williams, unterstrich am Dienstag, die USA hätten die „militärische Kapazität“, um auf die Weigerung des Irak zu reagieren, sich den UN-Beschlüssen zu unterwerfen.
Peinliche US-Lieferungen an den Irak
Washington (wps) — Während ihrer Tätigkeit im Irak hatten die UNO- Inspektoren Einzelheiten der Unterstützung ausländischer Firmen für die irakische Aufrüstung aufgedeckt, die für die USA hochpeinlich sein dürften. Bereits vor sechs Monaten informierte die Irak-Sonderkommission der UNO die US-Behörden auf vertraulichem Wege, daß Material von elf US-Firmen in irakischen Raketen- und Chemiewaffenfabriken gefunden wurde. Die Internationale Atomenergiebehörde hat vor kurzer Zeit 15 US-Firmen genannt, deren Lieferungen zur atomaren Aufrüstung des Irak beitrugen.
Am vergangenen Dienstag wurde außerdem in Washington ein zuvor geheimgehaltener Bericht des US- Außenministeriums vorgestellt, nach dem zwischen 1985 und 1990 mehrere Dutzend weitere US-Exporte, darunter Bakterienkulturen und Raketensteuerungsanlagen, genehmigt wurden und ihren Weg in die irakischen Aufrüstungsprogramme fanden.
Zwei von sieben Ausfuhrgenehmigungen in dieser Zeit, sagte der Kongreßabgeordnete Henry Gonzalez am Dienstag, „gingen entweder direkt an das irakische Militär, an irakische Waffenhersteller oder an irakische Firmen, die der Weiterleitung von Technologie verdächtigt wurden“. Einige dieser Exporte wurden für den Einsatz in irakischen Firmen genehmigt, deren militärischer Charakter den US-Behörden bekannt war. Der Gebrauch der Exporte, so Gonzalez, wurde nach der Lieferung nicht mehr kontrolliert.
Das US-Handelsministerium führte Irak in dieser Zeit als „Nation der Freien Welt“, so wie Großbritannien oder Frankreich. Solchen Ländern konnten Exporte nur in wenigen Fällen verweigert werden: Risiko einer Weiterleitung an die Sowjetunion, Gefährdung der regionalen Stabilität oder Entwicklung von Atomwaffen. „Wir hatten keine legale Handhabe, eine Ausfuhr an den Irak zu verhindern“, behauptete der ehemalige Unterstaatssekretär im Handelsministerium, Dennis Kloske, vor einem Kongreßausschuß letztes Jahr.
Die irakfreundliche Politik spaltete die US-Regierung. Während das Außenministerium eine liberale Haltung befürwortete, warnte das Pentagon bereits 1985 vor der irakischen Aufrüstung und intervenierte vergeblich, um militärisch nutzbare Exporte zu verhindern. Das Außenministerium beschwerte sich in solchen Fällen über die langen Prüfzeiten für Exporte. Im Jahr 1990 wachte schließlich Außenminister James Baker auf. Er ließ einen Plan ausarbeiten, um Exporte an Länder einzuschränken, die der Entwicklung von ABC-Waffen verdächtigt wurden. „Iraks außergewöhnlich aggressive Proliferationsbemühungen machen diese Situation besonders dringend“, schrieb er dem Handelsministerium am 25. Juli — eine Woche vor der Invasion Kuwaits. Da war es schon zu spät.
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