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Asylbewerber dürfen nicht reisen

Obwohl die Mutter im Sterben lag, sprachen Hamburger Richter einem Afghanen das Recht auf einen Reisepaß ab / Eine  ■ Episode aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit

Der afghanische Asylbewerber L.N. hatte eine Mutter in Indien. Im September 1991 erhielt er die Nachricht, daß die Mutter erkrankt ist. Sein Rechtsanwalt bat bei der Hamburger Ausländerbehörde um die Erteilung einer Reiseerlaubnis und die Ausstellung eines Fremdenpasses.

Ein Fremdenpaß ist immer dann nötig, wenn ein Asylbewerber ohne eigene Ausweispapiere in die BRD reist und von dort aus andere Reisen durchführen will. Die Ausländerbehörde hielt es jedoch nicht für nötig zu reagieren. Trotz mehrfacher telefonischer und schriftlicher Nachfragen erfolgte keinerlei Reaktion. Eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde erklärte dem Rechtsanwalt später: „Wissen Sie, wir kriegen jeden Tag so viel Post, wir können das nicht immer alles lesen!“

Nachdem sich der Gesundheitszustand der Mutter von L.N. erheblich verschlechterte, wurde im Februar 1992 beim Verwaltungsgericht der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt. Nunmehr erklärte die Ausländerbehörde, selbstverständlich werde eine Reiseerlaubnis erteilt. Dies hätte bisher nicht geschehen können, weil das erste Schreiben des Rechtsanwalts nicht auffindbar sei. Ein Schreiben vom 8. Januar 1992 lag am 18. Februar 1992 immer noch unbearbeitet in der Post der Ausländerbehörde. Den nötigen Fremdenpaß wollte die Ausländerbehörde allerdings nicht ausstellen. Begründung: L.N. könne sich ja um einen Nationalpaß seines Heimatlandes Afghanistan bemühen.

Ob dieses Ansinnen rechtens ist, darüber mußte nun das Hamburger Verwaltungsgericht entscheiden. Es machte sich die Sache sehr einfach: Zwar müsse nach dem Gesetz generell Ausländern, die einen Paß oder einen Paßersatz weder besitzen noch in zumutbarer Weise erlangen können, ein Reiseausweis ausgestellt werden, jedoch gebe es eine weitere Verordnung des Bundesinnenministers, wonach dieses nur für Leute geschehen solle, die eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Aufenthaltsbefugnis oder eine Aufenthaltserlaubnis haben. Das trifft auf Asylbewerber grundsätzlich nicht zu. Der Bundesinnenminister erlaubt sich also, über den Wortlaut des Gesetzes hinweg Asylbewerber auszugrenzen. Dies fand das Verwaltungsgericht in Ordnung. Weiterhin habe L.N. sich auch nicht um die Ausstellung eines Passes bei der afghanischen Botschaft bemüht. Es wurde ernsthaft von ihm erwartet, daß er sich dorthin begibt. Daß er dadurch sein Asylverfahren — politische Verfolgung durch den afghanischen Staat — geradezu ins Lächerliche zieht, interessierte das Gericht nicht.

Inzwischen war die Mutter des L.N. verstorben; L.N. wollte zur Trauerfeier nach Indien reisen. Auf die Beschwerde seines Rechtsanwalts hin machte es sich der 1. Senat des Hamburger Oberverwaltungsgerichts (OVG) unter Vorsitz seines Präsidenten Wilhelm Rapp noch einfacher. Es wurde lapidar festgestellt, daß es „einem Asylbewerber nicht generell unzumutbar sei, sich um die Ausstellung eines Nationalpasses seines Heimat- und vermeintlichen Verfolgerstaates zu bemühen“.

Die Krönung der ganzen peinlichen Affäre brachte das Bundesverfassungsgericht. Auf eine Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwaltes von L.N. hin, in der ausführlich der Rechtsverstoß, die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und die Unmöglichkeit eines Ganges in die afghanische Botschaft für den Asylbewerber dargelegt wurden, schmierte die 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde ab. Unter Vorsitz des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Hans Hugo Klein wurde in immerhin 10 Zeilen festgestellt, daß die Entscheidung des OVG einer Überprüfung standhalte, da einem Asylbewerber zugemutet werden könnte, die Botschaft zu betreten. Wie dieses mit dem laufenden Asylverfahren zu vereinbaren sein soll, erklärten der CDU-Mann und seine Mitrichter nicht. Warum auch; in Zeile 11 der Entscheidungsgründe heißt es schließlich: „Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“ Justus

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