: Kafka fährt mit der Reeperbahn
■ CVOCI, die Trottel-GmbH aus der CSFR, setzte mit ihrem Stück Crash den bisher schwärzesten komischen Akzent beim Festival Mimen, Possen, Poesie
, die Trottel-GmbH aus der CSFR,
setzte mit ihrem Stück Crash den bisher
schwärzesten komischen Akzent beim
Festival Mimen, Possen, Poesie
Schlappe Bettücher an klapprigem Gestänge hängend rahmen die Bühne. Zwei über und über bandagierte Herren namens Karl und Franta stöhnen und wehklagen in ihren kargen Krankenbetten. Geschiente Gliedmaßen hängen in gepolsterten Galgen, auf und ab schwillt das Gejammer der beiden Verunglückten zwischen tiefer Verzweiflung und kindischer Albernheit. Anfangs ist das Publikum ratlos, ob es angesichts solcher Qualen wohl statthaft ist, zu lachen.
Miloslav Horacek ist der magere Taxifahrer Franta, Antonin Klepac der Lastwagenfahrer Karl. Ihr Crash war kurz - angedeutet nur durch heftiges Krachen aus dem Off, Stimmengewirr und in der Ferne verhallenden Martinshörnern. Der Aufenthalt im Hospital ist die Fortsetzung des Zusammenstoßes mit anderen Mitteln. Mit schmerzhaften Neckereien - so schüttelt Karl dem Franta ganz herzlich den gebrochenen Arm - , Slapstick, komischen Verrenkungen und hemmungslosen Gemeinheiten verkürzen sich die beiden die Zeit ihrer Rekonvaleszenz.
Zunächst bewegungsunfähig und wehrlos wie auf dem Rücken liegende Käfer, sind Karl und Franta im Krankenhaus einer strengen Krankenschwester unterworfen. Die ist zwar nie im Bild zu sehen, doch genügt es, daß sich ihre schweren Schritte ab und zu bedrohlich nähern. Sie verabreicht gelegentlich die lustigen Spritzen, die die beiden Patienten in eine rot- leuchtende Traumwelt versetzen, durch die sie schwerelos gleiten und in der sie ihre Blessuren und Schmerzen ganz und gar vergessen. Schließlich werden die beiden sogar gesund, und wozu? Damit sie wieder mit aller Kraft aufeinander eindreschen können.
Horacek und Klepac sind Mitglieder des pantomimischen Theaters CVOCI. CVOCI, die Gesellschaft der verrückten Mimen oder in saftigerer Übersetzung: Die Trottel- GmbH, gründete sich 1977 in Prag. Crash, ein Stück, dessen böser, schwarzer Humor am Mittwoch im St.Pauli-Theater das Publikum zu Lachsalven hinriß, haben die beiden schon einige hundert Male in ganz Europa aufgeführt. Als Botschafter
der in der CSFR besonders gepflegten wortlosen Kunst - geredet wird in Crash nur in einer stückeligen Kunstsprache, die Emotionen wiedergibt, aber keinen Wortsinn hat - transportieren sie einen brachialen, aber menschlich unbestechlichen Witz, den man für typisch tschechisch, böhmisch oder mittelosteuropäisch halten mag, und der an Literaten wie Jaroslav Hasek, Franz Kafka oder Bohumil Hrabal erinnert.
Trotz der Dada-Sprache ist das Treiben der beiden bandagierten
Clowns leicht verständlich - auf verschiedenen Ebenen: Für Freunde brachialen Slapsticks ebenso wie für bewußte Melancholiker oder gar Fans des alten Brecht, der im Badener Lehrstück mit einer leicht grausamen Clownsnummer über die Hilfsbereitschaft in der Welt aufklärte. CVOCI mußten sich am Mittwoch abend mindestens zwei Dutzend mal verbeugen, bevor das Publikum einigermaßen geheilt das Theater verlassen konnte. Eine Wiederholung der Maßnahme empfiehlt sich. Julia Kossmann
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