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Graphomanin aus Grammatopolis

Ginka Steinwachs' neuer Roman „G-L-Ü-C-K“  ■ Von Andrea Krauß

Die LeserInnen auf Sinnsuche treffen in den Texten Ginka Steinwachs' auf den nackten Buchstaben und vollmundige Laute, auf den (Sprach) (T)raum, wo „die sinnanziehung der worte aufgehoben und die klanganziehung angehoben“ ist. Klang und (Schrift-)Bild, als Materielles der Sprache in Szene gesetzt, erzeugen einen Steinwachsschen Originalton, der sich offenbar nicht bruchlos dem literarischen Markt fügt. Dort nämlich fristen die Texte der in Hamburg lebenden Autorin ein marginalisiertes Dasein, in „eingeweihten“ Kreisen als literarische Avantgarde gehandelt, ansonsten — von einigen Auszeichnungen wie vor kurzem beim Ingeborg- Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt abgesehen — eher ignoriert. Die Passion der Autorin für sperrige Phänomene dokumentiert bereits das 1971 erschienene Buch „Mythologie des Surrealismus“ — eine strukturale Analyse von André Bretons „Nadja“ —, mit dem Ginka Steinwachs promovierte. Mit und seit dem Erscheinen ihres ersten Romans „marylinparis“ (1978) betreibt sie immer wieder neu in Prosa und Dramatik die archäologische Erforschung des linguistisch Machbaren. Für ihre Stücke erfand sich die Autorin als Performance-Künstlerin: Seit 1982 schreibt, inszeniert und spielt Ginka Steinwachs in Personalunion — agiert im transportablen Welttheater wider Theaterkonvention und Wahrnehmungsroutine. Ihr neuestes Stück Literatur ufert bereits im Titel aus: „Ginka Steinwachs. G-L-Ü-C-K. rosa prosa. originalfälschung“ ist (k)ein Roman und (k)ein Theaterstück. Die musikalische Komposition einer „graphomanin aus grammatopolis“ offeriert ihr „loving theatre“ als immergleiches „Szenario der LiebLiebe wie von Anbeginn der Welt an“. Dabei beginnt alles mit Goethe und dessen Flaschenpost an anna lyse. Dichtung-Liebe-Libido wäre in Kürze das, was Hochwürden G. als dichtender Gewährsmann ausrichten läßt und ihn samt seiner Rede vom Glück zum begehrten objet trouvé Steinwachsscher Verschlingungsgelüste macht. Den Mund erst einmal voll genommen setzt sich die Dichtungsmaschine in Bewegung, „das zu brei kauen der worte ist gewissermaßen ein erster waschgang“, dem die Reinigung unter Speichelfluß folgt, und heraus kommt seltsam verwandelt: G-L-Ü-C-K von „johann wolfgang steinwachs. frei nach ginka goethe“.

Weil in DICHTEN (neben ICH) aber auch DICH drinsteckt, heißt dichten: „DICH, den geliebten meiner sieben sinne, sprechen“. Das Drama im „verhältnis der beiNÄHE“ des Glücks entfaltet ein sechsteiliges (Vor)Lustspiel, starring: anna lyse und prinz gi — SIE: alphaBETTlerin am buchstab, ER: omEGOist von gnaden; SIE: sprechender Mund, ER: Ohr der wörtlichen Stille — die Brücke zwischen beiden wäre alsdann der Weg des (Liebes-)Glücks. Das ist die Geschichte von M-phase und X-tase, wie sie sich ereignet von Anbeginn der Welt an, gewissermaßen „nichts neues unter der sonne“, und so nimmt die Wiederschrift der Niederschrift ihren Lauf. Der aber geht so: „...einander begegnen. glück eins: zufällig. glück zwei: fühlt man. glück drei: verflochten. glück vier: entzückt. (un)glück fünf: angefochten. glück sechs: den ro=MANN“. Gefühl und Herz, Unglück und Schmerz — die wahrhaftigen Essenzen von Liebe und Dichtung — in rosa prosa umgeschrieben und gänzlich vertuscht, denn „jetzt kommt's, jetzt trägt die autorin, bis dahin so zurückhaltend mit der retusche, mit der retourkutsche, dick auf. sie verteilt hieb und stich und sagt frei: ja, ich habe gemordet.“ Wen? Das Bild der für das Liebesdrama so unerläßlichen Anfechtung: das Bild der Rivalin dame lachtigall, die der papiersiegerin und queen of table writers anna lyse alias ginka steinwachs alias prinz gi(nka) alias... in die Quere kam. Dem Glück steht sodann nichts mehr im Wege: „endlich sind 2 (zwei) 2 personen ein (1) text. und jetzt das happy-ENDE“.

Ein wucherndes Anagramm auf den Namen ginka.stein.wachs produziert den literarischen fake: Dichtung im Mythos genuinen Schöpfertums gibt es nicht, das Finden der Kultur in zitierbaren Stücken ist schon die Erfindung. Darüber hinaus lebt die horizontale Vermehrung der Sprache. Dem Vorbild der „jacobine und wilhelmine grimm-sisters“ folgend, trägt „G-L-Ü-C-K“ ein „AaBeCeDarium und lexikographisches festmahl“ auf und enststellt den Sprachkörper (t)raumhaft sicher zur lustvollen Körpersprache. Ihrer begrenzenden Hüllen entkleidet, eröffnet sich die voyeuristische Aussicht auf die Wahrheit des (grammatisch, lexikalisch...) Unmöglichen, d.i. eine „f.liegende wahrheit, dem gesetz der sinnanziehung der worte enthoben, also gewissermaßen gravitationsfrei“. Oder: „samtdeutsch: wenn Du das innere der deutschen progressiven universalsprache nach außen kehrst, dann wirst Du den stein der weisen finden. (...) damit liegt der manifeste sinn des steins zu tage. aber sein latenter sinn stellt ganz andere anforderungen an den dichter, an den leser.“ Jene verborgene Wahrheit nämlich bleibt unverfügbar, ist nicht recht dingfest zu machen — aufgelöst in überdeterminierte Ver-Dichtungen, mithin eine flüchtige Angelegenheit.

Die Neuverteilung der Sprache im „ABC vom steinwachs der weisen“ geschieht nicht ohne Brüche, von denen offensichtlich die Lust der Lektüre kommt. Keine Lektüre, die freudiges Wiedererkennen gestattete, aber vielleicht etwas anderes, von dem ein anderer (Roland Barthes) spricht: „die andere Seite, das ist das andre Glück: mehr, mehr, noch mehr! noch ein andres Wort, noch ein andres Fest. Die Sprache rekonstruiert sich woanders durch die drängende Flut aller Lüste der Sprache. Wo denn? Im Paradies der Wörter. Das ist wirklich einmal ein paradiesischer Text, ein utopischer Text (ohne Ort), eine Heterologie der Fülle: alle Signifikanten sind da, und jeder trifft ins Schwarze; der Autor (der Leser) scheint ihnen zu sagen: ich liebe euch alle.“

Ein Wort ist ein Wort ist ein Wort ist die autopoietische Dichtungsmaschine. So what? „je inkommensurabler ein kunstwerk, desto.“

Ginka Steinwachs: „G-L-Ü-C-K. rosa prosa. originalfälschung“. Suhrkamp 1992, 142Seiten, 14DM.

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