: Cobi, Obi und Dopi in Barcelona
Bald läuft nur noch Sport: Anmerkungen zum Olympiaprogramm von ARD und ZDF ■ Von Manfred Riepe
Seit 1972 sind die Spiele in Barcelona die ersten Olympiawettbewerbe, die ohne Zeitverzögerung im Fernsehen übertragen werden können. Diese Feststellung war der Hit auf der gemeinsamen ARD- und ZDF-Pressekonferenz auf dem Mainzer Lerchenberg anläßlich der unvermeidbaren Ausstrahlung der olympischen Sommerspiele im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Bevor wir zu den Sachfragen kommen, muß ich vorwegschicken, daß sich bei diesen Zusammenkünften über die Jahre hinweg eine gewisse rituelle Vertrautheit einstellt. Als ich den Konferenzraum K3 betrat, hatte ZDF-Intendant Stolte schon zu lesen begonnen. Nachdem er damit fertig war, wartete er wie immer ein Weilchen, erhob sich dann, um sich eine Tasse Kaffee einzuschenken und, zu seinem Platz zurückgekehrt, sein obligatorisches Stück Kuchen zu verdrücken. Wobei sein Gesicht einen Ausdruck annahm, der dem eines Schlafenden nicht unähnlich war.
Ich will nicht verheimlichen, daß auch ich zwischendurch kurz eingenickt bin und einen Traum hatte: Auf einer antiken 3-D-Briefmarke sah ich das Motiv der Athener Akropolis, vor der ein entblößter Diskuswerfer posierte. Als er mich sah, winkte er mir, trat heran und entnahm meinem Portemonnaie jene hundert Schinkenscheiben, mit denen er die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele begleichen wollte. Was mich verwirrte, war die Tatsache, daß er Gartenhandschuhe mit der Aufschrift „Obi“ trug.
Noch halb in Trance registrierte ich, daß ich wieder aufgewacht war und der Diskussion über Olympia- Sponsoring beiwohnte. Neben der Telekom und dem Autohersteller Seat ist tatsächlich der Heimwerkermarkt Obi einer der Sponsoren. Maximal 5 Millionen jener bei ARD und ZDF anfallenden Gesamtkosten von 41 Millionen Mark würden damit jedoch nur abgedeckt. Also etwa 10%, die obendrein wahrscheinlich noch zu 60% versteuert werden müssen. Eine Diskussion über Sponsoring erübrigt sich also.
Hinsichtlich sportlicher Großereignisse bietet die europäische Union der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten (EBU) die einzige Möglichkeit, gegenüber den Privaten konkurrenzfähig zu bleiben. Zwar hat sich Sat.1 (ohne „lästigen“ Kulturballast finanziell sehr liquide) die Fußball-Bundesliga unter den Nagel gerissen. Die Fußballweltmeisterschaft 1994 in den USA, die olympischen Sommerspiele 1996 in Atlanta, die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1995 in Göteborg und die Fußball-EM 1996 in England bleiben jedoch via EBU- Option in der „ersten Reihe“.
Die Rechteinhaber — im Fall der olympischen Spiele der IOC — lassen sich das Ganze immer teurer bezahlen. 75 Millionen Dollar mußte die EBU für die Übertragungsrechte diesmal hinlegen. Der Preis wird anteilig auf die einzelnen europäischen Sendeanstalten umgelegt. Für ARD und ZDF kostete das begehrte „Dabeisein“ noch nicht alles — aber immerhin schon 12,7 Millionen Dollar. Die Spiele in Seoul 1988 waren dagegen noch für müde 4 Millionen zu haben, Los Angeles gar für lumpige 2. Dumpingpreise, die sich dadurch erklären, daß wegen der Zeitverschiebung damals eh keiner Lust hatte, mitten in der Nacht aufzustehen, um Leuten zuzuschauen, die in eine Sandkiste hüpfen.
Zum Abendbrot die Henkel-Schenkel
Diesmal ist das anders. Die attraktivsten olympischen Wettbewerbe (100 Meter der Herren, 1.8., 20.00 Uhr; Hochsprung der Damen, 8.8., 18.30 Uhr) werden zur besten Sendezeit durchgeführt, beim Abendbrot. Wenn Daddy in die Schnitte beißt, kann er die Schenkel von Heike Henkel begaffen. Es wird gesendet bis die Röhre schmilzt. Hinter dem olympischen Overkill verbirgt sich simple Logik: „Wer so viel für die Rechte hinlegt, muß so tun, als ob es nichts anderes gibt“, so Dietrich Schwarze, ARD-Teamchef und stellvertretender Intendant des Süddeutschen Rundfunks. Vor zwanzig Jahren in München standen 98 Kameras und 5 Zeitlupen zur Verfügung. Jetzt sind es 512 Kameras und 160 Zeitlupen. Jede Schweißperle findet so ihren Weg auf die heimischen Bildschirme.
Sendetechnisch sieht es so aus, daß ARD und ZDF abwechselnd einen ganzen Tag lang (insgesamt 15 Stunden) olympisch durchgeschaltet sind. Die Kulturkanäle 1Plus und 3Sat werden kurzerhand zu „Tenniskanälen“ degradiert (Topspiele zusätzlich in den dritten Programmen). Vom Frühstück ab 6.00 Uhr in der früh bis nach Mitternacht geht es olympisch zu. Alle zwei Stunden, also um 11.00, um 13.00, 14.00 und um 16.00 Uhr gibt es eine Zusammenfassung. Die dazwischengeschaltete „Tagesschau“ unterbricht den Sport nicht wirklich, da man darin jeweils einen fünfminütigen Sportblock integriert hat. Von 20.15 bis 22.30 Uhr senden die ARD „Olympia Live“. Nachdem wir uns dann durch 30 Minuten „Tagesthemen“ durchgequält haben, folgt von 23.00 bis 0.30 Uhr „Olympia Extra“. Im ZDF ist es nicht wesentlich anders.
Gravierendster Programmeingriff ist der veränderte Sendeplatz der „Tagesschau“, der in den Programmen jeweils nur mit „ca.“ angegeben wird. „Olympia“, so ein Vertreter der ARD, „ist das einzige Ereignis, das in der Lage ist, die „,Tagesschau‘ zu dislozieren“. Eine glatte Häresie. Schließlich wurde Galileo Galilei schon 1633 von der Inquisition gezwungen, seine Theorie zu widerlegen, nach welcher die „Tagesschau“ sich bewegt (Und sie bewegt sich doch).
Das gesamte Programm wird in Barcelona produziert. Es gibt keine Heimatredaktion mehr. Die beiden Fernsehsysteme sind mit jeweils 141 Mitarbeitern vor Ort, um von den 33 Wettkampfstätten elektronische Bilder zu schießen. Diese wandern dann in den Orbit zum extra gecharterten Satelliten Intelsat6. Wir erinnern uns: Am 6. Mai diesen Jahres haben die drei Astronauten Pierre Thuot, Richard Hieb und Thomas Akers die im Abtrudeln begriffene Blechbüchse per Augenmaß wieder auf Kurs gebracht. Ihnen verdanken wir es also, daß wir vom 26. Juli bis zum 9. August insgesamt 350 Stunden Olympia auf der Mattscheibe haben. Und wem das immer noch nicht reicht, der kann in die Funkhäuser gehen und sich das Ganze in HDTV hochaufgelöst anschauen. Möglicherweise werden bei den nächsten Olympischen Spielen noch die Zuschauer mitgesendet.
Plötzlich, mitten hinein in das Gebrabbel über Reporter, Sportblöcke und Live-Schaltungen, warf jemand neben mir eine verbale Stinkbombe: Wieso ARD und ZDF sich so mächtig mit der Übertragung ins Zeug legten, wo doch der Sport angesichts der wachsenden Anzahl der Dopingskandale immer fragwürdiger würde? Schweigen. Die Hoffnung, daß genügend Augen hinschauen, wenn die chemisch getunten, hormonverlesenen Athleten gegen Digitaluhren anrennen, jene Maschinenkampfrichter, die die Entscheidung über Sieg oder Niederlage — gemäß den Gesetzen der Infinitesimalrechnung — immer tiefer in die Abstraktion der Stellen hinter dem Komma verbannen, ist in der Tat die Achillesferse des ganzen Unternehmens. Aber den meisten Sportbegeisterten dürfte es sowieso nur um den Medaillenspiegel gehen, dem inoffiziellen Grund für die deutsche Wiedervereinigung.
Entsprechend verdutzt schaute Herr Stolte über den Rand seiner Kaffeetasse und sagte: „Sie werden mich etwas verdutzt dreinschauen sehen.“ Das sei zugegebenermaßen ein reizvolles Thema für ein zeitkritisches Magazin. Aber „der Zuschauer“ erfreue sich doch an den „interessanten sportlichen Wettkämpfen“. Falls es „dem Zuschauer“ doch zu langweilig wird, kann er sogar bei einem Quiz mitmachen, bei dem es Reisen zu historischen Olympiastätten nebst Autos zu gewinnen gibt. Und für die Reality- TV-Fans lauert die baskische Terrorvereinigung (ETA) auf ihre Chance. Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob ich mittendrin oder erst am Ende der Pressekonferenz aufgewacht bin.
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