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Was ist schon »independent«?

■ Straßenfest, Konzert und Drehort in einem — die Independent-Filmnight heute in Prenzlauer Berg

Bei manchen Begriffen, weiß zwar (fast) jeder sofort, was gemeint ist, aber niemand kann eine schlüssige Erklärung abliefern. »Independent« ist solch ein Begriff, und auch der Krefelder Filmemacher Stephan Lemhoefer kann das Wort nicht erklären, das er da so oft und gerne benutzt. Sein Film hat einen langen Titel, »Beam Me Up Scotty! There is no intelligent life on earth — Geschichten einer Independentband in Deutschland«, und dieser benutzt ebenso dieses »independent«, das für ein »Lebensgefühl« stehen soll, das der Film anhand vieler Kamerafahrten durchs nächtlich- leere Krefeld und einer dortselbst beheimateten Kellerkombo beschreiben will.

Seit nun dreieinhalb Jahren ist Lemhoefer mit dem Projekt beschäftigt, hat bei Hinz und Kunz Gelder beantragt, um schließlich bei den Filmförderungen Hamburg und Berlin, dem Filminstitut Nordrhein- Westfalen und dem Kulturamt Krefeld fündig zu werden. Eine Million würde die Geschichte der Band »Beam Me Up Scotty!« bei reellen Bedingungen kosten, schätzt Lemhoefer, tatsächlich werden wohl weniger als ein Drittel am Ende ausgegeben sein. Und wenn der Film dann endlich fertig ist, wollen Lemhoefer und die Band mit den Filmrollen im Gepäck auf Tour gehen und Happenings veranstalten. Zusätzlich entsteht ein Buch zum Film, das aber weiter geht und eine Geschichte der Indie-Musik schreiben will.

Eine der letzten Sequenzen für den Film soll nun in Berlin gedreht werden. In den Hinterhöfen der Dunckerstr.14 im Prenzlauer Berg hat das Team eine »bunte Lebenswelt, die zu schnell mit dem Schlagwort alternativ belegt wird«, gefunden, die zum aparten Hintergrund für einen Auftritt von Beam Me Up Scotty! werden soll. Für den semidokumentarischen Streifen hat Lemhoefer ein Straßenfest organisiert. An der Ecke Lettestraße wird eine Leinwand errichtet, auf der per Video-Beamer die »Independent-Filmnight« laufen soll. Es ist ein siebzig Minuten langer Zusammenschnitt aus Videos der Sex Pistols, Bad Religion, Hüsker Dü, Jingo de Lunch, Victims Family, Clash, Lemonheads und vielen anderen, der die Geschichte der Independent-Musik, was immer das auch sein mag, vom Punk bis heute illustrieren soll. Direkt anschließend an diese Videoprojektion werden Beam Me Up Scotty! im Hinterhof der Duncker 14 auftreten. Das Konzert wird von drei Kameras nach außen auf die Leinwand übertragen, gleichzeitig halten drei weitere Kameras das gesamte Ereignis für den Film fest. Danach möchte dann bitte geselliges Zusammensein stattfinden. Potentielle Störenfriede werden schon vorher aus dem Verkehr gezogen: Auf Kosten der Produktion werden 60 anwohnende Rentner mit dem Bus zur Komödie am Kurfürstendamm transportiert und dürfen sich dort beim Boulevard-Theater vergnügen.

Regisseur Lemhoefer sieht Beam Me Up Scotty! als »authentische Band«, worunter er Musikhandarbeit versteht, das Ablehnen von Sampling und die Absicht, das Leben als Musiker zu leben. Für Lemhoefer ist das Projekt schon deshalb wichtig, weil es »in der BRD keine Musikfilm-Tradition gibt«. Deshalb waren eine »gewisse Penetranz« und persönliche Opfer des ganzen Stabes vonnöten, es durchzusetzen. Kameramann Werner Kubny glaubt, in den Drehorten Krefeld, Hamburg, München und Berlin »völlig neue Bilder« für den Film zu finden. Er sieht das Projekt als »inszenierte Dokumentation«. Zu klassischen Dokumentaraufnahmen gesellt sich erzählender Off-Ton der Bandmitglieder, Interviews, aber auch nachgestellte Szenen, um erlebte Geschichten der Protagonisten zu visualisieren. Nur die Eingangs- und Schlußsequenzen von »Beam Me Up...« werden in den Genuß farbiger Bilder kommen, der Rest des Films wird in Schwarzweiß gedreht und nachträglich monochrom eingefärbt, um die Stimmungen zu verstärken.

Lemhoefer will aber nicht nur diese eine Band dokumentieren. Vielmehr glaubt er, daß Beam Me Up Scotty! exemplarisch stehen für Tausende von anderen Bands in der BRD. Womit er ohne Zweifel recht haben mag, aber was verbindet diese Bands, was bedeutet »independent«? Die Gretchenfrage vom Anfang.

Irgendwann im Gespräch scheint es erwähnenswert, daß die Musikanten nie vor drei Uhr nachmittags aufstehen, daß sie völlige Nachtmenschen seien, daß auch deshalb der Film in Schwarzweiß gehalten sei. Niemand weiß das Lebensgefühl so recht zu beschreiben, geschweige denn zu erklären. Einfangen jedenfalls wird es Lemhoefer und weiter mit diesem Begriff belegen, von dem er selbst zugibt, daß er »schwammig« ist. Man kann nur hoffen, daß ihn die Klischees von den coolen, abgeranzten Typen in ihren bunt gestalteten Hinterhöfen nicht völlig übermannen.

Was natürlich niemanden davon abhalten sollte, den Film Film sein zu lassen und auf der Party eine gute Zeit zu verbringen. Auch wenn niemand sagen kann, was Independent- Musik ist, wissen doch manche, ob sie ihnen gefällt oder nicht, und darauf kommt es schließlich an. Thomas Winkler

Am 25.7. ab 21 Uhr die Videos auf der Leinwand, ab ca. 22.30 Uhr Live-Konzert von »Beam Me Up Scotty!«. Alles in und vor der Dunckerstraße 14, Prenzlauer Berg.

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