DEBATTE: Intervention als Chance
■ Die positiven Folgen einer internationalen Militäraktion gegen die serbische Aggression in Bosnien-Herzegowina überwiegen deren Risiken
Die unerträgliche Situation von Millionen Einwohnern des ehemaligen Jugoslawien gebietet die internationale Intervention. Eine Intervention ist im übrigen schon seit einem Jahr im Gang: die jugo-serbische Aggression gegen Kroatien und dann gegen Bosnien- Herzegowina. Gegen diese Intervention ist jetzt also eine Gegenintervention erforderlich. Kroatien ist es nur teilweise gelungen, sich gegen die Aggression wirksam zu verteidigen. Die ersten wirklichen Erfolge stellten sich erst nach monatelangem Kampf (und Tausenden von Opfern) ein, und noch immer sind mehr als ein Viertel des kroatischen Territoriums von 1990 außerhalb der Kontrolle der kroatischen Regierung.
Eine Intervention aus dem Ausland ist, fast selbstverständlich, immer eine heikle Angelegenheit. Den Ausländern stellen sich prinzipielle, aber auch ganz pragmatische Fragen. Warum sollen „unsere“ Soldaten „dort“ kämpfen (und eventuell auch sterben), fragt sich jeder Staatsbürger und, natürlich, jede Regierung. Und wenn eine solche Intervention gelingt (und bis jetzt war das praktisch nie der Fall!) wird so was nicht allzu leicht zur politischen Routine der mächtigen Staaten (die ihre Eigeninteressen sicher an erster Stelle berücksichtigen)? Aber auch für den „Inländer“ ist es riskant, eine Intervention „von außen“ zu befürworten. Plädiert er doch — und das in einer angespannten Lage — für die Verletzung der nationalen Souveränität „seines“ Vaterlandes.
Die Gewalt ist „von innen“ nicht beendbar
Die Spirale der Gewalt, der Gemetzel, der Rache kann nicht von innen aufgebrochen werden. Praktisch alle, nicht nur unmittelbare Opfer und Soldaten, sondern auch die Politiker, Dichter, Philosophen und Techniker sind in dieser Spirale existentiell verwickelt. Gewiß ist das für die Staatsbürger Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas auf Anhieb verständlich, denn sie sind Mitglieder der angegriffenen Gemeinschaften. Aber im massenpsychologischen Sinn werden auch die Angreifer zu Opfern der Aggression gemacht. Sie werden manipuliert, indem die aktuellen Ereignisse historisiert, d.h. als Element einer kollektiven Leidensgeschichte hingestellt werden. Das Gefühl, von der Geschichte ein Martyrium auferlegt bekommen zu haben, wird noch durch die realen Opfer in der Gegenwart verstärkt, die auch unter der serbisch-jugoslawischen Bevölkerung groß sind. So wird die eigene Aggression „kompensiert“.
Parallele psychologische Einstellungen haben leider auch zu parallelen Grausamkeiten geführt. In Bosnien-Herzegowina hat sich das besonders klar gezeigt. Die eingekesselten Zivilisten von Sarajevo sind „nur“ die am besten bekannten Opfer; man muß Tausende getöteter (und massakrierter) Menschen in kleinen Ortschaften und Dörfern des nordöstlichen Bosnien oder der Herzegowina hinzufügen. Die anderen, die nicht an Gefechten teilnehmen, „leben“ wochen- und monatelang im Keller und warten. (Oder, wie man in einem der jüngsten Beweise des lokalen Galgenhumors spottet: sie schaufeln unermüdlich, um Erdöl zu finden. Dies in der Hoffnung, daß dann die Amerikaner doch kommen und helfen.)
Der Krieg muß nicht erst kommen
Und das ist in Wirklichkeit der springende Punkt, der wesentliche Unterschied zur irakischen Situation vor dem Golfkriege. Der Krieg ist ununterbrochen im Gange, er wird folglich nicht aufs neue mit der eventuellen Intervention von außen entflammt. Zivilisten müssen schon seit langem sehr vorsichtig leben, so daß der Zahl der Opfer unter ihnen — wenn eine solche Intervention gut vorbereitet ist — nur kleiner sein kann als die tägliche „Quote“ als Konsequenz des „lokalen“ Krieges. So eine Intervention — die mit der Luftbrücke nach Mitterrands Besuch in Sarajevo faktisch begonnen hat — muß der jugo-serbischen Seite ganz klar zeigen, daß ständige Bombardierungen von Sarajevo (und anderen Städten) auch für sie gefährlich werden können. Das könnte zur Stillegung der Kämpfe führen, zum Waffenstillstand. Diese Intervention sollte eine Operation der Luftwaffe sein. Jedes andere Vorgehen würde zu viele Opfer verlangen.
Am wichtigsten ist sowieso der symbolische Effekt. Seine Folgen würden höchst wahrscheinlich bald nicht nur auf der serbischen Seite spürbar. Denn auch die kroatische in Selbstverteidigung unternommene Gegenintervention hat in Bosnien- Herzegowina Züge einer Intervention von außen in der neuen, als unabhängig anerkannten Republik angenommen. Nach dieser Intervention wird aber auch eine zivile Intervention der internationalen Gemeinschaft notwendig sein, da die Mitglieder der drei bosnisch-herzegowinisch ethnischen Gruppen ganz und gar unfähig sind — nach allem was geschehen ist — Mitgliedern der anderen Gruppen Glauben zu schenken. (Das gilt — obwohl in geringerem Ausmaß — auch für die Verhältnisse zwischen den Moslems und Kroaten, die zur Zeit Verbündete im Krieg gegen die Serben sind, die aber früher politische Rivalen waren und auch jetzt lokale Auseinandersetzungen mit Waffengewalt zu lösen pflegen.) Gerade deswegen ist eine politische Entscheidung, mit der Intervention zu beginnen, so schwerwiegend, aber deswegen ist sie auch so außerordentlich wichtig für die Perspektive.
Eine moralische Abwägung
Moralisch ist es in vielen Aspekten leichter, so eine Intervention — die tatsächlich ein Eingriff in die monatelangen Gefechte ist — zu rechtfertigen, als sonstige zur Verfügung stehenden Maßnahmen. Das gilt besonders für die ökonomischen Sanktionen, von denen, wie schon früher im Irak, besonders die ärmsten Bevölkerungsgruppen betroffen werden (dort die Kurden, jetzt die Albaner in Serbien), im Grunde sind es doch kollektive Vergeltungsmaßnahmen, die viele völlig Unschuldige treffen. Im Gegensatz dazu kann eine militärische Aktion, die begrenzt und gut vorbereitet ist (dazu gibt es viele Möglichkeiten), gerade jenen schaden, die wirklich die Kämpfe begonnen und sie zum jetzigen Stand gebracht haben.
Da es wenigstens zwei Seiten im Krieg gibt, muß man auch fragen, welche direkten Konsequenzen man von der Intervention erwarten kann. Einerseits besagt schon die Tatsache, daß man die Intervention fast offen vorbereitet, daß die jugo-serbische Seite den Krieg schon verloren hat. Aus kroatischer Sicher droht aber aus diesem Tatbestand auch eine Gefahr. Denn die internationale Staatengemeinschaft könnte nach dem Ende des Krieges versuchen, die Konsequenzen für die besiegte Seite zu mildern (die Erfahrung mit Deutschland 1918 wird man nicht so schnell vergessen). Dann könnte die jugo-serbische Niederlage Anlaß für die internationale Unterstützung der Interessen dieser Seite bedeuten, auch für (gewiß begrenzte) territoriale Interessen im Konflikt mit Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Andererseits ist möglich, daß der UNO- Sicherheitsrat die militärische Aktion gegen die jugo-serbische Seite mit einem Embargo gegen die kroatische verbindet. Den Anlaß dafür kann die jüngste kroatische Offensive in der Nähe von Drniš geben. Es geht hierbei zweifellos um kroatische Territorien, aber die kroatische Regierung hat schließlich das Abkommen unterzeichnet, das solche Militäraktionen verbietet.
Mit der Intervention kann man sicherlich die aktuellen Probleme nicht automatisch lösen, aber ohne sie haben die Einwohner des größten Teils des ehemaligen Jugoslawiens keine Chance. Wenn diese Chance dank internationaler Hilfe ergriffen wird, sind damit Risiken verbunden. Für die Verdammten dieser Gebiete liegt darin heute nichts Furchterregendes mehr. Die Frage ist nach wie vor, was diese Risiken für die maßgebenden Politiker der Welt bedeutetn. Zarko Puhovski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen