: Rote Arbeit
Der Jäger, das Messer, der Dackel ■ Von Gabriele Goettle
Ich sage Ihnen, wie es ist. Es gibt solche und solche. Die einen tragen den Erlegerbruch links am Hut statt rechts, was ja ein vollkommener Quatsch ist, außerhalb einer Trauergesellschaft, und wieder andere haben auch keine Ahnung von jagdlichem Brauchtum, die schlagen ihr Wild aus Decke ohne Sinn und Verstand, ohne dabei an die Trophäe zu denken und den Präparator.
Sehnse mal, es ist so, nach dem Schuß, sagt man, gedenken wir der Kreatur, kleine Zigarettenpause, Sie verstehn, aber dann muß das Wild sofort aufgebrochen werden, denn es hitzt innen drin, wie wir sagen. Das ist Jägerlatein. Sehnse mal, die Juden, also was das betrifft... sie essens nur koscher, das Fleisch, darum schächten sie, weil dabei alles abfließt an Blut. Beim Schuß ist es ja so, nehmen Sie mal an, das Stück steht breit, mit dem Wurf nach rechts, Sie lassen fliegen, das Stück bricht zusammen. Im Grunde aber haben Sie's gar nicht totgeschossen, nicht die Verletzung, die Sie ihm zugefügt haben, führt zum Verenden, sondern der Schock, das Stück verendet also am Schock, ja, und nicht an der Kugel. Und nun kommt die Hauptsache, wir nennen das die Rote Arbeit, wenn man das Wild aufbricht, hier, sehnse dieses Messer? (Er fächert ein Jagdmesser auf und fuchtelt mit einer der Klingen.) So, da geht man mit der Spitze rein, und diese hier ist vorne stumpf, damit man nicht in die Eingeweide reingerät damit. Also wir Jäger sind nicht pervers oder sowas, wir lieben an sich jeden Bock, jede Ricke, alle, aber es muß nun mal sein, mit dem Trieb hat das wenig zu tun, und Sie müssen auch bedenken, zum Jagdrecht gehört die Hegepflicht. Jedenfalls, diese Klinge hier ist richtig, mit der können Sie innen richtiggehend hochfahren an der Decke. Der ganze Vorgang heißt bei uns „aus der Decke schlagen“ (er fuchtelt mit dem Messer in einem imaginären Leib herum).
Allein schon beim Schloß müssen Sie ganz genau aufpassen, sonst können Sie Pech haben... also ich will Ihnen das mal so erklären, das Schloß ist der Knochen, wo die beiden Oberschenkel zusammengewachsen sind. Wenn Sie sich das Gerippe mal vorstellen möchten, auch beim Menschen ist es nichts andres, auch da muß man das Schloß öffnen, also Sie können ja gar nicht anders, Sie müssen es immer in der Mitte aufsägen. Dazu wiederum nehmen Sie dieses Messer hier (er streicht mit der Fingerkuppe über die schräg stehenden Sägezähne), und damit sägen Sies auf, sowas fühlt man genau, das dauert nicht lange, und dann bricht es auf. Das alles mache ich wie gesagt deshalb, damit mir das Sück nicht verhitzt, denn es muß Luft an das Stück, es braucht Kühlung. Das merken Sie direkt, wenn Sie mit der Hand in die Bauchhöhle fahren, diese Hitze, wie Fieber, das kommt vom Schock. Die Eingeweide sind also sehr heiß, und nun, wenn ich das Schloß geöffnet habe, kann ich das Stück auseinanderklappen, dann liegt es offen da, und wer will, kann derweilen (er klappt den Flaschenöffner aus dem Messer) sich auch etwas erfrischen, aber ich sammle ja auch Kopftrophäen, gebe auch welche ab, und bei einem schönen Stück mache ich mir die Mühe immer.
Also hier müssen Sie nun wieder auf ganz andere Dinge achten, denn es ist so: wie das Kopfpräparat, so die Kopftrophäe. Dafür benutze ich dieses Messerchen, neben dem andern, das ich Ihnen vorhin gezeigt habe. Man schneidet von der Rückenseite, von den Schulterblättern bis rauf zu den Lauschern, von da bis zu den Hornansätzen. Natürlich darf ich vorher keinen Kehlschnitt machen, ich habe einen Rundschnitt geführt, um die Brust unter den Vorderläufen durch, das müssen Sie sich vorstellen wie ein Lätzchen in etwa. Jetzt kommt Feinarbeit, die Haut muß abgeschärft werden vom Schädel, das geht ja noch am Geweih, aber bei den Lidern und beim Windfang müssen Sie höllisch aufpassen. Wenn Sie den Äser verschneiden, können Sie den Kopf wegwerfen. Der Präparator sagt immer: „Ich brauche jeden Millimeter Haut und Gewebe, absolut jeden Millimeter.“ Beim Lippenwulst schneiden Sie von innen her und spalten ihn erstmal, dann läßt er sich flachschneiden. Das müssen Sie schon deshalb machen, weil Ihnen sonst die Hälfte verwest. Bei den Lauschern wirds auch schwierig, die zarte Haut muß von der Knorpelplatte abgelöst werden, und dann kann ich jedem einen guten Tip geben, gehn Sie mit einem Plastiklöffel drunter und schieben sie den mit kleinen Schnitten bis zur Lauscherspitze vor. Jetzt ham Sie zwei Tüten, sag ich mal, die füllen Sie sofort mit feinem Salz. Der Knorpel, also die Oberbasis, soll aber an der Decke bleiben, das ist wichtig.
Nun kommen Sie mit Ihrem Salz und tragen zuerst mal auf der Wildbretseite ordentlich auf, das können Sie richtig einmassieren. Sonst haben Sie an warmen tagen, wups, alles voll mit Fliegeneiern, und die Biester überstehen ja manchmal den Gefrierschrank. Also Sie nehmen reichlich Salz, keine Angst, und dann auf die Lauscher den Äser gut bedienen, besonders die Röllchen am Rand, den Brustteil und alles. Dann legen Sie die Kopfdecke Wildbretseite auf Wildbretseite und rollen sie fest zusammen. Wenn dann in der nächsten Zeit noch rötliche Flüssigkeit austreten sollte, dann lassen Sie die einfach abfließen. Gut ist, wenn man einen luftdurchlässigen Beutel hat, es dürfen aber keine Fliegen eindringen können.
Nun haben Sie ja noch den Schädel vor sich. Da nehme ich immer einen alten Topf, so hoch ist der ungefähr, Salzwasser rein, und wenns kocht, geben Sie den Schädel rein, und die Stangen müssen Sie, je nach Größe, oben an den Griffen festbinden, damit es nicht kippt. Ich lasse das Ganze immer so ein, zwei Stunden vor sich hin kochen, dann können Sie quasi das meiste Fleisch schon mit einem scharfen Wasserstrahl runterspülen. Manche Zähne lassen sich lösen, auch da können die Gewebereste entfernt werden, danach müssen Sie die aber gleich wieder in die Zahnfächer geben, weil der Kiefer beim Trocknen ja schrumpft und da passen sie dann später nicht mehr. Das Hirn holen Sie mit einem krummen Draht von unten durch die Basisöffnung heraus, es ist etwas mühsam, ja, aber soviel ists ja auch wieder nicht (lacht augenzwinkernd), ich gebs immer sofort meinem Dackel, der steht schon die ganze Zeit da und wartet, gern hat er auch die Augen, aber sonst ist er eher schwierig, was das Fressi angeht, genau wie das Herrchen. Dieser Hund, ich sags Ihnen ehrlich, das ist mein Ein und Alles. Der ist jetzt anderthalb Jahre alt und noch in Ausbildung, aber trotzdem ist das ein Tier, das ganz ins Haus hinein gehört. Ich bin an sich schon Tierfreund, aber für diesen Hund würde ich alles tun! Nie im Leben geh ich mit diesem Tier in den Bau, das habe ich mir geschworen. Ich habe schonmal zwei verloren dabei, nee, mit dem Hund nicht (erregt), das können Sie sich vorstellen, ich kann diesen Hund doch nicht da unten reinschicken. Viel zu gefährlich. Sie wissen, was die machen, die Dachse? Das sind Biester, das kann ich Ihnen sagen, sobald da ein Hund angerobbt kommt, schaufeln sie den ein, sie machen den Gang zu und der Hund erstickt, oder sie zerbeißen ihn, alles schon passiert.
Nicht nochmal! Diesen Hund habe ich immer unter Kontrolle, der legt bei mir absoluten Gehorsam an den Tag. Ich bin ja an sich von Hause aus auch Hundeführer. Früher hatte ich mal vierzehn Jahre lang einen Polizeihund geführt, einen Fährten- und Schutzhund. Mit dem war das so, der hat mich nur so von unten angeguckt und schon wußte er, wos langgeht, sowas gibts natürlich nicht nochmal. Aber mein Dackel, der lernt es auch noch. Vor allem muß man ja immer sehen, daß sich das Tier nicht aus dem Einflußbereich seines Herrn entfernt, dann ist es aus, dann brechen die Triebe wieder durch, der Beute- und Meutetrieb oder auch (lacht ein wenig schmutzig) der Fortpflanzungstrieb, der ja an sich was Schönes ist, aber dem muß man absolut vorbeugen, jeder Unbotmäßigkeit. Läßt man einmal sowas durchgehn, dann tanzt Ihnen der Hund auf der Nase rum.
Ja, ja... zufällig haben Sie in mir einen angesprochen, der sich auskennt, mit vielem auskennt. Als Jäger macht mir keiner so leicht was vor. Ich habe viele kommen und gehen sehen, aber den Jungen, denen ist unser deutscher Wald und unser Handwerk und Brauchtum nichts mehr wert. Die fahren nach Neuseeland, Australien, Kanada, um ein Känguruh oder einen Elch zu schießen, in meinem Magazin Wild und Hund ist alles voll: Polen, Weißrußland, Lettland, Sibirien, Ungarn, Rumänien, die ganzen Länder, die mal kommunistisch waren, da können Sie jetzt für einen Appel und 'n Ei alles abschießen. In Polen, das hat mir ein Kamerad erzählt, können Sie für Tausendneunhundert eine Woche ins Revier, Übernachtung und Frühstück mit drin, da haben Sie dann drei Böcke und zwar ohne Trophäenbegrenzung — na, da wird schon ein Krüppelzeug unterwegs sein — für Sauen bis zu einem halben Zentner geben sie 50 Prozent Rabatt. Nee, mit mir nicht!
Unsere schöne deutsche Heimat ist voller Schalenwild, Schwarzwild, alles. Was brauchen wir Känguruhs, frage ich Sie. Wo soll ich mir sowas aufhängen? Nein, wir Jäger haben eine enge Beziehung zu unserem heimischen Wild, wir sehen in ihm wirklich auch noch den Schöpfer, der all diese herrlichen Kreaturen geschaffen hat. Für mich gibt es nichts Schöneres, als wenn ich abends in der Dämmerung draußen sein und Wild beobachten kann. Und glauben Sie mir, wir kennen unser Wild, wir beobachten es, verzeichnen es, wir sind keine Mörder, die sich auf den Anstand setzen und alles abknallen, wie man es drüben gemacht hat in der DDR. Bei uns wird jedes Stück Schalenwild, das erlegt wird, aufgrund eines ganz genauen Abschußplans erlegt. Sagen wir mal, Sie wollen 35 Rehe schießen, dann gibt es eine Klassifikation, die schreibt Ihnen genau vor, in welchen Klassen Sie die schießen können. Beispielsweise die Geltricken, Sie wissen, was das ist? Nein? Also das sind Ricken, die ein Jahr lang nicht gesetzt haben, die schießen wir dann mit ab, weil wir annehmen dürfen, daß die nächstes Jahr wieder nicht absetzen werden. Solche Ricken sind hormongestört, das sind alles abnorme Veranlagungen, die es sofort auszumerzen gilt im Revier, sonst setzt sich sowas fort von Generation zu Generation, verstehen Sie.
Ach, bevor Sie weitergehen, will ich Ihnen noch was zeigen, hier (er greift in die Hosentasche und zieht ein Messer mit Lederscheide hervor), zufällig habe ich es heute mal mitgenommen. Mit Messern kenne ich mich aus seit meiner Polizeizeit, da hat mich damals ein Kamerad drauf gebracht, Messer zu sammeln, aber der hatte mehr Sachen aus der Hitlerzeit, und Stichwaffen, mit denen ein Mensch umgebracht wurde angeblich, aber meine Leidenschaft sind einfach nur schöne Messer. Vor drei Jahren hatte ich eine sehr schwere Operation gehabt und als ich dann aus dem Krankenhaus wieder raus kam, habe ich mir geschworen, jetzt gönnst du dir mal was ganz Besonderes, ein Wunschmesser, ein ganz wertvolles. Hier (er zieht es weihevoll aus der Scheide) die Klinge und der Griff, mehr ist das scheinbar nicht, aber das kostet sein Geld. Es ist auf eine besondere Art geschmiedet, die Klinge wird sehr kompliziert hergestellt, in lauter Schichten, dünnen Lagen aus Stahl. Damit Sie sich eine Vorstellung machen können vom Wert des Messers, normalerweise macht ein Messer mit etwa zwanzig Lays so um die 200 Mark, und dieses Messer hier hat 357 Lagen! Da können Sie sich ausrechnen, was ich mir das habe kosten lassen. An sich ist das ein deutsches Messer, auch wenn es aus der Türkei kommt. Der Türke ist ein großartiger Schmied, müssen Sie wissen, der konnte immer schon gute Stähle machen, die sind ja berühmt, die krummen Türkensäbel. Dort hatte man schon ganz leichte Waffen zu einer Zeit, als wir noch solche Schwerter hatten. An der Klinge hier von meinem Messer jedenfalls, da bin ich sicher, hat einer bestimmt mehrere Tage gearbeitet, so ein Stahl ist das. Man nennt es Damaszener, von Damaskus kommt das. Und sehn Sie mal, nehmen Sies ruhig mal, also wenn Sie da so über die Klinge schauen, sehn Sies? Da sind im Stahl doch so winzige graue Wellenlinien zu sehen... ist das nicht wunderbar?
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