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Per Sonderzug in Sicherheit

■ Sie waren erschöpft und einfach nur froh, dem Krieg entkommen zu sein. Seit gestern sind die ersten 2.600 bosnischen Flüchtlinge, die mit Sonderzügen aus den Lagern in Kroatien abgeholt worden waren, in der...

Per Sonderzug in Sicherheit Sie waren erschöpft und einfach nur froh, dem Krieg entkommen zu sein. Seit gestern sind die ersten 2.600 bosnischen Flüchtlinge, die mit Sonderzügen aus den Lagern in Kroatien abgeholt worden waren, in der Bundesrepublik. Die restlichen 2.500 sollen heute eintreffen. Die Verteilung auf Gastfamilien soll erst Mitte der Woche beginnen.

Der alten Frau laufen die Tränen über die runzeligen Wangen. „Ich danke Deutschland, daß ich hierherkommen durfte.“ Und im ganzen Abteil des dritten Waggons weinen sie mit: die Frauen mit den kleinen Kindern, die alten Männer in den orientalischen Pluderhosen — und auch die jungen Männer aus Bosnien-Herzegowina, die sich aus dem von den Serben eingeschlossenen Tuzla retten konnten.

Selbst hartgesottenen Journalisten kamen die Tränen, als gestern exakt um 12 Uhr der Sonderzug der Bundesbahn mit seinen 16 Waggons auf Gleis 11 des Karlsruher Hauptbahnhofs einlief. Die Menschen hingen in Trauben in den Fenstern — mit Bangen und mit hoffnungsvollen Blicken. Viele winkten den zahlreichen Helfern des DRK und des örtlichen Freundeskreises für Asylbewerber, den BGS- und Bahnpolizeibeamten und den Landespolizisten auf dem Bahnsteig zu. Und fast alle grüßten zurück.

Knapp 16 Stunden hatte die Reise vom kroatischen Karlovac in die Sicherheit gedauert. Und für 610 BosnierInnen war dann die zentrale Sammelstelle für Asylbewerber am Stadtrand der badischen Metropole tatsächlich die Endstation einer oft wochenlangen Flucht aus den umkämpften bosnischen Dörfern. Mehr als 100 Flüchtlinge mußten sich aber noch gedulden. Sie wurden als „rheinland-pfälzisches Kontingent“ über Mannheim weiter nach Kaiserslautern verschickt.

„Das Aussortieren der Menschen wird das größte Problem für uns werden“, hatte vor Ankunft des Sonderzuges Bundesbahn-Koordinator Heiko Hamann auf einer improvisierten Pressekonferenz auf dem Bahnsteig gesagt: „Wer darf in Karlsruhe bleiben, wer muß weiter nach Kaiserslautern fahren.“ Doch dann hatten die den Zug begleitenden DRK-Helfer und BGS-Beamten den Karlsruhern diese Sorge abgenommen. Die Flüchtlinge in den letzten drei Waggons wußten bereits, daß noch knapp zwei Stunden Zugfahrt vor ihnen liegen würden — und sie fügten sich geduldig in ihr Schicksal.

Waggon für Waggon verließen dann die zur Aufnahme in Baden- Württemberg bestimmten Flüchtlinge den Zug. Zuvor hatten die Menschen ihre letzten Habseligkeiten den ehrenamtlichen Helfern durch die Abteilfenster auf den Bahnsteig gereicht. Dort türmte sich notdürftig in Bettücher eingewickelter Hausrat neben zerschlissenen Koffern und Pappkartons.

„Wenn ich nur wüßte, ob er noch lebt...“

Ein alter Mann kann nur die Kleider am Leib retten — und eine Wasserflasche aus gelbem Plastik. Zwei junge Frauen weinen, als sich ihr vom Alter gebeugter Großvater weigert, auch nur noch einen Schritt weiter zu gehen. Der alte Mann kann nicht mehr. DRK-Helfer besorgen einen Rollstuhl. Neben einem anderen Kleiderbündel hat sich eine alte Frau mit schwarzem Kopftuch niedergelassen. Sie war mit dem letzten Flüchtlingstreck aus Tuzla herausgekommen: „Mein Mann ist noch dort. Es gab nichts mehr zu essen. Wenn ich nur wüßte, ob er noch lebt...“

Die Helfer und auch die Polizisten sind um- und nachsichtig. Niemand wird angetrieben oder angeschnauzt — auch wenn es in einigen Abteilen des Zuges chaotisch zugeht. Geduldig warten die Begleiter, bis sich Familienangehörige zusammengefunden haben, denn die Familien sollen auch in den Bussen der Bundeswehr und der Karlsruher Verkehrsbetriebe zusammenbleiben, die vor dem Hauptbahnhof auf die Flüchtlinge warten. Das von vielen Flüchtlingen im Vorfeld der Abreise befürchtete Auseinanderreißen der Familien schon in Karlovac hat nicht stattgefunden. Auch die wehrfähigen jungen Männer aus Bosnien wurden von den kroatischen Milizen nicht daran gehindert, die Sonderzüge zu besteigen. Insgesamt drei Züge mit zusammen 2.600 Flüchtlingen trafen gestern in Nürnberg, Karlsruhe und Unna ein — drei weitere sollen heute folgen.

Maiken Trilling vom Karlsruher Freundschaftskreis für Asylbewerber kritisierte noch auf dem Bahnsteig heftig die Absicht der Behörden, die Flüchtlinge auf Dauer in Sammellagern unterbringen zu wollen. Immerhin, so Trilling, hätten sich auch in Karlsruhe weit über 100 Familien bereiterklärt, Kriegsflüchtlinge aus Bosnien aufzunehmen.

Kritik an Unterbringung in Sammellagern

Trilling: „Es ist nichts dagegen zu sagen, daß die Flüchtlinge zur Datenerfassung und Erstversorgung zunächst für einige Tage in der zentralen Aufnahmestelle untergebracht werden.“ Doch danach müsse es auch möglich sein, die Flüchtlinge individuell zu betreuen — „selbst wenn es unter diesen Flüchtlingen einige schwarze Schafe geben sollte, die dann hier untertauchen“. Bislang, so die Flüchtlingshelferin bitter, hätten doch die Behörden immer geklagt, daß die Sammelunterkünfte überfüllt seien. „Und jetzt können sie plötzlich Hunderte von Kriegsflüchtlingen auf regionale Sammelunterkünfte verteilen.“

Die abgespannten Flüchtlinge beteuern gegenüber Pressevertretern und Betreuern immer wieder, daß sie sofort zurück in die Heimat gehen würden, wenn ihr Leben dort nicht mehr in Gefahr sei. Ein von der bosnischen Territorialverteidigung gegen gefangene Serben ausgetauschter 45jähriger Mann erzählt, daß er in einem serbischen Gefangenenlager beinahe gestorben sei: „Wir bekamen kein Wasser und nichts zu essen.“

Ganze Dorfgemeinschaften berichten, daß sie von serbischen Einheiten gezwungen worden seien, ein Papier zu unterschreiben, daß sie ihre Häuser „freiwillig“ verlassen hätten, weil sie ihr dorf widerrechtlich auf serbischem Gebiet gebaut hätten: „Wir mußten dann alles stehen und liegen lassen und aus unserem Dorf flüchten.“ Einige in Deutschland lebende Bosnier waren „auf Verdacht“ nach Karlsruhe gefahren, in der Hoffnung, auf gerettete Familienangehörige zu treffen. Und tatsächlich lagen sich auf dem Bahnsteig 11 mehrere Familien in den Armen. Doch auch die Flüchtlinge mit Verwandten in Deutschland mußten die Busse besteigen und in die zentrale Aufnahmestelle fahren.

Kinkel: Rettungsflüge nach Sarajevo

Bundesaußenminister Klaus Kinkel hat inzwischen an alle EG-Staaten appelliert, Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten Ex-Jugoslawiens aufzunehmen. Eine entsprechende Kontigentierung soll auf dem „Jugoslawien-Gipfel“ der EG am kommenden Donnerstag in Genf vorgenommen werden. Kinkel wies darauf hin, daß die Bundesregierung weitere 50 Millionen Mark für die Flüchtlingshilfe vor Ort zur Verfügung gestellt habe. Der Außenminister regte an, Rettungsflüge für Verletzte aus Sarajevo zu organisieren — ein Vorschlag, der „wegen Sicherheitsbedenken“ vom zuständigen UNO-Kommandanten in der umkämpften bosnischen Hauptstadt zunächst zurückgewiesen wurde.

In der Bundesrepublik sind die 5.000 Kriegsflüchtlinge bereits Gegenstand von „Deals“ zwischen Landesregierungen und Kommunen geworden. So verlangte etwa die hessische Stadt Hanau, in der 400 Flüchtlinge in einer Kaserne untergebracht werden sollen, die Zusage, daß die Stadt ansonsten keine weiteren Asylbewerber mehr aufzunehmen brauche. Und auch in Baden-Württemberg werden die 610 bosnischen Flüchtlinge auf die generelle Unterbringungsquote angerechnet. Klaus-Peter Klingelschmitt, Karlsruhe

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