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Shakespeare multikuturell

■ Robert Lepages „Sommernachtstraum“ im Royal National Theatre in London

Die kahle Bühne ist ein trübes stehendes Gewässer in einer jahreszeitlosen Landschaft aus schwarzem glitschigem Schlamm. Durchs seichte Wasser, über dem eine einsame matte Glühbirne hängt, stakt ein seltsames Vieh, halb Krabbe, halb Mensch. Das Gesicht gespannt dem Publikum zugewandt, nähert es sich der Lichtquelle und löscht sie aus.

So fangen manche Träume an — beängstigend und verlockend. Und so, mit diesem stummen Prolog, fängt der eigenwillige „Sommernachtstraum“ an, den Robert Lepage jetzt für das Royal National Theatre in London in Szene setzte.

Der 35jährige frankokanadische Regisseur ist kein Unbekannter. Seine Produktion „Dragon's Trilogy“ bereiste Bühnen in aller Welt und „Tectonic Plates“ wurde 1990 in London gefeiert. Von der geölten Theatermaschinerie der englischen Hauptstadt hob sich Lepages Arbeit — eine potente Mischung aus amerikanischen, französischen und fernöstlichen Einflüssen — wohltuend ab. Seine multikulturelle Dramaturgie wandte er nun in Shakespeares Geburtsland auf des Dichters beliebtestes Stück an. Ein Wagnis mit sehenswertem Ergebnis.

Der Puck, gespielt von einem Schlangenmenschen (Angela Laurier mit Québec-Akzent) ist bei Lepage ein Zwitter aus Inkubus und Kobold. Im Anfang ist also der Traum: Ein eisernes Bettgestell, ein halbes Dutzend Stühle, eine Glühbirne — Requisiten des Alltags und des Profanen im Zimmer eines Schläfers — verwandeln sich in Bäume, in einen Steg, in ein Boot, in ein Tor, in eine Hütte, in ein Bühnenpodest.

Schon der Athener Hof, an dem die Väter die Gesetze machen, ist nicht wirklich. Ein Bedienter mit Turban und langem Stab schiebt ein Bett wie einen Stocherkahn im Kreis durch das Wasser. Tonlos und ritualisiert zu Klängen östlicher Musik, klagt Egeus seine Tochter an, spricht der Fürst am Kopfende sein Urteil. Die Figuren treten aus dem Schatten der jeweils anderen. Die Liebespaare, zusammengekauert schlafend, erwachen in einem bösen Traum. Es gibt kein Entrinnen, nur eine Befreiung in einen Traum im Traum, in noch tiefere Schichten,ins Elfenreich.

Dort sind die Geister Schlammschlangen und Erdwürmer, dort treibt Puck sein verdrehtes Wesen, wird von Oberons Oberelf vergewaltigt und kann sich ihm nur mit Mühe entwinden. Dort wird gekrochen oder geflogen, aber nicht gegangen. Titania hängt eine Ewigkeit lang mit dem Kopf nach unten über dem Wasser, wie ein bedrohlich großer Kokon, der sich vielleicht als Schmetterling, vielleicht als Spinne entpuppt. Waagrecht wirbelt Puck akrobatisch am Kabel der Glühbirne, aus der auf einmal Milch fließt. Und Oberon, mal Baum, mal breitbrüstiges Mannsbild, ist ohne Bewegung da und auch wieder nicht da. Die Liebenden hingegen stolpern und stürzen durch diesen Morast, in ihren bekleckerten Nachthemdchen, verzweifelt um aufrechten Gang bemüht. Der bebrillte Demetrius verliert die Übersicht, der stolze Lysander fast die Hose. Pucks Zauberblütensaft treibt sie in wilden Streit, der zum quietschenden Vergnügen der Zuschauer in einer Schlammschlacht gipfelt. Und siehe da: keuchend, von oben bis unten mit Dreck gewaschen, gleichen die vier nun dem Getier des Elfenreichs wie ein Wurm dem andern. Zurück im Bett, genauer gesagt darunter, schlummern sie, wie Ölsardinen, im Wasser ein, während auf der Matratze über ihnen Titania den wiehernden Zettel beglückt.

Zu den aufregendsten Ansichten dieser Inszenierung gehört die Morgendämmerung mit Theseus' Jagdgesellschaft (Bühne: Michael Levine; Licht: Jean Kalman). Die schwarzen Wände des Bühnenhintergrunds, auf denen zuvor mondrund das Geflimmer des Wassers und die Schatten der Geister tanzten, heben sich, um ein goldenes Licht freizugeben, vor dem exotische Trommler die Schlafenden aus ihrem feuchten Traum wecken. Durch das zum Palasttor aufgestellte Bett und einen prasselnden Morgenregen, eine Dusche aus Licht und glitzerndem Wasser, verlassen die Liebespaare gereinigt den Ort der Nacht, um am Athener Hof Hochzeit zu halten.

Die Konsequenz und die Gefahr des Inszenierungskonzepts wird im letzten Akt offenbar. Hofgesellschaft und Liebespaare müssen in einer Traumwelt bleiben. Wie Schlafwandler schreiten sie in Zeitlupe auf einer Stuhlreihe über das Wasser. Teilnahmslos wie Statuen verfolgen sie das deshalb unkomische Pyramus-und-Thisbe-Debakel der Handwerker. Wo sich bei Shakespeare die Traumnacht und das Theater der Handwerker gegenseitig erklären, müssen bei Lepage die Welten isoliert bleiben. Die einen träumen, die andern spielen Theater. Nur das Bettgestell, den Handwerkern eine waghalsig wacklige Bühne, verbindet beide. Und Puck freut sich auf die nächste Nacht. Stephan Wetzel

Royal National Theatre London: „A Midsummer Night's Dream“ von William Shakespeare, Regie: Robert Lepage, Bühne und Kostüme: Michael Levine, Darsteller: Allan Mitchell, Lolita Chakrabarti, Rupert Graves, Simon Coates, Indra Ové, Rudi Davles, Trevor Thomas, Paul M.Meston, Jeffery Kissoon, Sally Dexter, Angela Laurier u.a.

Die nächste Vorstellung ist am 5.August.

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