: Wohnungshaie fressen kleine Mietfische
Mit den Spekulanten kam der Unfriede in die Dortmunder Uhlandstraße/ Sanierungsterror von Immobilienhaien aus Wiesbaden/ Brutaler Überfall auf Mieterschützer/ Eigentümer ignorieren Gerichtsurteile/ Politiker: „Starker Tobak“ ■ Aus Dortmund Walter Jakobs
Der maskierte Mann war ein Profi. Wortlos zog er ein schweres Eisenrohr aus der Jacke und ehe der völlig überraschte Helmut Lierhaus noch reagieren konnte, traf der erste Schlag sein Kniegelenk. Dann ging das Eisenrohr gezielt auf Füße und Arme des Opfers nieder. Als Anwohner die Hilfeschreie bemerkten, machte sich der unerkannte Schläger auf den Rückzug — ganz cool in einem von einer Frau gesteuerten schwarzen Golf. Helmut Lierhaus wird mit schweren Prellungen, Blutergüssen und Schürfwunden in ein Krankenhaus gebracht.
Der brutale Überfall ereignete sich in den Morgenstunden des 23. Juni in der Dortmunder Uhlandstraße. Lierhaus, Vorsitzender des Dortmunder Mietervereins, war auf dem Weg zu Mietern im Haus Nr. 76. Daß der gezielte Überfall dem Mieterschützer Lierhaus galt, liegt auf der Hand — bewiesen ist es nicht. Über den Täter und seine eventuellen Auftraggeber hat die Polizei bisher nichts ermitteln können.
Durch die Aktivitäten des Mietervereinsvorsitzenden in der Uhlandstraße fühlen sich vor allem Immobilienhaie aus Wiesbaden gestört. 17 zum Teil ziemlich heruntergekommene Häuser mit 180 Wohneinheiten hat die „ GbR itw Immobilien Treuhand- und Wirtschaftbüro GmbH — probitas Vermögensverwaltungsgesellschaft m.B.H.“ aus Wiesbaden im Dortmunder Norden zusammengekauft. Seither ist es aus mit dem Frieden in dem hauptsächlich von Ausländern bewohnten Kiez.
Der Ton, den die neuen Besitzer aus Wiesbaden anschlagen, wird täglich schärfer. Vor allem seit klar ist, daß die Mieter von dem aus Wiesbaden durchgedrückten Modernisierungskonzept nichts halten. Nach der Sanierung sollen die Wohnungen, die jetzt zwischen 3,50 und 4,50 Mark pro Qudratmeter kosten, um mehr als 300 Prozent teurer werden. In einem schon grammatikalisch höchst eigensinnigen Schreiben der Gesellschaft an alle Mieter heißt es: „Alle Mieter, die daran interessiert sind, eine modernisierte Wohnung anzumieten, wird ein Mietpreis von DM 12.- je Quadratmeter vorgeschlagen“.
Die Drohung folgt in dem Schreiben vom 29.6. 92 nur ein paar Zeilen weiter: „Wir machen allerdings schon jetzt darauf aufmerksam, daß wir uns an der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen keinesfalls durch Mieter behindern lassen.“ Man sei entschlossen, „konfrontationssüchtige Mieter mit allen gesetzlichen Mitteln aus unseren Häusern auszuquartieren“. Hieran, so heißt es weiter, „wird auch Herr Lierhaus mit seinen Terroraktionen nichts ändern. Mieter, die sich von Herrn Lierhaus vertreten lassen, müssen damit rechnen, zur Gruppe der Provokateure gerechnet zu werden. Derartige Mieter haben keine Chance, in Zukunft eine Wohnung von uns zu erhalten, noch ihre derzeitige Wohnung zu behalten“.
Mieter über ihre Rechte aufzuklären und sie in ihrem Widerstand gegen ungesetzliche Modernisierungspraktiken zu bestärken, solchen „Terroraktionen“ haben sich der Mieterschützer Lierhaus und die ihn unterstützenden Mitarbeiter aus dem Dortmunder „Planerladen“ in der Tat schuldig gemacht. Vom Dortmunder Amtsgericht wird dieser „Terror“ nachhaltig unterstützt. Mal wurden die neuen Eigentümer dazu verurteilt, ein abgedecktes Dach zu flicken, mal gab das Gericht den Modernisierern auf, den Abriß von Toiletten zu stoppen und zerstörte Klos wieder aufzubauen.
Am vergangenen Dienstag erwirkte der Mieterverein beim Amtsgericht sogar einen teilweisen Baustopp. Der Vermieter wurde aufgefordert, die Funktionsfähigkeit des Kamins in der Wohnung einer türkischen Familie im Haus Nr. 76 wieder herzustellen und keine weiteren baulichen Veränderungen vorzunehmen. Im Erdgeschoß und in der 3. und 4. Etage des Hauses Nr. 76 werkeln die Handwerker. In den zwei Kaminen des Hauses haben sie Versorgungskanäle für Heinzungs-, Wasser- und Entlüftungsrohre installiert.
Im 1. und 2. Geschoß wohnen unterdessen zwei türkische und zwei kroatische Familien, deren Kohleöfen ebenfalls an diesen Kaminen hängen. Blieben die Versorgungsleitungen im Kamin, könnten sie ihre Wohnungen im Winter nicht heizen. Auch so kann man Mieter vertreiben. Tatsächlich vollstreckt wurden die Gerichtsbeschlüsse indes bisher nicht. Auch zwei Tage nach der jüngsten Verfügung gingen die Bauarbeiten am letzten Donnerstag den gewohnten Gang.
Die Stadt hilft mit einer Mietrechtsbroschüre
„Unter normalen Bedingungen“, sagt Rita Asisi, wären die Bewohner durchaus an einer Sanierung interessiert. Aber, so fügt eine andere Frau hinzu, „wir gehen doch nicht dafür arbeiten, daß der Hausbesitzer sich ne goldene Nase verdient.“ Die Mieter fordern eine Sanierung mit öffentlichen Mitteln, „damit die Mieten bezahlbar bleiben.“ Öffentliches Geld bedeutet Mietpreisbindung und genau daran haben die neuen Eigentümer kein Interesse. „Keinesfalls“, so heißt es in einem Schreiben der Wohnungshaie, „werden Gelder vom Staat für die Sanierung beantragt.“
Abgezockt werden soll in Dortmund auch Margott Böhmbeck. Für die 77jährige Rentnerin ist das ganz besonders bitter. Nach dem Krieg hat sie in der total zerbombten Uhlandstraße Steine geklopft. Den Keller für das Haus Nr.78 „habe ich mit ausgeschachtet“. Unbezahlte Aufbauarbeit. 1992 ist das alles vergessen. Der neue Mietpreis von 12 Mark plus 3 Mark Nebenkosten wäre für die Rentnerin unerschwinglich. Vom Dortmunder Sozialamt würde die Differenz nicht übernommen. Alle Sozialhilfeempfänger der Straße sind darauf von Amts wegen hingewiesen worden. Einige Mieter erhielten von der Stadt sogar noch weitere Hilfestellung. Sie fanden in ihrer Post eine Mietrechtsbroschüre... Machtvoll geriet auch der politische Beistand in der heimlichen Hauptstadt der SPD. Der Sozialausschuß des Dortmunder Rates verurteilte den Überfall auf Lierhaus einstimmig und Sozialdezernent Wolfgang Schäfer wertete den Brief der Eigentümer an die Mieter als „starken Tobak“. Schröder wörtlich: „Wir haben da wohl alle Wut im Bauch.“ Da ist sie offenbar geblieben. Von Störungen der Wiesbadener Spekulantentruppe durch die sozialdemokratische Stadtspitze ist jedenfalls nichts bekannt. Die machen weiter wie bisher. Den Hausverwaltern vor Ort gehen inzwischen breitschultrige junge Männer zur Hand, die Angst in der Uhlandstraße verbreiten. Auch Helmut Lierhaus geht nicht mehr allein in den Kiez. Mieter und Freunde vom „Planerladen“ begleiten den Mieterschützer, der der gewaltsamen Atmosphäre „auf keinen Fall“ weichen will.
„Früher war das hier schön. Das war wie in einer großen Familie. Jetzt ist die Atmosphäre kaputt“, sagt Rita Asisi. Die Tochter der 77jährigen Margott Böhmbeck sorgt sich vor allem um ihre Mutter: „ Die würde sterben, wenn die hier raus müßte“.
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