: Bremens kleinste Werft
■ Wolfgang Petschenik baut Ölplattformen, Yachten und Koggen mit Pinzette und Laubsäge
„Ich bin ein hypernervöser Mensch. Aber wenn ich so ein Ding mache, werde ich die Ruhe selbst.“ Wolfgang Petschenik ist der Besitzer einer „Schiffsmodellwerft“. Vom Wikingerschiff über hanseatische Koggen bis zur Erdölplattform baut er alles, was seine KundInnen wünschen. Im Maßstab eins zu hundert. „Kunst geht nach Brot! Am liebsten bau ich englische Teeclipper, vom Typ der Cutty Sark, aber davon kann ich nicht mal die Miete zahlen. Deshalb nehme ich jeden Auftrag an, nur einen nicht: keine grauen Kriegschiffe.“
Petscheniks „Werft“ in der Feldstraße, an der kaum eine vorübergeht, ohne einen Blick in die wunderlich anziehende Schaufensterdekoration zu werfen, ist eine Mischung aus Werkstatt und Museum. Schwimmdocks, Kräne und Maschinenlärm gibt es nicht, dafür aber hängen und stehen überall Schiffsmodelle, in Natura, hinter Glas, als Flaschenschiffe und Halbmodell im Rahmen.
Auf einem kleinen, zerarbeiteten Holztisch liegt in Reih und Glied das nötige Mini-Werkzeug: Pinzetten, 0,5-Millimeter-Bohrer, Laubsäge. „Ein Schiffsmodellbauer muß sich klein machen. So klein wie seine Modelle. Er muß sich so weit wie möglich an die Arbeit eines Schiffbaumeisters heranbegeben.“
Nun ist Petschenik nicht nur studierter Schiffsbauingeneur, sogar die Vorstellung, daß er sich selbst auf den Maßstab 1:100 verkleinern könnte, um seine Arbeit gut zu machen, ist angesichts seiner kräftigen Gestalt gar nicht mal so abwegig. Aber natürlich hat die Annäherung an die Vorbilder schon viel früher ihre Grenzen. Zwar haben Petscheniks Modelle ein Spantengerüst hinter der Holzfassade, und sie können auch schwimmen; jedes kleine Detail wird nachgebaut, „ohne einen Tropfen Leim!“, Messingverzierungen ebenso wie Einzelheiten der Takelage, wie Kombüse, Taurollen, Mastkorb. Doch schon beim Grundmaterial für die alten Segler, beim Holz, müssen Kompromisse gemacht werden: „Eiche kann ich nicht auf eins zu hundert reduzieren, die ist fürchterlich widerspenstig und splittert. Ich nehme Abachi, das ist eine Lindenabart, weiß wie ein Albino. Läßt sich auf jeden Holzton hinbeizen. Und ist so nachgiebig, daß man fast einen Knoten damit binden und noch in den schmalsten Streifen die Nägel
Petschenik, studierter Schiffsingenieur, in seiner MiniaturwerkstattFotos: Vankann
chen schlagen kann.“
Erst seit 1870, als die großen Eisenschiffe aufkamen, gab es Generalpläne der einzelnen Schiffe. Für den Nachbau der großartig untergegangen „Pamir“ forschte Petschenik bis nach Neuseeland, um an die verlorenen Pläne heranzukommen.
Die alten Schiffsbaumeister dagegen bauten nach Gefühl und hüteten ihr Wissen, als „dürfte auch der liebe Gott nichts nachkonstruieren“. Trotzdem verbreiteten sich die Schiffstypen,
hierhin bitte
den Mann in der
Werkstatt
„wenn sie nicht gleich bei der ersten Ausfahrt untergingen“, denn die Nachkonstruktion ohne Plan ist für den Könner kein Problem. Auch Petschenik braucht ja nur seinen Zirkel, um nach dem Portrait eines Schiffes maßstabsgetreu ein Modell auszutüfteln.
Die allerersten Schiffsmodellbauer gar brauchten schon deshalb keine Pläne, weil ihre Modelle heiligere Funktionen hatten als die der getreuen Abbildung. Die alten Ägypter brauchten ein Schiffchen als Grabbeigabe, damit die Seele tockenen Fußes ins Totenreich hinabtreiben konnte; die mittelalterlichen Seeleute vermachten der Hl. Gertrud ein Modell, als Dank für die gegebenfalls geleistete Hilfe in Seenot. Da konnte die Kogge ruhig rund wie eine Nußschale sein.
Petscheniks heutige KundInnen sind Werften, die zwei Modelle ihrer neuesten Schiffe für Reeder und Käufer anfordern, aber auch Privatpersonen wie die Gattin eines alten Kapitäns, die ihm seine „Pegasus“ zur Goldenen Hochzeit schenken will.
Petschenik nimmt einen Stundenlohn von ganzen zehn Mark, und trotzdem geht der Kaufpreis in die Tausende, ja Zehntausende: „Ich arbeite von morgens früh um fünf bis zum Abend. Um acht sink ich mit Mozart ins Bett.“ Und hoffentlich führt ihn eine Traumbarke ins Reich der Träume. Maßstab eins zu hundert. Cornelia Kurth
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