: Totenkult mit Gipsbüste
„Tania la Guerillera“ — Der Film zum Buch ■ Von Friederike Freier
Das „Porträt einer Revolutionärin“ sei der Film, teilen die Verleiher mit. Es geht um Tamara Bunke, 1937 in Argentinien geboren, Tochter deutscher Kommunisten im Exil. Sie siedelte 1952 mit den Eltern, die „helfen wollten, den Sozialismus aufzubauen“, in die DDR über. Von dort aus kehrte sie 1961 nach Lateinamerika zurück, um die sozialistische Revolution zu unterstützen. Zwei Varianten ihrer Lebensgeschichte gab es bisher. Eine davon geisterte durch die DDR und tut das noch in Kuba: Tamara, alias Tania, die Heldin, die mit Che Guevara kämpfte und im Kampf gegen die Imperialisten fiel. Die andere, Gegenstück dazu und in Westeuropa verbreitet, besagt, sie sei KGB-Spionin gewesen. Der Dokumentarfilm von Heidi Specogna, einer Schweizerin, die an der Berliner Kunsthochschule Film-Montage lehrt, fügt dem nichts wesentlich Neues hinzu. Statt dessen orientiert er sich offensichtlich an der bonbonfarbenen Saga, die in einem Buch des Militärverlages der DDR von 1974 nachzulesen ist. Die Filmemacherin arbeitete größtenteils mit den gleichen Materialien, die bereits im Buch versammelt sind. Es gibt wohl hie und da ein paar Andeutungen, die, hätte man sie im Militärverlag vorgelegt, herausgestrichen worden wären: Spärliche Aussagen über Tamaras Verhältnis zu Che Guevara zum Beispiel. Die ursprüngliche Story, in der Tamara schon Kleinkindern als Vorbild verabreicht wurde, suggerierte, sie sei geschätzte Frau in seinem Gefolge gewesen, Beispiel für Emanzipation im Sozialismus. Im Film werden Differenzen zwischen Tania und dem großen Ernesto erwähnt, zudem, daß die Frau nicht den besten Stand hatte unter den Kämpfern. Aber es bleibt bei Andeutungen.
Von Verehrung ist viel die Rede, die NachbarInnen, KollegInnen, GenossInnen, für Tania-Tamara hegen. Mal wird sie als sehr feminin, mal als maskuliner Typ bezeichnet. Entschlossen sei sie gewesen, klug und verständnisvoll, habe Kubanerinnen schreiben gelehrt. „Sie spielte gut Gitarre und Akkordeon und verehrte Che Guevara.“ Et cetera, et cetera. Selbst der bolivianische Soldat, der der Toten zwar nicht den Skalp, sondern nur ein Ledertäschchen abnahm, sricht freundlich lächelnd von einer „großen Frau“. Aber kein noch so umfangreiches Konglomerat positiver Attribute macht die Legende von der Guerillera durchschaubarer.
Wirklich neu im Vergleich zum Agitprop-Bändchen der siebziger Jahre sind aktuelle kubanische Alltags-Impressionen. Ruhige Einstellungen von einem verschlafenen Land: Kinder rutschen auf Schienen einen Hang hinunter. Kinder antworten auf die Frage nach Che und Tania im Chor, daß sie beide gut waren; eine Szene, die mich an die Gedenkstunde für den toten Breschnew erinnert, in der ich pflichtschuldig aussagte, er sei ein Freund der Kinder gewesen. Das gleiche weiß auch Kubas „junge Garde“ von Che und Tania zu berichten. Schließlich marschieren Kindergartenkinder zu Kampfliedern wie weiland in der DDR zum „Fest des Liedes und des Marsches“, ihre Tritte nicht ganz synchron mit Geräusch versehen. Ein groteskes Bild.
Ebenfalls neu sind ein paar spekulative Phrasen in Bolivien lebender Deutscher. In deren gutbürgerlicher Umgebung lebte Tamara unter dem falschen Namen Laura Guetiérrez Bauer und knüpfte Verbindungen zu Regierungskreisen. Männer mit graumelierten Haaren und ebensolchen Anzügen bekommen von Heidi Specogna die Vertretung der Variante „Tania, die KGB-Spionin“ übertragen, sollen sich an sie erinnern und ihre Meinung über sie äußern. Sie tun's gern: „Nett war sie, hübsch...“ Alle anderen Befragten kennen immer nur die Revolutionärin.
Dem glatten, völlig undifferenzierten Bild haben auch die greisen Eltern nichts mehr hinzuzufügen. Sie haben in ihrer Wohnung ein Tania- Tamara-Traditionskabinett eingerichtet, und es ist ihnen nicht zu verübeln, daß sie am Totenkult für ihre Tochter festhalten. Zu verübeln ist es Heidi Specogna, daß sie die Revoluzzer-Agitation von Pionierorganisation und FDJ, dessen kubanische Entsprechung noch heute existiert, nicht beleuchtet. Zu verübeln ist ihr auch, daß im Film Ungereimtheiten, an denen eine Recherche hätte ansetzen können, entweder unkommentiert vorbeirauschen oder gar nicht erst erwähnt werden. So zum Beispiel bestand Tamara nur knapp das Abitur. So etwas gab's kaum zu DDR-Zeiten, und es steht im Widerspruch zur Darstellung von der ach- so-klugen Frau. In einer nicht näher bezeichneten „Stellungnahme“, die Tamara 1960 schreibt, und die im Buch als bereinigter Ausriß veröffentlicht wurde, geht es offensichtlich um Differenzen mit der SED. Dies sind vage Indizien, die darauf hindeuten, daß Tamara mit der Realität in der DDR nicht zurechtkam. Selbst wenn all dies nicht hinter die Fassade des Denkmals geführt hätte: Was passierte mit dem Mann, den sie in Kuba heiraten wollte? Wer ist der Bolivianer, den sie dann tatsächlich heiratete? Auch eine längere Reise der Protagonistin nach Westeuropa wird verschwiegen.
Schließlich wäre es wohl nicht zuviel verlangt, daß in einem Film, der „spannender und zugleich aufschlußreicher Beitrag zur jüngsten Geschichte“ (Verleihinfo) sein will, die Ziele jener Guerilla kritisch betrachtet werden. Daß Gründe gesucht werden, aus denen Menschen wie Tamara Bunke zu Revolutionären wurden zu einer Zeit, da in europäischen „sozialistischen“ Ländern die Symptome einer autoritären Herrschaft selbst für die spürbar waren, die durch ihre Herkunft aus systemkonformen Familien privilegiert waren. Dazu allerdings müßte man sich von vorgegebenen Schemata lösen, die längst nicht mehr als letzte Wahrheit im Raum stehen. Nach dem Umbruch in der DDR ist lang und breit über das Verhältnis zu Entwicklungsländern, über Solidaritätskomitees diskutiert und an HeldInnen herumgekratzt worden. Hinter all das fällt der Film, der 1991(!) gedreht worden ist, zurück. Lediglich die Sequenzen, in denen die Eltern Bunke in ihrem privaten Museum zwischen kitschigen Kunststoffwandbildern und Gipsbüsten ihrer Tochter sitzen und die Mutter sorgsam gehütete Ikonen auspackt, verweisen (wohl unfreiwillig) darauf, daß hier eine Lebenslüge in Szene gesetzt worden ist.
„Tania la Guerillera“. Schweiz/ BRD 1991, 90min. Buch, Regie und ProduktionHeidi Specogna, Kamera Rainer Hoffmann
Marta Rojas/Mirta Rodríguez Calderón: „Tania la Guerillera“. Aus dem Spanischen von Nadja Bunke. Militärverlag der DDR 1974
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