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Neuer Mafia-Anschlag in Sizilien

Truppenstationierung mit neuem Mord beantwortet: getöteter Kommissar war zuständig für Schutzgelderpressung/ Geldscheine auf der Leiche: Zeichen der Herausforderung an den Staat  ■ Aus Catania Werner Raith

Die Herausforderung des italienischen Staates durch die Mafia geht weiter. Am Montagabend fiel in Catania auf der Ostseite der Insel der Polizeikommissar Giovanni Lizzio den Kugeln eines Killerkommandos zum Opfer. Die neuerliche Bluttat löst, nach den tödlichen Sprengstoffanschlägen auf die Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, in mehrerlei Hinsicht noch größere Besorgnis als zuvor aus.

Zunächst einmal ist dies der erste Anschlag auf einen Staatsbeamten in Catania — anders als in Palermo, wo in den letzten Jahrten mehrere Dutzend Politiker, Richter, Staatsanwälte und Polizisten umgebracht wurden. Catania weist zwar mittlerweile eine relativ starke Durchsetzung mit mafiosen Clans auf. Doch bei Morden ging es bisher entweder um Auseinandersetzungen rivalisierender Clans oder um die „Bestrafung“ von Firmen, die sich weigerten, Schutzgeld zu bezahlen. Das zweite beunruhigende Element: der erschossene Kommissar war der bekannteste Ermittler an der Ostküste der Insel. Er leitete just die Abteilung, die eigens zum Kampf gegen Schutzgelderpressung aufgestellt worden war und in den letzten Monaten spektakuläre Erfolge aufweisen konnte. Unter der Leitung Lizzios hatten sich Kaufleute zusammengeschlossen und eine Front gegen Erpresser gebildet, reihenweise waren Gangster ins Gefängnis gewandert. Nach ersten Mitteilungen aus dem Polizeipräsidium Catania hatte Lizzio gerade wieder einmal einen Gangster zu Aussagen gegen seine Kumpane veranlaßt, eine Festnahmewelle war vorauszusehen. Die Politiker in Rom und die Strafverfolger in Sizilien waren voll des Lobes für den neuen Bürgermut. Dieser Mut sollte mit dem Mord sicher ebenfalls getroffen werden: Wo der Schutzengel fehlt, wird die Bewegung gegen die Mafia wohl bald zusammenbrechen, so die Kalkulation.

Das dritte, zumindest für Mafiakenner, allerschlimmste Element aber besteht in der Tatsache, daß die Killer nach beendeter Aktion ein Bündel Tausendlirescheine über ihr Opfer warfen. In der krausen Mafia- Symbolik bedeutet dies eine direkte Herausforderung an den Gegner — in diesem Falle also an den Staat. Eine ungeheure Unverfrorenheit, zweifellos. Genau in dem Augenblick, wo in Sizilien an die siebentausend Soldaten des regulären Heeres Posten beziehen, um die Präsenz des Staates sichtbar zu machen, und sich in Catania alle Präfekten Westsiziliens versammelt haben, um darüber zu beraten, bringt die Mafia in aller Ruhe einen der erfolgreichsten Polizisten um. Arroganter kann man wohl nicht mehr ausdrücken, was man von diesem staatlichen Aktionismus hält. Kein Zweifel, daß ein Anschlag dieser Größenordnung nicht auf Rachegelüste irgendeiner Bande von Kleinkriminellen zurückgeht. In Mafiagefilden ist so ziemlich alles, was geschieht, genehmigungspflichtig, und so muß dieser Mord auf allerhöchster Ebene abgesegnet worden sein. Experten befürchteten eine solche Aktion im übrigen bereits, seit die Ermittler Falcone und Borsellino umkamen: wo es um eine solche Herausforderung geht, müssen sich alle Clans der Insel vorher abgesprochen haben. Üblicherweise verlangen dabei die Gruppen von Palermo Beiträge auch von Kollegen der anderen Inselbezirke.

Leider ist nicht abzusehen, ob dieses Attentat das letzte in diesem blutigen Sommer ist. Die Polizei hat mittlerweile einer Reihe besonders gefährdeter Personen dringend abgeraten, die Insel überhaupt noch zu betreten. Der ehemalige Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, bekannt durch seinen Kampf gegen die Korruption in seiner Stadt, lebt seither ebenso in einer Kaserne der Carabinieri in Rom wie der ehemalige Chefankläger im Mafia-Großprozeß, Giuseppe Ayala.

Die Regierung übt sich indessen wieder im Muskelnzeigen: Noch seien ja nicht alle 7.000 Alpenjäger, Artilleristen und Infanteristen auf der Insel, so das Pfeifen des Verteidigungsministers Salvo Andò im Walde, und wenn erst einmal alle Posten bezogen haben, werde es schon besser. Eine herrlichere Bankrotterklärung im Kampf gegen die Mafia kann man wohl kaum abgeben.

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