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Die politische Klasse im Schlaraffenland

Ex-Minister in Hessen bekommen unmittelbar nach Räumung der Regierungsbank lebenslänglich ein sattes Versorgungsgeld/ Grüne wollen den Bezügedschungel durchforsten/ Auch geschaßte Pressereferenten werden gut versorgt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) — Kennen Sie Karin Beate Bardjesteh? Wahrscheinlich nicht. Die Sozialhilfeempfängerin mußte sich dieser Tage vor der Vierten Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main verantworten, weil sie ein paar lumpige tausend Mark an Bedürftigenhilfe kassiert hatte — und gleichzeitig illegal einer Beschäftigung nachgegangen war, um ihren kranken Bruder materiell unterstützen zu können.

Kennen Sie Hartmut Nassauer? Wahrscheinlich. Der Mann war für knapp fünf Monate hessischer Minister des Inneren unter Walter Wallmann. Der christdemokratische Abgeordnete mußte sich dieser Tage vor dem Hauptausschuß des Landtages verantworten, weil er Wert auf die 51 Prozent seines ehemaligen Ministergehaltes legte, die ihm seiner Auffassung nach monatlich zustehen. Zwar erwirbt auch ein hessischer Staatsminister einen Anspruch auf 51prozentige Versorgungsbezüge erst nach etwa zehn Jahren Amtszeit. Doch Nassauer datierte den Beginn seiner Dienstzeit — ganz legal — auf das erste Semester seines Jurastudiums zurück. Nach der bisherigen Interpretation derer, die einsam als „politische Klasse“ über die eigenen Tantiemen bestimmen und richten, beginnt die nach dem hessischen Gesetz über Ministerbezüge anrechnungswürdige Ex-Dienstzeit eines Ministers im sogenannten öffentlichen Dienst mit der Aufnahme einer Tätigkeit, die eine Eingliederung in den gehobenen öffentlichen Dienst erwarten läßt. Und das war bei Nassauer eben der Studienbeginn. Nur weil den Vertretern der Grünen im Hauptausschuß, Reinhold Weist und Rupert von Plottnitz, auf der entscheidenden Ausschußsitzung der Kragen platzte, zerplatzten Nassauers monetäre Kumulationsträume wie Seifenblasen. In Zeiten, wo gerade die Union mit voller Breitseite den „Selbstversorgungskünstler“ Oskar Lafontaine (SPD) unter Beschuß genommen hatte, wollten die hessischen Christdemokraten keinen eigenen Selbstversorgungsskandal produzieren. Hartmut Nassauer verzichtete „freiwillig“ auf seine Versorgungsansprüche als Ex-Minister.

„Extrem großzügig“ nennt Reinhold Weist im Gespräch mit der taz die aus dem Beamtenrecht abgeleitete Ministerversorgung in Hessen. Wer im Lande des Löwen nur einen einzigen Tag Minister war, hat Anspruch auf eine „Altersversorgung“ von mindestens 35 Prozent seiner ehemaligen monatlichen Ministerbezüge von derzeit 17.000 DM brutto — nicht mitgerechnet die Dienstaufwandsentschädigung und die Wohnungsentschädigung. Doch während normale Sterbliche ihr ein Arbeitsleben lang in die Rentenkasse eingezahltes Altersruhegeld erst mit dem Eintritt in Ruhestand oder Vorruhestand in monatlichen Raten — orientiert an einem Durchschnittswert aller Gehälter — ausgezahlt bekommen, wird den Ex-Ministern das „Versorgungsgeld“ ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Amt aufs Konto überwiesen.

Die Spitzenverdiener in der hessischen Politszene sitzen deshalb nicht auf der Regierungsbank, sondern im Plenarsaal. Etwa die Ex-Minister Manfred Kanther (CDU) und Wolfgang Gerhard (FDP) aus Wallmann- Zeiten. Beide haben Anspruch auf die Ministerversorgung, einen Teil der Abgeordnetendiäten und auf Sonderzahlungen in Höhe von jeweils 5.330 DM monatlich für ihre Funktion als Fraktionsvorsitzende der beiden Oppositionsparteien. Und das schönste am Angeordnetendasein als Ex-Minister: Es darf— im Gegensatz zu den amtierenden Ministern — im „erlernten“ Beruf uneingeschränkt dazuverdient werden. Deshalb stehen weder Kanther noch Gerhard in Frankfurt vor Gericht, sondern die Sozialhilfeempfängerin Karin Beate Bardjesteh.

Doch auch die amtierenden Minister aus den Reihen der Sozialdemokraten, die als Abgeordnete in den hessischen Landtag gewählt wurden und nach dem rot-grünen Wahlerfolg 1991 auf die Regierungsbank wechselten, machen ihr „Schnäppchen“. Im Gegensatz zu Joschka Fischer und Iris Blaul von den Grünen, die ihre Abgeordnetenmandate nach der Berufung in die Landesregierung niedergelegt haben, verzichteten die Herren Herbert Günther, Hartmut Holzapfel, Ernst Welteke, Jörg Jordan und auch Ministerpräsident Hans Eichel nicht auf ihr Mandat. Dafür, daß die genannten Sozi-Minister und der Regierungschef bei Abstimmungen im Landtag auf der Regierungsbank die Hände heben müssen, werden sie zusätzlich zum Ministergehalt mit 25 Prozent der Abgeordnetendiäten für diesen Kraftakt entschädigt. „Kleinvieh“ — etwa 2.700 DM monatlich — macht schließlich auch Mist. Für den grünen Fraktionsgeschäftsführer Reinhold Weist ist das Verhalten der Sozis nicht nur deshalb „moralisch verwerflich“: „Es ist auch politisch höchst bedenklich, daß Regierungsmitglieder gleichzeitig als Volksvertreter agieren. Das Parlament soll doch laut Verfassungsauftrag die Regierung kontrollieren.“

Die absoluten Cracks in Sachen Moneymaking sitzen heute allerdings nicht mehr im Landtag oder auf den Ministersesseln. Die Ex-Minister Ulrich Steger (SPD) oder Gottfried Milde (CDU) kassieren fortlaufend ihre Versorgungsbezüge für die Regierungsbeteiligung unter Börner und Wallmann — und sind längst in der freien Wirtschaft dick im Geschäft. Ulrich Steger, der Totengräber der ersten rot-grünen Koalition, gehört als „Umweltexperte“ dem Vorstand der VW AG in Wolfsburg an. Und der über die Abhöraffäre aus dem Amt gestolperte Gottfried Milde ist heute Direktor bei Nestlé und betreibt — nebenbei — eine florierende Anwaltskanzlei. Zwischen 35 und 75 Prozent des letzten Ministergehaltes bewegen sich die von der „öffentlichen Hand“ auszuschüttenden monatlichen Versorgungsbezüge dieser Topmanager mit Spitzengehältern. Der voll im Futter stehende „Landeskassen-Rentier“ Ulrich Steger ist gerade einmal in einem Alter, in dem sich die Midlife-Krise einstellt. Reinhold Weist: „Nur beim Lottospielen sind die Gewinnquoten noch höher!“

Der einfache Landtagsabgeordnete Weist will jetzt seinen Steuerbescheid offenlegen — „um mit gutem Beispiel voranzugehen“. Probleme mit seiner Basis wird der Grüne nicht bekommen, denn im Vergleich mit den Ex-Ministern und den amtierenden Ministern nehmen sich seine Bezüge bescheiden aus. Nur knapp 4.000 DM netto verdient der Fraktionsgeschäftsführer, der es „extrem ungerecht“ findet, daß es für diesen „stressigen Job“ kein Zubrot gibt. Von ihrem eigentlichen Nettogehalt von 5.500 DM müssen die Grünen noch 1.500 DM an die Parteikasse abführen. Fraktionschef Rupert von Plottnitz (51) ist da monetär schon besser ausgestattet, denn für den Chef der Parlamentsfraktion werden monatlich 5.330 DM extra überwiesen.

Daß Weists Beispiel Schule machen wird, steht nicht zu erwarten. Nur mit massivem Druck von außen hatten die Grünen vor Jahren das schon im Landtag verabschiedete „großzügigste Diätengesetz der Republik“ wieder zu Fall bringen können. Und deshalb müsse der ganze „Dschungel“ (Weist) endlich durchforstet werden. Das „Hauptübel“ dabei sei die Orientierung der Versorgungsbezüge am Beamtenrecht, sagte Weist. Natürlich habe auch ein ehemaliger Minister ein Anrecht auf eine angemessene Alterssicherung— „aber im Alter, und nicht schon mit 40 Jahren, wie im Fall des Ex-Ministers Karlheinz Weimar, der als CDU-Abgeordneter heute wieder im Landtag sitzt, Diäten kassiert und eine Anwaltskanzlei unterhält“. Wie bei „normalen Menschen“ auch, sollte eine Altersgrenze für den Beginn der Versorgungsleistungen festgelegt werden. Und die, so Weist, müsse analog zur Bevölkerung bei etwa 60 Jahren liegen.

Übrigens: Was für Ex-Minister in Hessen gilt, gilt für die gesamte Klasse der politischen Beamten. Auch ein nach einem Regierungswechsel geschaßter Pressereferent darf sich — je nach Dienstzeit — über monatliche Versorgungsbezüge von 35 bis 75 Prozent seines letzten Gehaltes freuen, auch wenn er längst wieder etwa bei einer Zeitung arbeiten sollte. Und weil sich das politische Karussell immer schneller dreht, steigt die Belastung der öffentlichen Haushalte durch die Ausschüttung von Versorgungsbezügen von Jahr zu Jahr sprunghaft an. Denn selbstverständlich gelten die Bestimmungen auf Landesebene auch für alle kommunalen Wahlbeamten. Da freut sich dann so mancher Mittdreißiger, wenn er vom politischen Gegner nach einer Legislaturperiode wieder geschaßt wird, aufs lebenslange Däumchendrehen auf Staatskosten.

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