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Zügellos für Recht und Ordnung

■ Der Bericht eines Gerichtsmediziners, wonach in Südafrikas Gefängnissen in den vergangenen Jahren Hunderte von Schwarzen in Untersuchungshaft mißhandelt und getötet worden sind, schlägt hohe Wellen.

Zügellos für Recht und Ordnung Der Bericht eines Gerichtsmediziners, wonach in Südafrikas Gefängnissen in den vergangenen Jahren Hunderte von Schwarzen in Untersuchungshaft mißhandelt und getötet worden sind, schlägt hohe Wellen.

AUS JOHANNESBURG HANS BRANDT

Ein halbes Dutzend Morddrohungen hat ein führender südafrikanischer Pathologe erhalten, seit er am Wochenende behauptet hatte, daß die Polizei seines Landes „völlig außer Kontrolle“ sei. Dr. Jonathan Gluckman hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten über 200 Obduktionen an Menschen durchgeführt, die in Polizeigewahrsam gestorben waren. „Ich bin davon überzeugt, daß 90 Prozent dieser Leute von der Polizei getötet wurden“, sagte Gluckman.

Der Arzt war mit seinen Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen, wenige Tage nachdem ein britischer Experte in einem Bericht die Untersuchungsmethoden der Polizei als „jämmerlich, unzureichend und inkompetent“ bezeichnet hatte. „Ich habe den Eindruck, daß Südafrikas Sicherheitskräfte inzwischen tun, was sie wollen“, sagte Gluckman der südafrikanischen Sunday Times. „Es macht mich sprachlos. Die ganze Geschichte macht mich krank. Es geht immer weiter. Ich weiß nicht, wie dem ein Ende gemacht werden kann. Ich glaube, selbst die Regierung weiß nicht, wie man dem einen Riegel vorschieben kann.“

Gluckman hatte seine Erkenntnisse offenbart, nachdem er seit Ende letzten Jahres die Polizeiführung, den Polizeiminister Hernus Kriel und auch Staatspräsident Frederik de Klerk wiederholt vergeblich angefleht hatte, Menschen in den Zellen der Polizei vor Übergriffen seitens ihrer Wärter zu schützen. Kriel reagierte am Wochenende mit der Ankündigung, daß jeder einzelne Todesfall, der sich in den letzten zwei Jahren in Polizeihaft ereignet habe, erneut untersucht würde. Die Untersuchung solle entweder von einer unabhängigen Kommission oder von Staatsanwälten durchgeführt werden. Der Polizeiminister warnte indes vor der seiner Ansicht nach verkürzten Schlußfolgerung, „daß all jene, die in Polizeigewahrsam sterben, als Folge von Übergriffen der Polizei sterben. Das ist eindeutig falsch“, so Kriel. Immerhin, so räumte er ein, sei eine Verhaftung eine traumatische Erfahrung. Unter solchen Bedingungen seien „natürliche Todesursachen“ wie Herzinfarkt oder Selbstmord durchaus möglich.

Unabhängige Rechtsanwälte, Oppositionsgruppen und Menschenrechtsorganisationen haben Gluckmans Behauptungen inzwischen bestätigt. „Es scheint, als ob es bei der Polizei eine Art Rambo-Mentalität gibt“, sagt Mohamed Navsa, Direktor des Johannesburger Rechtshilfe- Komitees „Legal Resources Centre“. „Mit politischen Fällen bekommen wir es hier nicht soviel zu tun; weit verbreitet sind allerdings Fälle von Mißhandlung.“

Andere Sachverständige sind der Auffassung, die Polizei wolle sich die Arbeit oft leicht machen, indem sie Geständnisse durch Folter zu erzwingen versucht. Peter Waddington, der britische Experte, der das Vorgehen der Polizei nach dem Massaker von Boipatong Mitte Juni untersuchte, meinte in der vergangenen Woche, daß die Polizei eine umfassende Beweissammlung kaum ernsthaft vorantreibe und sich statt dessen auf Geständnisse verlasse. Waddington war von der südafrikanischen Regierung zu einer Untersuchung eingeladen worden, nachdem der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) aufgrund des Massakers von Boipatong seine Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen hatte.

„Früher haben wir sie einfach eingesperrt...“

Die Vorwürfe von Gluckman und Waddington haben das letzte bißchen Vertrauen, das die Polizei in Südafrika bei manchen noch genoß, jetzt wohl vollends zerstört. Deshalb fordern eine Reihe von Organisationen eine grundlegende Strukturreform bei der Polizei. Der ANC fordert eine übergangsregierung, in der die Sicherheitskräfte von allen politischen Parteien gemeinsam kontrolliert werden. In Gesprächen mit Cyrus Vance, dem Sonderbotschafter der Vereinten Nationen, der sich zur Zeit in Südafrika aufhält, hat der ANC außerdem internationale Beobachter zur überwachung von Polizei und Militär gefordert.

Die südafrikanische Regierung ihrerseits behauptet, daß eine Umstrukturierung der Polizei längst begonnen hat. Im Januar 1990, kurz bevor er den ANC und andere Oppositionsgruppen legalisierte, sprach Präsident de Klerk vor einer Versammlung höherer Polizeioffiziere. Dabei kündigte er an, daß die Polizei künftig nicht mehr als Kontrollinstrument gegen den ANC eingesetzt würde. „Wir befinden uns in einer neuen Ära“, sagte auch Polizeiminister Kriel in der vergangenen Woche. „Früher sind wir so verfahren, daß wir die politischen Führer der Schwarzen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt haben. Das tun wir heute nicht mehr.“ Dafür aber behindere die ständige Kritik an der Polizei deren Arbeit. „Es ist sehr schwierig, etwas zu tun, wenn man weiß, daß jeder Einsatz von einer Kommission untersucht werden wird.“

Wie wichtig unabhängige Ermittlungen sind, zeigt allerdings das sogenannte „Trust-Feeds“-Verfahren. Vier Polizisten wurden in diesem Jahr für den politisch motivierten Mord an elf Menschen in Trust Feeds in der Provinz Natal verurteilt. Die Untersuchung wurde verschleppt, Beweismaterial gegen die Polizisten von hohen Offizieren unterschlagen. „Das war für mich eine große Enttäuschung“, behauptet Kriel. Menschenrechtsgruppen fordern schon seit Jahren, daß die Polizei Übergriffe der eigenen Leute nicht selbst untersuchen darf. Kriel hat jetzt angekündigt, daß Vergehen der Polizei künftig von einer Sondergruppe von unabhängigen Detektiven untersucht werden sollen.

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