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Werk verhaftet

■ Das Jubiläumsensemble Bonn mit Mozarts Zauberflöte im Hebbel-Theater

Seit fünf Jahren arbeiten die Mitglieder des Jubiläumsensembles zusammen, gehören zum festen Bestand der freien Szene Westdeutschlands, und in dieser Zeit wuchs offenbar auch ihr Vertrauen zu Rhys Martin. Der freie Regisseur hat bereits zwei Projekte mit dem Bonner Theater verwirklicht, das nun auch bereit war, Martins Ideen zu Mozarts Zauberflöte zu folgen. Vier staatliche Geldgeber (darunter der Berliner Senat) und drei weitere Theater (darunter das Hebbel-Theater Berlin) haben die Inszenierung gefördert und mitproduziert. Heute ist das Ergebnis noch einmal in Berlin zu sehen — vermutlich zum letzten Mal. Das Hebbel-Theater war noch nicht einmal für die Premiere seiner Koproduktion ausverkauft, und Martins Version von Mozarts philosophischer Bekenntnisoper sorgte schon vor der Pause für zunehmend lichte Sitzreihen.

Dabei beginnt diese Zauberflöte ganz zauberhaft. Nämlich mit einer Party im Zustand des Katzenjammers. Damen und Herren der neunziger Jahre des 18. und 20. Jahrhunderts können sich nicht mehr ausstehen — ach, wie die Zeit vergeht. Knatsch bei Tisch, am Synthesizer klimpert Thomas Becker Mozartisches. Becker zeichnet als musikalischer Leiter des Unternehmens, das nun also sehr auf jenen Es-Dur-Akkord zusteuert, mit dem Mozarts Ouvertüre begänne und hier Erlösung wäre: reiner Wohlklang und Vernunft mit Bassethörnern.

Aber nichts davon wird uns gegönnt, natürlich nicht. Rhys Martin weiß, daß Schikaneders Text eine ideologische Zumutung und die Freude an Mozarts Melodien zutiefst verdächtig ist. Er will schreitet entschlossen zur Verhaftung des Werkes. Pamina, Tamino, Papagena und Papageno und Sarastro vor allem sollen gestehen, daß hinter ihrem Moral- und und Tugendgesinge ja doch nur ein paar Doktorspielchen stecken. Die, und nur die will uns Martin zeigen, sein Enthüllungsdrang ist so stark, daß er einen veritablen Strip in das ohnehin weitgehend unplausible Libretto hineinerfand. Kein Mensch kann unter solchen Umständen eine vernünftige Note singen, das geschieht auch nicht, selbst die Bandeinspielungen werden gestört, und auf der Bühne sind alle außer Atem, als seien sie erwischt worden mit der Hand zwischen den Beinen — wo sie doch nicht hingehört, pfui.

Manchmal entstehen komische Szenchen trotz dieses Aufklärungsernstes, der keiner Bühnenfigur einen Charakter gestattet. Alle und alles ist als Triebrequisit austauschbar geworden, gerade darin aber ist echte schauspielerische Lust spürbar, die den guten Ruf des Jubiläumsensembles erklärt. Es hat ihn tapfer aufs Spiel gesetzt, hat sich verführen lassen zu einem insgesamt vierstündign Marathon ausbleibender Pointen. Denn das Gelage, mit dem alles beginnt, will einfach nicht aufhören, genau das scheint sein zeitdiagnostisches Geheimnis zu sein. Natürlich hat Mozart an diesem Tisch keinen Platz, niemand mag sich zu einer komponierten Szene aufraffen, ein paar mißgelaunt zitierte Arienanfänge müssen genügen, weitere Regieanweisungen des Librettos werden schlicht vorgelesen — ein bewährter Ausweg aus Engpäßen der inszenatorischen Phantasie. So gerät denn das bedeutungsvoll ins Mikrophon geflüsterte Wort »Pause« zum dramatischen Höhepunkt — dem ersten nach zwei Stunden. Den nächsten hat sich der Rezensent erspart. Niklaus Hablützel

noch heute, 20 Uhr, Stresemannstraße 29

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