: „Die Männer verteidigen unser Dorf“
■ Auch in Serbien gibt es Flüchtlingslager: Auf einem ehemaligen Erholungsgelände der jugoslawischen Geheimpolizei bei Belgrad sind Vertriebene aus Kroatien untergebracht
Kaum 50 Kilometer von Belgrad entfernt liegt die Siedlung, im Wald versteckt, abgeschirmt von den Blicken der Dorfbewohner, die in nur knapper Entfernung die Felder bestellen. Auf einer Terrasse inmitten einer Reihe von Bungalows ist ein Café eingerichtet worden. Über 150 Flüchtlinge wohnen hier im Flüchtlingslager „Kosmaj“, auf dem ehemaligen Erholungsgelände der jugoslawischen Geheimpolizei. „Die Bungalows waren ziemlich heruntergekommen“, erzählt der junge Mann, der sich als Verantwortlicher für das Lager vorstellt. „Seit fünf Jahren standen sie leer. Wir haben sie eigenhändig wieder in Ordnung gebracht.“ Und, schmunzelnd: „Fünf Schlangen haben wir insgesamt töten müssen.“
Plötzlich sind wir von einer Kinderschar umringt. „Die sind alle aus dem gleichen Dorf in Bosnien gekommen, dort wo die Bosna und die Sava zusammenfließen: aus Bosanski Samac.“ Er selbst komme auch aus dem Dorf, habe aber zuletzt in Belgrad gelebt. Als er hörte, daß seine früheren Nachbarn evakuiert worden seien, habe er sich freiwillig für ihre Betreuung gemeldet.
„Und dann kam plötzlich der Krieg über uns...“
Auf der Terrasse finden sich auch einige Frauen ein, wollen ihre Erlebnisse mitteilen. „Plötzlich gab es einen lauten Knall auf unserem Dach. Da bin ich gleich rausgerannt. Unser Haus brannte, wir konnten nichts mehr machen.“ Die ältere Frau, die diese Geschichte erzählt, trägt die Pluderhosen der Muslimaninnen. „Wir waren ein gemischtes Dorf, Kroaten, Muslimanen und Serben haben immer friedlich zusammengelebt. Und dann kam plötzlich der Krieg über uns.“ Kroatische Artillerie hätte in den Tagen darauf das Dorf unaufhörlich beschossen, die Bevölkerung mürbe gemacht.
Mitte Mai dann seien sie alle, auch die Kroatinnen und Muslimaninnen, von sechs Bussen der jugoslawischen Bundesarmee abgeholt und evakuiert worden. Auch einige Männer seien zunächst mit hierher gefahren. „Sie sind längst wieder zurück, verteidigen unser Dorf“, sagt sie. Vier ihrer Kinder sind hier, die beiden ältesten Söhne sind zurück und kämpfen in den serbischen Territorialeinheiten.
Eine junge Frau, ihr Baby fest umklammert, erzählt: „Wir haben keinerlei Nachrichten aus der Heimat, ich weiß nicht, ob mein Mann nicht schon tot ist.“ Sie sei Serbin und zunächst einmal froh, hier zu sein. Den Krieg verstehe sie nicht. Ihre Nachbarin sei Kroatin, auch sie sei mit hierhergekommen. „Wie es heißt, kämpft ihr Mann auf der anderen Seite.“ Die Angesprochene zuckt mit den Achseln. Auch sie weiß nicht, wo ihr Mann sich befindet. „Ich bin aber froh, daß alle Frauen und Kinder aus unserem Dorf hierherkommen konnten.“
„Wir nehmen alle Flüchtlinge auf“, mischt sich der junge Mann ins Gespräch, „egal ob Serben, Kroaten oder Muslimanen.“ Dennoch ist die Atmosphäre zwischen den Frauen auf einmal angespannt. „Als die kroatischen Verbände kamen — es waren HOS-Truppen (rechtsradikale Einheiten der Partei des Rechts, d. Red.) —, haben sie ein Nachbardorf umzingelt. Dort waren dann 4.000 Leute eingeschlossen, auch mein Mann.“ Die ältere Muslimanin bricht in Tränen aus. „Jede Nacht holten sie aus Odzak bei Bosanski Posavina einige Männer raus und erschossen sie. Ich weiß nicht, ob er noch lebt.“
Die Kinder sind inzwischen ruhig geworden, die Hände der älteren Frau verkrampfen sich. „Warum nur dieser Krieg, wir haben doch vorher so gut zusammengelebt.“ Sie könne sich gut vorstellen, auch weiterhin, wie früher, mit den Nachbarn in Frieden zusammenzuleben. Die anderen Frauen nicken. Aber: „Was ist nur mit den Männern passiert, die jetzt auf der jeweils anderen Seite kämpfen?“ Achselzucken.
Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, nimmt ab
In der Gemeinschaftsküche werden erste Vorbereitungen für das Abendessen getroffen. Die Lebensmittel stammen aus Spenden der Bevölkerung des Dorfes und aus Beständen des Roten Kreuzes. „Über 313.000 Flüchtlinge aus Kroatien hatten sich bis Anfang Juni bei den serbischen Behörden gemeldet, täglich waren es an die 4.000, jeden Tag werden es mehr“, erklärt der Leiter. Doch über 150.000, so die Schätzung, seien bei Verwandten untergekommen, ohne sich zu melden. Viele dieser Flüchtlinge seien privat untergebracht. Da aber jetzt das Leben schwerer geworden sei, habe die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, abgenommen.
Auf die Frage, was denn an den Berichten dran sei, daß Flüchtlinge in den von Kroaten verlassenen Häusern untergebracht würden, wie dies in Ilok in Slawonien geschehen sei, antwortet er: „Damit hat das Rote Kreuz nichts zu tun.“ Verantwortlich dafür sei die staatliche Organisation „Matica“, die auch Flüchtlinge nach Kosovo geschickt habe. Die meisten aber kämen zum Roten Kreuz, wenn sie sich vorher bei „Matica“ gemeldet hätten. Die, so murmelt er, wollten mit dieser „Kampagne“ nichts zu tun haben. Und meint damit den Aufruf des rechtsradikalen Führers Seselj, serbische Flüchtlinge sollten von Kroaten verlassene Häuser besetzen und den verbliebenen Kroaten nahelegen, doch endgültig nach Kroatien abzuhauen. Erich Rathfelder, Belgrad
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen