Urdrü's wahre Kolumne: Erich an der Domsheide gesehen!
■ Blumengießen einstellen! In die Junge Unionn eintreten!
Im hinteren Wagen der Straßenbahnline 1 traf ich heute den Herrn Honecker. Im hellblauen Freizeit-Dress (Schnittmuster Kleiner Bieranzug), mit dem berühmten hellen Sommerhut und zur Tarnung das Goldene Sportabzeichen statt des derzeit nicht so fashionablen SED-Bonbons. Noch ehe ich ihn auf seinen vorabendlichen Fernsehauftritt in Berlin ansprechen konnte, stieg er aus, an der Domsheide. Ein Doppelgänger? Oder etwa der wahre Erich auf dem Weg zum Bankschließfach? In der Realität, wir wissen es, sieht die Wirklichkeit immer ganz anders aus.
Derweil wird Ost-Franzi auf dem Silbermedaillen- Ticket zur reichsten Pippi Langstrumpf, die es je gab. Goldhase Daggi aber pöbelt die verdienten West-Bonzen an und darf froh sein, wenn ihr der Schwimmverband noch die Freikarte für's Hallenbad beläßt. Honecker aber (wenn er es denn ist), sitzt im Knast zu Moabit ein wie früher Fritz Teufel, Max Höltz und andere Kombattanten der Spaß-Guerilla: Unglaublich, was das Schicksal sich alles einfallen läßt, um die kariösen Sommerlöcher der Journalisten zu füllen.
Bremische BesucherInnen der Documenta in Kassel gründeten soeben ein Unterstützungskomitee für die dort von dem bedeutsamen Herrn Ernst Kahl initierte Aktion „Pflanzen fasten für den Regenwald“. Wer immer auf Parzelle, Balkon oder Fenstersims eine Topfblume hat, kann noch mitmachen: Gießen einstellen, abwarten, solidarisch sein. Das sehr bald überfällige Tongefäß taugt dann immer noch als schlagendes Argument.
Am 19.August um 11 Uhr wollen schwule und lesbische Paare allüberall auf den Standesämtern einen „Antrag auf Erlaß des Aufgebots und auf Festsetzung des Trauungstermins“ stellen. Ein Info-Paket mit vorgefertigten Muster-Schriftsätzen für die zu erwartenden Querelen ist beim SVD i.Haus der Demokratie erhältlich, Bernhard Göring-Str.152, O7O3O Leipzig. Sollten sich LeserInnen dieser Zeilen auch durch schlechte Beispiele aus ihrem Hetero-Umfeld nicht von der Eheschließung abhalten lassen, stelle ich mich schon heute zum Blumenstreuen zur Verfügung. Also überlegt euch's gut!
Im Sommerschlußverkauf. Mißmutig trottet eine ältere Dame mit ihrer mutmaßlichen Enkeltochter im besten Zahnspangen-Alter durch ein City-Kaufhaus: „Sechs Hosen, vier T-Shirts und die Socken. Jetz is ersma Schluß.“ Fängt das Blag zu heulen an: „Und was wird aus dem Game-Boy?“ Oma energisch: „Diese Woche gibt es keine Bravo!“ Wie leicht doch das Verstehen zwischen den Generationen an den unterschiedlichen Sprach-Codices scheitert...
Selbst in wüstester Saure-Gurken-Zeit scheint sich niemand für die Publikation dieser zauberhaften Passage aus einer Erklärung der Jungen Union zum Bremer „Komitee für Gerechtigkeit“ erwärmen zu können: „...ein Hort für Unzufriedene, ewig Gestrige, die immer noch an den Sieg des Kommunismus glauben, und für Aussenseiter, die sich sonst nirgendwo in der Gesellschaft einbringen können. Die Junge Union vertritt die Auffassung, daß das Bremer Komitee für Gerechtigkeit schnell wieder aufgelöst wird, da es den Bremern mit breiter Mehrheit gut geht, und jeder die Möglichkeiten hat, sich und seine Vorstellungen einzubringen.“ Bei der Jungen Union? Versuchen kost wohl nix!
Apropos einbringen...Bei Bier und Branntewein erklärte ich kürzlich auf einem zum Anmeldeformular erhobenen Skatblock meinen Beitritt zum Trägerverein des Ernst Waldau-Theaters. Ehrenwörtlich und weitgehend nüchtern versicherte mir Chefdramaturg Rolf B. Wessels, daß nunmehr der Vorstand das neue Vereinsmitglied herzlich begrüßen werde — bis heute folgenlos! Hiermit erneuere ich meinen Aufnahmeantrag und bewerbe mich zugleich um irgendeinen beliebigen Vorstandsposten. Wird ja immer mal was frei...
Heißer Tip zur Bremer Frauenwoche. Es sind noch Plätze frei im Bildungsurlaub „Mit Farben und Formen Feste feiern — Kreatives Arbeiten mit Ton für Frauen mit Eßproblemen“. Das irdene Töpflein aus eigener Hand, gefüllt mit gequollenem Reis — es heißt uns hoffen. Ulrich Reineking-Drügemöller
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