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Ankunft eines lange Erwarteten

■ Am Mittwoch abend drängelten sich vor der Haftanstalt Moabit Schaulustige und Fernsehteams aus aller Welt/ Sehen konnte man nichts, dafür aber debattieren

»Vielleicht ist Honni gerade auf der anderen Seite zu Fuß in den Knast spaziert«, quengelte einer. Für eine Finte hielt er das Sperrgitter, an dem noch ein paar Polizisten bastelten. Aber viel anbrennen konnte da nicht: Ü-Wagen von Funk und Fernsehen umstellten am Mittwoch abend die Justizvollzugsanstalt Moabit. Journalisten und Fotoreporter schoben vor den Eingängen Schaulustige hin und her, auch dort, wo Erich Honecker nur per pedes hätte in Haft gehen können.

Jetzt kommen sie — sind das die Beatles und John Lennon als Jesus? Fällt hier gleich ein Teenager in Ohnmacht? Kurz vor 21 Uhr pfeifen die Wartenden aus dem letzten Loch. Die Polizeikolonne inklusive Honnis Limousine nimmt auf der Rathenower Straße Anlauf für den Sprung in das Gefängnis. Aber niemand wirft sich vor den Wagen — nur der Schwanz der Kolonne wird von den Menschen abgeklemmt. Jetzt ist Honni drin, und wer weiß, ob er jemals wieder rauskommt! Polizeifahrzeuge haben den meisten den Blick auf Honni versperrt. Andere behaupten steif und fest, sie hätten ihn gesehen. Ein Passant mischt sich ein: »Klar, wenn ich hier die ganze Zeit rumgestanden hätte, würde ich auch daran glauben wollen.« Die Fotografen zumindest haben auf gut Glück draufgehalten.

Christian, der aktivste Demonstrant Berlins und regelmäßiger taz-Besucher, hält ein Holzschild hoch: »Freiheit für Erich Honecker«. Das wird bei manchen nicht gerade mit Begeisterung aufgenommen. Ein Ehepaar geht dem armen Kerl fast an die Wäsche. Aber nicht alle reagieren auf derlei Einwürfe so fanatisch. Eine Unverschämtheit sei es, einen Neunundsiebzigjährigen einsperren zu wollen, findet einer.

Währenddessen bilden sich regelrechte Diskussionszirkel, und die Themen reichen weit. Da waren sie eben noch bei den 17 Millionen, die Honni besitzen soll — »Der lebt doch nicht von 600 DM Rente« —, nun sind sie auf einmal bei Flick und von Brauchitsch, und daß sie selbst mit einer Vorstrafe nicht einmal Straßenfeger werden könnten. Anerkennend nicken die Zuhörer, aber abendfüllend ist das nicht.

Interessanter ist da schon, was sich vor einem Ü-Wagen der Telekom worldwide via Satellit abspielt. Erst hält der Korrespondent eines Privatsenders alles auf, dann gehen zwischendurch die Scheinwerfer aus. Es ist ein harter Job beim Fernsehen, aber immerhin ist da ein alter Hase: Gleißendes Scheinwerferlicht, eine Menschentraube um ihn herum, die Aufnahmeleitung raunzt die Leute an, und nur eine Schweißperle hat er im Nacken. Schließlich sagt er was, und niemand versteht ein Wort.

Ein Fahrradfahrer kommt vorbei und erkundigt sich, was hier los ist, dann meint er lapidar: »Erst wurde Honni auf dem roten Teppich von Helmut Kohl empfangen, und jetzt darf er in den Knast.« Ralf Knüfer

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