: Safa — zur Erntezeit in einem fremden Land
Eine bosnische Bäuerin fand mit ihrer Familie Aufnahme auf einem Aussiedlerhof in Hessen: „Ich glaube, wir können nie wieder zurück!“/ Regierungspräsidium warnt Hilfsbereite vor Dauerbelastung/ Viele Hilfsangebote sind unseriös ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Safa D. blickt weit über das Land, über die Maisfelder zu dem weißen Bauernhaus in Nordhessen, das seit zwei Tagen ihre neue Bleibe ist. Die alte Bäuerin ist mit ihrer Familie aus einem Dorf im Nordosten Sarajevos geflohen und hat Aufnahme in der Gesindewohnung über der Scheune des Einliegerhofes gefunden. Hier arbeitete ein Onkel als Knecht, ehe er vor zehn Jahren wieder nach Bosnien zurückkehrte und dem Familienvermögen mit dem verdienten Geld ein weiteres Stück Land und ein schmuckes Haus zufügte. Die D.s waren reich, bestellten ihren Acker, brannten — Moslems nur der Deklaration nach — einen süffigen, öligen Pflaumenschnaps, der als Geschenk auch immer wieder seinen Weg nach Nordhessen fand.
Safa ist 72 Jahre alt. Die energische, hagere Frau mit den kräftigen Händen und den flinken, braunen Augen war das Zentrum der Familie, fast eine Patriarchin. Jetzt wirkt sie im Gespräch manchmal abwesend, weit weg mit den Gedanken. Sie ist die erste, die anfängt, zu begreifen, was geschehen ist. Die beiden Schwiegertöchter, der Sohn und der Onkel, die mit ihr fliehen konnten, sagen noch immer: „Nicht für lange! Wir gehen bald zurück, bauen alles wieder auf.“ Der Gastgeber, selbst schon alt, versteht sich gut mit Safa. Er übernahm seinen Hof in den 50er Jahren als Vertriebener aus Schlesien. Safa läßt ihm übersetzen, was ihre Schwiegertöchter zum Weinen bringt und wütenden Protest des Sohnes auslöst: „Ich glaube, wir können nie wieder zurück!“ Schon morgen will sie anfangen, im Stall und auf den Feldern zu helfen. Nur nicht stillsitzen, nur nicht müßig sein, sagt sie, denn „dann kommen wir nur ins Grübeln.“
Daß sie zu alt sei für die Arbeit und dafür, sich ihr Brot selber zu verdienen, nehmen der hessische Bauer und die slowenische Großmutter als formale Höflichkeiten, nach deren Austausch endlich ans Tagwerk gegangen werden kann. Dabei verwahrt sich der Bauer allerdings mehrmals dagegen, daß er die Flüchtlinge nur aufgenommen habe um während der Erntezeit billige Arbeitskräfte zu haben. Vielleicht gehen seine Gedanken auch in eine ganz andere Richtung, als er, ganz nebenbei, sagt: „Hier ist ja Platz genug. Meine Kinder sind fort und wollen den Hof nicht haben.“
Unseriöse Hilfsangebote
Gerhard Müller, Pressesprecher im Regierungspräsidium in Darmstadt, erklärt, einerseits sei seine Behörde nach der Aufnahme der ersten der über 400 Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina in Hessen mit „einer spontanen Welle der Hilfsbereitschaft geradezu überschwemmt“ worden, andererseits sei ein gutes Drittel der Hilfsangebote „schon auf den ersten Blick erkennbar unseriös.“ Etliche der Unterkünfte entpuppten sich mehr oder minder unverhüllt als Schlafplatzangebote für billige und willige Haushalts- und Putzhilfen. Besonders ärgerlich findet Müller jene Anfrager, die ausdrücklich „nur Kinder“ aufnehmen wollen. Erstens gäbe es aus Bosnien keine alleinreisenden Kinder: „Die kommen alle mit ihren Eltern oder Verwandten.“ Und zweitens sei das Adoptionsrecht für kinderlose Ehepaare in Deutschland nicht umsonst so streng. Es könne nicht einfach „auf diese unlautere Weise“ umgangen werden. Er gäbe die Angebote an die zuständigen Kreise und Kommunen weiter, deren Mitarbeiter dann „vor Ort“ mit den Aufnahmewilligen reden und sie auch warnen sollen. Müller: „Die Gastgeber werden sich auf längere Zeit einrichten müssen. Man kann die Menschen nicht nach vier Wochen wieder vor die Tür setzen.“
Daß Hilfsbereitschaft sich, zumal in räumlicher Enge, schnell erschöpft, fürchtet auch Barbara Bussfeld im Sozialministerium. Sie rechnet deshalb auch demnächst mit einem Ansturm der rund 6.000 Flüchtlinge, die sie unregistriert in Hessen vermutet. Die hätten bis jetzt von ihren Ersparnissen gelebt oder bei Verwandten Unterkunft gefunden: „Die kommen, wenn das Geld aufgebraucht ist.“
Haussegen hängt schief
Monika G. bestätigt diese Prognosen. Ihr bosnischer Ehemann ließ seinen jüngeren Bruder schon vor einigen Monaten nach Hanau, dann die Schwester mit einem kleinen Kind. „Allmählich“, sagt Frau G., „hängt bei uns der Haussegen schief!“ Es wird in der Dreizimmerwohnung „zu eng auf die Dauer“. Den ersten großen Krach gab es vor einer Woche, als der junge Mann eines Abends auch noch Freunde mit nach Hause brachte. Die Brüder schrien sich an, die Schwester weinte. Verdrängte Ängste um den Rest der Familie und vor der Zukunft brachen sich explosiv Bahn. Zimmersuche und die Anmeldung in einem Deutschkurs sollen die Situation jetzt entschärfen helfen. Monika G. fürchtet sich, wenn es klingelt: „Dann stehen womöglich auch noch die Eltern vor der Tür. Und ich könnte sie nicht mal wegschicken.“
Glück im Unglück hatten Rasema und Mirsad T. Sie haben beide zehn Jahre lang bei Opel in Rüsselsheim „geschafft“, daheim in Bosnien erst ihr eigenes Haus gebaut und dann noch, mit viel Eigenarbeit, zwei kleine Ferienhäuser in den großen Garten gesetzt. Das Geld dafür bekamen sie von ihren deutschen Arbeitskollegen, die sich so eine preiswerte eigene Bleibe für die Sommerferien leisten konnten. Alle waren es zufrieden. Das ist, ahnt Kumpel Karl, der mit Mirsad zusammen am Fließband stand, „für uns nun wohl auch alles futsch.“ Sehr teuer seien die „Hütten“ ja nicht gewesen, aber stolz war er doch auf sein kleines Ferienhaus, von dem jetzt nur noch einige Dutzend Urlaubsfotos existieren. Karl hat Mirsad und seine Frau, „eine Hand wäscht die andere“, im Dachgeschoß seines Reihenhauses untergebracht: „Da können sie meinetwegen auch länger bleiben. Und am Fließband wird auch immer wieder mal ein Job frei.“
Auch Ivica und Dzemal sind gut untergekommen. Dzemal hat sofort Arbeit in einer medizinischen Fabrik in Süddeutschland gefunden. Er weiß aber, daß das nur daran liegt, daß er sehr gut deutsch spricht. Seine Frau hat er deshalb sofort bei der Volkshochschule angemeldet. Sein Arbeitgeber half ihm bei der Wohnungssuche und vermittelte Ivica erst einmal eine Stelle als Küchenhilfe. Auch Dzemal vermutet, daß er nicht so schnell zurückkehren kann: „Wohin denn?“ Selbst wenn es irgendwann einmal eine moslemische Enklave um Sarajevo geben werde, dann sei die doch immer wieder von außen bedroht: „Da kann doch kein Mensch mehr in Frieden leben.“ Außerdem denke er nicht daran, sich als „Moslem“ herumschubsen zu lassen. Daß er einer sei, habe er erst jetzt richtig gemerkt: „Wir waren das halt immer nur auf dem Papier.“ Den Kroaten, die die wehrpflichtigen bosnischen Männer nicht ausreisen lassen und in den Krieg schicken, traut er längst nicht mehr: „Die sind doch ganz froh, wenn wir totgeschossen werden und sie sich das Land mit den Serben teilen können.“ Die Aufnahme der ersten Kontingentflüchtlinge hält er für Augenwischerei: „Da wird ein ganzes Volk systematisch vertrieben, und die in Bonn zahlen den Kroaten Millionen Mark, damit sie uns bei Bedarf wieder in die Feuerlinie schicken können!“ Seine Eltern leben in einem Flüchtlingslager bei Zagreb: „Die alten Leute haben noch nicht begriffen, daß sie nicht wieder nach Hause können.“
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Wenn Sie bereit sind, einen oder mehrere Flüchtlinge zu beherbergen, wenden Sie sich an folgende Adressen. Sie werden Ihre Angebote an die zuständigen Behörden weiterleiten.
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