: Streit um Studiengebühren an mexikanischen Universitäten
■ Bildungsdilemma in Mexiko
Bildungsdilemma in Mexiko
Mexiko-Stadt (taz) — „Die Bildung, die der Staat gewährt, ist kostenlos“, heißt es in Artikel3, Abs.7 der mexikanischen Verfassung. Das soll sich jedoch ändern, hat der Präsident der größten lateinamerikanischen Universität UNAM, José Sarukhán Kermez, beschlossen. Die seit 1948 bestehenden Studiengebühren von 250 mexikanischen Pesos, etwa zwölf Pfennig, sollen drastisch erhöht werden. Deckten diese symbolischen Einnahmen nicht einmal die Kosten des Papiers, auf dem die Bescheinigungen gedruckt wurden, sollen die Gebühren jetzt für die Sanierung der maroden Universitätsfinanzen herhalten. Mit einem komplizierten Quoten- und Stipendiensystem will der ehrgeizige Sarukhán das Budget der Hochschule um knapp zehn Prozent anheben. „Keinem, der studieren will, sollen die Tore der Universität verschlossen bleiben“, beschwichtigt Sarukán und legt dem Universitätskonzil sein Papier zur Abstimmung vor: Die Abiturienten, die in den Gymnasien, CCHs, der UNAM angeschlossen sind, sollen künftig 80.000 Pesos, also etwa 50DM monatlich für ihre Ausbildung zahlen.
Hochschulabsolventen einer technischen Laufbahn werden mit 120.000 Pesos, etwa 80DM im Monat zur Kasse gebeten. Magister und Diplomkandidaten werden voraussichtlich 200.000, also etwa 130DM zahlen.
Die Finanzierung soll durch ein Stipendiensystem abgestützt werden. Studenten bzw. deren Eltern, die umgerechnet 600DM pro Monat oder weniger verdienen, sollen kostenlos studieren können. Zwischen einem Monatsgehalt von 600 und 2.000DM wird prozentual gestaffelt. Wer mehr als 2.000DM monatlich verdient, was nur zehn Prozent der gesamten Studentenschaft betrifft, muß die volle Summe zahlen.
Die Tatsache, daß die 1,2 Milliarden DM, die 1992 vom Staat für die Universität zur Verfügung gestellt wurden, nicht ausreichen, um eine niveauvolle Lehre zu finanzieren, ist unumstritten. Die chronisch unterbezahlten Hochschullehrer müssen sich mit einem Zehntel der Gehälter zufriedengeben, die private Universitäten, wie etwa die Iberoamericana, zahlen (sechs bis acht Pesos die Stunde). Das führt zu einer Abwanderung der Fachkräfte, wie eine Dozentin der Philologie bemerkte: „Ich habe neben der Uni noch drei weitere Jobs. Manchmal komme ich keuchend in die Veranstaltung gelaufen und kann meine Stunden nicht vorbereiten. Darunter leidet natürlich das Niveau.“
Der Vorschlag der Quotenfinanzierung, an dem schon Sarukháns Vorgänger Jorge Carpizo 1986 gescheitert ist, stößt auf breiten Widerstand. Befürworter und Kritiker diskutieren über die Auslegung der Paragraphen. Bezieht sich Art.3, Abs.7 nur auf die Schulbildung, oder ist die Hochschulbildung ebenfalls angesprochen? Meinten die Gründungsväter und Männer nach der Revolution nicht die Massen, als sie von Bildung sprachen?
Sophisten dozieren, daß es sich bei den zwölf Pfennig Beitrag bereits um eine Verletzung der Verfassung handelte, die man nun konsequenterweise fortführen könne, nur aktualisieren müsse.
„Studiengebühren sind verfassungswidrig“, sagt Cuauthémoc Cardenas Solórzano, PRD-Oppositionsführer. Er beschuldigt die Regierung, nicht genug für das mexikanische Bildungswesen auszugeben. „Die UNO“, so Cardenas, „empfiehlt acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung auszugeben. Mexiko ist die Bildung jedoch nur 2,5Prozent wert. Darin sieht man doch, welche Prioritäten die Politik Salinas de Gortaris hat.“
Mit dieser Haltung liegt der Oppositionsführer auf der Linie von 40.000 Studenten, die in den letzten Wochen Verwaltungsgebäude blockierten und Großdemonstrationen organisierten und sich auf einen langen, zähen Kampf vorbereiteten.
Um so erstaunlicher ist für alle Beteiligten deshalb der Rückzug von Sarukháns. Noch zwei Wochen vorher hatte er in einem Rundbrief an die Eltern der Studierenden mit der Bitte um Verständnis für sein Projekt geworben. Zur Erklärung gab Sarukhán jetzt kleinlaut bei. Er habe sich nur an die Empfehlung des Konzils gehalten, seinen Plan zu verschieben, bis die Bedingungen für eine Zustimmung günstiger wären. Eigentlich handele es sich bei der Quotenregelung um eine rein verwaltungstechnische Angelegenheit. Leider habe das Ganze eine politische Richtung eingeschlagen.
Ob Sarukháns Rückzug mit den Massenprotesten der Studenten zusammenhängt oder mit einer politischen Entscheidung auf höchster Ebene, die die Wahlniederlage der staatstragenden PRI in Michoacan und Chihuahua fürchtet, weiß keiner. „Sarukhán dachte, er hätte die Kraft, seinen Vorschlag durchzusetzen“, sagt Hugo Gatell von der Studentenvertretung. „Aber wir haben ihm bewiesen, daß sein Entschluß falsch war. Die Gefahr ist jedoch noch nicht gebannt. Wenn ein neuer Direktor Sarukhán ablöst, geht das ganze wahrscheinlich wieder von vorne los.“ Ute Sturmhoebel
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