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Gelbe Rosen vor Beton und Nato-Draht

Ein ehemaliger Gefangener des Hochsicherheitstraktes in Stuttgart will die sterile Untersuchungshaftanstalt mit Rosenstauden bekämpfen/ Mit Schaufel und Pickel zog er jetzt vor die meterhohe Mauer/ Fassungslose Gefängniswärter  ■ Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) — „Ein tadelloses Gefängnis, sauber und ordentlich wie kaum ein anderes!“ Kurt Rebmann, Generalbundesanwalt im Ruhestand, läßt sich trotz aller Kritik an Deutschlands bekanntestem Hochsicherheitstrakt nicht irre machen. Der Mann, der lange Jahre als Chefankläger des Staates RAF-Terroristen anklagte, kennt die Knäste dieser Welt. In Alcatraz und San Quentin etwa genießt Kurt Rebmann den Ruf eines Direktors ehrenhalber. Stuttgart- Stammheim, die Untersuchungshaftanstalt auf der Mülldeponie am Ende der Aspergerstraße, ist sein „Kind“.

Ein garstiges, wie viele meinen. Und nicht nur hinter der Gefängnismauer. Vor den Mauern des Gefängnisses leben die meisten Vollzugsbediensteten in einer tristen Siedlung. In Stuttgart-Stammheim konnten die Republikaner bei den vergangenen Landtagswahlen Anfang April dieses Jahres einen ihrer größten Stimmenerfolge erzielen. „Eine rechtsradikale Clique“, urteilt der ehemalige Gefangene Reinhardt Stefan Tomek über die Schließer, Kalfaktoren und Wärter.

Der Gärtner kommt täglich mit der Gießkanne

Unter den rund eintausend Häftlingen hätten die Knast-Bediensteten „durch Provokation und Aggression eine Stimmung aus Gewalt und Angst erzeugt“. Seit Tomek, der ehemalige Millionär und Lebenskünstler, Ende Januar dieses Jahres wegen Betrugsverdachts von der Straße weg verhaftet wurde, kennt er Stammheim in- und auswendig. Doch mit Gewalt, glaubt er, wie die RAF sie ausübte, könne man am grausamen Alltag hinter Gittern nichts ändern.

Wirkungsvoller sei allemal der „positive Synergieeffekt“. Den hat der 46jährige Buchautor, der einst als Chef des Hotel d'Europe in Badgastein und gehätschelter Jungmanager unter Österreichs Top-Gastronomen Furore machte, jetzt als selbsternannter Künstler der „Integrated- Art“ mit einem ersten spektakulären Coup gelandet: Ganz im Sinne des bulgarischen Verpackungskünstlers Christo oder seines österreichischen Vorbilds, Friedensreich Hundertwasser, so Tomeks Plan, soll Deutschlands berüchtigster Hochsicherheitsknast Stuttgart-Stammheim in den kommenden Jahren hinter wildwuchernden Rosenhecken verschwunden sein.

Der erste gelbe Rosenstrauch sprießt auch schon aus dem Beton am Nato-Draht bewehrten Zaun des Sicherheitsbereichs. Wo seit dem großen Terroristenprozß gegen Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe vor 17 Jahren jedem Bürger selbst kurzfristiger Aufenthalt streng untersagt blieb, war Reinhardt Stefan Tomek nebst Freundin und zweijährigem Söhnchen Daniel zum Jahrestag der französischen Revolution ausgezogen, um unter den Augen eines fassungslosen Polizeibeamten mit Spitzhacke und Schaufel ein ordentliches Loch durch den Beton bis in den Lößboden des Langes Felds zu treiben.

„Das innere und äußere Stammheim in der deutschen und europäischen Gesellschaft und der häßliche Betonklotz“, erläutert Tomek seine künstlerische Intention, „müssen endlich überwunden werden.“ Hindern konnte ihn daran auch der herbeigeeilte Polizeibeamte nicht: Stefan Tomek handelt im Einverständnis mit dem baden-württembergischen Justizministerium in Stuttgart. Der Minister, so sein Pressesprecher, wisse zwar noch nichts von der Aktion, aber zu Zeiten einer großen Koalition im Land sei das doch ganz „nach Art des Märchens vom Dornröschen, das der Prinz befreit“. Der Stammheimer Anstaltsgärtner, ein Freigänger, kommt täglich mit einer Gießkanne vorbei, um dem botanischen Kunstwerk des Integrationskünstlers zu üppigem Wachstum zu verhelfen.

Daß der Mann die Rose nicht im Stich läßt, da ist sich Tomek ziemlich sicher: Knast-Connection. Noch bis vor wenigen Wochen hatte der einstige Erfolgsmanager den trostlosen Knastalltag mit tausend anderen Stammheimer Untersuchungshäftlingen geteilt — Zelle an Zelle mit dem ehemaligen SEL-Vorstandsvorsitzenden Helmut Lohr etwa und den RAF-Aussteigern Ralf Friedrich und Peter Jürgen Boock, zwischen Hunderten kleiner Dealer und Drogensüchtigen auf Entzug.

Stammheim: Ein Symbol für das Böse schlechthin

Tomek, der Kommunikator, in dessen Badgasteiner Luxussuiten sich noch vor wenigen Jahren die internationale High Society tummelte, und der auf der Höhe seiner gastronomischen Karriere Showgrößen wie Frank Sinatra oder Liza Minelli zum Galadiner lud, hat in den viereinhalb Monaten Untersuchungshaft Stammheimer Repression hautnah erfahren.

Sein Fazit: Dieser Knast ist „ein Symbol für Gewalt, Mißbrauch der Natur, Menschenverachtung, also das Böse schlechthin“ und müsse „in ein Zentrum der Sozial- und Drogentherapie, ein Museum der Menschlichkeit, ein Notquartier, eine Jugendherberge und Kunstwerkstätte umgewandelt“, abgerissen oder wenigstens mit Rosenranken überwuchert werden.

Das trifft sich gut. Stammheims Bunker für Terroristenprozesse immerhin war schließlich schon bei seiner Erbauung als „Mehrzweckgebäude“ geplant und ausgestattet worden.

Hier wurden und werden RAF- Gefangene nicht nur steril verwahrt, sondern auch noch abgeurteilt: Ein Gerichtsgebäude liegt gleich neben dem Hochsicherheitstrakt. Tomek, der bereits allerlei Pläne zur humanen Umwidmung im Kopf trägt, will sich demnächst auch mit dem Generalbundesanwalt i.R., Kurt Rebmann, ins Benehmen setzen. Bis dahin aber bittet er Unternehmerfreunde und Größen des Showbusiness um Unterstützung beim Graben von tausend Löchern in den Stammheimer Beton für weitere tausend Rosen. Die Stammheimer Gefangenen, meint er, könnten doch der „Integration“ wegen schon mal im Innern der Mauern damit beginnen.

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