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In Istrien scheint der Krieg weit entfernt zu sein

■ Noch leben an der nördlichen Adriaküste Kroaten, Serben und Italiener zusammen/ Die Regionalisten fordern föderative Strukturen für Kroatien/ Bei den Wahlen rechnen sie sich gute Chancen aus/ Die Wahlsieger von 1990, die Wendekommunisten, werden ihren Stimmenanteil nicht halten können

Rovinj ist ein verträumter Ort geworden. Die Wasser der Adria leuchten hier an der Küste so azurblau wie es die Prospekte der Touristikindustrie verheißen. Einige Fischerboote dümpeln im Hafenbecken. In den spärlich besetzten Cafés, die die Strandpromenade säumen, wird an türkischem Kaffee und Traubenschnaps genippt. Auch in der mittelalterlichen und durch venezianischen Stil geprägten Altstadt gehen die Menschen nur träge ihren Beschäftigungen nach. In Rovinj, dem früher quirligen Touristenort an der kroatischen Adria, scheint der Krieg weit, weit weg zu sein.

„Vor dem Krieg hatten wir durchschnittlich täglich 30.000 Gäste bei 10.000 Einwohnern, die Stadt platzte aus allen Nähten“, erklärt freundlich die Angestellte im Informationsbüro. „Heute sind es nicht mehr als 3.000, immerhin sind einige Italiener, Österreicher und Deutsche wieder gekommen“. Und denen wird auch einiges geboten. In den Fischrestaurants sind Scampi und andere Fischspezialitäten angesichts des günstigen Wechselkurses für Touristen zu Spottpreisen zu haben. „Wir müssen doch das Geld verdienen, um die Flüchtlinge durchzufüttern.“

Von denen ist im Ort wenig zu spüren, denn sie sind in den großen Bettenburgen untergebracht, die, einige Kilometer entfernt, den Blick aufs Meer verstellen. Lediglich die Jugendlichen in Uniform, die sich abends auf der Strandpromenade bewundern lassen, erinnern an die Grausamkeiten, die kaum 200 Kilometer von hier entfernt zum Alltag gehören. In Rovinj selbst wurde nie geschossen. Hier gewannen die kroatischen Kommunisten bei den letzten Wahlen 1990 noch die meisten Stimmen. Und es ist nicht zuletzt ihrem Verhandlungsgeschick zu verdanken, daß sich die jugoslawische Armee im Herbst 1991 kampflos zurückgezogen hat.

Schlechte Aussichten für Tudjmans Partei

In Rovinj ist der Charme der Vielvölkerregion noch erhalten. Auf den Straßenschildern stehen die kroatischen und italienischen Ortsbezeichnungen einträchtig untereinander. Angesichts der Austreibung der Minderheiten anderswo ist es beruhigend zu wissen, daß hier neben den kroatischen und italienischen auch 400 serbische Familien leben. Angesichts der Wahlen am Sonntag ist die Region deswegen besonders interessant: Wie werden jene wählen, die trotz des Krieges ein noch relativ normales Leben führen?

„Die HDZ, die kroatische Regierungspartei, jedenfalls nicht.“ Vjenceslav Zidaric ist der örtliche Vorsitzende der ehemaligen Kommunistischen Partei, die sich in „Partei des demokratischen Umbruchs“ umgetauft hat. Unter dem Bild des alten Parteiführers Tito streicht sich der Enddreißiger nachdenklich den Bart. „Wir haben es allerdings auch nicht verstanden, unseren Stimmenanteil zu halten.“ Zu viele Mitglieder seien in den letzten Jahren abgesprungen. Zidaric, selbst Professor in Rijeka, drückt es selbst nicht aus, was für die Partei bedrückend ist. Die meisten Funktionsträger aus Wirtschaft und Verwaltung haben sich nämlich umorientiert. Geblieben sind Altkommunisten und die Liberalen aus der mittleren Generation, die jetzt in der Partei das Sagen haben.

Obwohl die Wendekommunisten in den istrischen Gemeinden immer noch in der Mehrheit sind, fehlen die gesetzlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Kommunalpolitik. „Wir werden auf die Vergangenheit festgelegt, was wir wirklich wollen, können wir nicht zeigen, denn alle Entscheidungen für die Kommunen fallen in der Zentrale Zagreb.“ Die seit dem ersten Juni verfügte Wirtschaftsreform habe bisher nicht gegriffen.

Die Menschen vor Ort wollen selbst entscheiden

In einem alten Haus am Hafen haben die Mitglieder der „Istrischen Demokratischen Partei“ einen Dachboden zu einem bescheidenen Büro hergerichtet. Die Partei ist aus einer breiten Bürgerbewegung hervorgegangen, die sich schon 1989 zu bilden begann. Von den kroatischen Nationalisten wurde sie von Anfang an als separatistisch beschimpft. Erst nachdem Präsident Franjo Tudjman im letzten April persönlich mit ihren Repräsentanten diskutierte, wurden die Anwürfe in der Regierungspresse etwas abgemildert.

Viktor Matosovic, ein etwa 40jähriger Diplomingenieur, ist sich der Mehrheit für seine Partei in der Region sicher. „Wir schöpfen aus der istrischen Mentalität. Unsere Mitglieder sind Kroaten, Italiener und auch Serben, wir wollen einen demokratischen kroatischen Staat. Die Beschuldigungen, wir wollten uns Italien anschließen, sind absurd. Wir akzeptieren die bestehenden Grenzen, auch wenn sie Istrien in einen slowenischen und kroatischen Teil zerschneiden. Aber wir fordern mehr Entscheidungsbefugnisse für unsere Region, die sich zu einer Euroregion entwickeln könnte.“

Schmunzelnd erzählt er, wie sich die Planer in Belgrad früher die Entwicklung des Tourismus vorgestellt hatten. „Bettenburgen wurden gebaut, touristische Anlagen für Millionen Menschen sollten folgen. Dieser Billigtourismus begann schon die Region zu zerstören, ohne Rücksicht auf die Natur und die Menschen wurden die irrsinnigsten Projekte ernsthaft vorgeschlagen.“ Dazu sei es Gott sei Dank nicht gekommen. Was aber bliebe, sei die Erkenntnis, daß nur die Menschen vor Ort über die Entwicklung entscheiden könnten.

Dies scheint jedoch ein frommer Wunsch zu bleiben. Denn in der Regierungspartei HDZ ist man keineswegs geneigt, die regionalen Politiker ernst zu nehmen. Kroatien brauche eine starke Führung. Man müsse die Wahlergebnisse abwarten, dann zeige sich, was die Leute wirklich wollten, erklärt ein örtliches HDZ- Mitglied. Der gepflegte junge Mann hat immerhin den Mut, öffentlich zu seiner Sache zu stehen, denn er erntet sofort lauten Widerspruch anderer Cafébesucher. „Die HDZ versucht doch, die Wahlen zu manipulieren“, regt sich ein Gast auf. Zuerst hieß es, wer keinen „Heimatschein“ besitze, könne auch nicht wählen. Kurz vor der Wahl hieß es dann, alle, die an den Wahlen 1990 teilgenommen hätten, dürften auch diesmal ihre Stimme abgeben.

Ohne Heimatschein geht nichts mehr

Erst nachdem der junge Mann gegangen ist, melden sich andere zu Wort. Ein seit 40 Jahren in Rovinj ansässiger und mit einer Kroatin verheirateter Serbe: „Seit Monaten habe ich den Heimatschein beantragt, doch bisher nicht einmal eine Antwort erhalten. Wenn ich den Heimatschein nicht habe, kann ich mein Haus nicht verkaufen. Ich kann es nicht einmal meinem Sohn, der ja Kroate ist, überschreiben.“ Er deutet die Straße hinunter, dorthin, wo sich in einer Bar die Radikalen der „Partei des Rechts“ versammeln. Denn schon vor Wochen wurde einigen ortsansässigen serbischen Familien und vielen Mitgliedern der Regionalbewegung in anonymen Drohbriefen bedeutet, die Stadt zu verlassen. „Die wollen an unsere Häuser ran.“ Manche Bewohner Rovinjs sind trotz des friedlichen Scheins ängstlich und unruhig geworden. Erich Rathfelder, Istrien

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